Lateinamerikanischer Fußball, das ist aus europäischer Sicht ein Superlativ. Allein die Namen seiner Aushängeschilder - Garrincha, Maradona, Ronaldinho -lassen einen mit der Zunge schnalzen. Aber der Fußball eines Kontinents läßt sich nicht anhand einiger Spieler beschreiben. Dario Azzellini und Stefan Thimmel haben für ihren Sammelband zum Thema, »Futbolistas«, mehr als 40 Beiträge zusammengetragen, alle gespickt mit Geschichten, Porträts, Anekdoten abseits des Rampenlichts.
Andererseits wäre eine solche Anthologie auch wieder unvollständig, wenn sie beispielsweise Pelé übergehen würde. Über Inszenierungen von dessen Perfektion hat Andreas Behn geschrieben. Viele haben Pelé selbst nie Fußball spielen gesehen - schließlich hat er vor über 20 Jahren sein letztes Match bestritten -, aber er fehlt in keiner Aufzählung von Jahrhundertspielern.
Pelé selbst sagte einmal, in einigen Gebieten Asiens wüßten sie zwar nicht, wer Jesus war, aber ihn kenne jeder. Das ist nicht vermessen. Es zeigt den Status des Ballspiels als Massenbewegung. Doch die Aussage offenbart auch, daß Pelé am Ball zwar genial war, im Leben aber stets ein Sterblicher geblieben ist: Er hat einen schlechten Krimi geschrieben, ist geschieden, hat sich der Politik angebiedert und für Viagra geworben.
»Futbolistas« hat viele Facetten, Kritik an der Kommerzialisierung des Fußballs zieht sich durch den gesamten Band. Mehrere Beiträge beklagen den Ausverkauf des lateinamerikanischen Fußballs durch die Europäer. Auf die naheliegende Frage, ob der globale »Zirkus« - wie Eduardo Galeano den Eventfußball in einem Gespräch mit Karl-Ludolf Hübener nennt - zu Vielfalt oder Einfalt führt, findet César Luis Menotti eine Antwort. Sport und Politik seien eng miteinander verbunden. Mittels der Koordinaten »links« und »rechts« beschreibt der Intellektuelle des argentinischen Fußballs zwei Arten des Spiels: Die eine sei phantasie- und kunstvoll, die andere achte nur aufs Resultat. »Söldner des Punktgewinns« betrieben sie, vor allem in Europa. Im nächsten Satz verwirft er diesen Dualismus dann allerdings gleich wieder.
Was ein Wechsel nach Europa indessen für eine brasilianische Fußballerin bedeutet, schildert die Stürmerin Christiane. Zu Beginn des Jahres 2005 kam sie zu Turbine Potsdam. Bei den Olympischen Spielen in Athen wurde sie Torschützenkönigin. Obendrein kommt sie aus Brasilien, und von Brasilianern - egal ob männlich oder weiblich - würden immer Wunderdinge verlangt. In Potsdam aber habe sie sich dem Spielsystem der Mannschaft unterzuordnen, das ihr nur selten Freiräume lasse. Der Frust ist ihr anzumerken. Oft sitzt sie auf der Bank, und Ersatzbänke seien kalt in Deutschland, sagt sie. Das Interview führte Erika Harzer im November vergangenen Jahres - da fing der Winter erst an.
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Futbolistas - Fußball und Lateinamerika