Für den uruguayischen Schriftsteller und Fußballfan Eduardo Galeano ist ein Blick in die Fußballwelt eine Hilfe, um die Welt besser zu verstehen. Was Fußballer mit Rohstoffen gemein haben und wer bei der Wertabschöpfung kräftig absahnt, beleuchtet Gerhard Dilger in seinem Beitrag über Korruption und Spielerexporte beim weltweit größten Exporteur von Fußballerwaden: Brasilien.
Eindeutig sind die Beiträge von Petra Schlagenhauf und Wolfgang Kaleck zum gnadenlos opportunistischen Umgang des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mit den Diktaturen in Chile (bei der WM 1974 in Deutschland) und in Argentinien (bei der WM 1978 im eigenen Lande). Unschöne Szenen zu den Menschenrechtsverletzungen des Pinochet-Regime in Chile und der Militärjunta in Argentinien sollten dem Fußball zuliebe im wahrsten Sinne des Wortes ausgeblendet werden. Da wurden dann beim WM-Spiel BRD gegen Chile 1974 schon mal im Berliner Olympiastadion die Mikrophone abgeschaltet, als eine Gruppe der West-Berliner Chilesolidarität den Rasen stürmte und „Chile si, Junta no“ skandierte. Und der DFB-Präsident Herman Neuberger intervenierte beim ARD-Intendanten, als ein Pfarrer beim „Wort zum Sonntag“ die DFB-Funktionäre aufforderte, Menschenrechtsverletzungen und Folter in Argentinien zu thematisieren.
Aber es sind nicht nur die politischen und ökonomischen Einwürfe (z.B. über die miserablen Arbeitsbedingungen in den zentralamerikanischen Zulieferfirmen von Adidas und Nike), die diesen Sammelband interessant machen. Lesenswert ist das Buch letztlich wegen der vielen kurzweiligen Dribblings jenseits des Flutlichtes: zum Beispiel Anna Schultes Portrait der mexikanischen Starstürmerin Marigol, die Beschreibungen von Dirk Hoffmann über den Vorsitzenden der bolivianischen „Indigenen Bewegung Pachakuti“, der mit seinen Abgeordnetendiäten in seiner Heimatregion Fußballschulen aufbaute, um indigene politische Führungspersönlichkeiten auszubilden, oder die Doppelrausch-Analyse „Gott ist rund“, bei der Daniela Chiaretti die bedrohliche Wirkung des Cocktails von Religion und Fußball in Brasilien untersucht. Liest man schließlich noch Dario Azzellinis Artikel über die erstaunliche Unterstützung von Inter(nazionale) Mailand und italienischen Fangruppen für den lokal-globalen Kampf der Zapatisten, so ist die Theorie vom linken Fußball zwar nicht rehabilitiert. Aber man darf den Ball flacher halten und mit den Worten des französischen Amateurtorwartes und Schriftstellers Albert Camus bestätigen: Alles was ich über Solidarität weiß, habe ich beim Fußball gelernt.
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