Mit der Sicherheit ist das so eine Sache. Zum einen wollen wir unser Leben in größtmöglicher Sicherheit leben können, zugleich jedoch akzeptieren wir ungern die sichtbare Präsenz von Sicherheitsorganen. Wir stehen zum staatlichen Gewaltmonopol, wir fühlen uns aber unsicher, wenn der Staat durch massive Polizei- oder gar Militärpräsenz dieses Monopol zu deutlich zur Schau stellt.
Während wir über das ewig prekäre Verhältnis zwischen staatlicher Gewalt und Bürgerrechten diskutieren, verlieren wir leicht eine Entwicklung aus den Augen, den die Autoren des Bandes als den kleinen Krieg vor der Haustür bezeichnen. Gemeint ist damit die zunehmende Privatisierung von Sicherheitsdienstleistungen. Eine Folge neoliberaler Politik ist auch die Definition der inneren Sicherheit als Produkt, das sich auf dem freien Markt bewähren muss. Wir reden also nicht mehr über gesellschaftliche Prozesse, sondern über private Sicherheitsdienste, die abseits des gesellschaftlichen Diskurses – sehr diskret und im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit – eine Parallelordnung herstellen.
Ende der neunziger Jahre standen in Österreich 29.000 Polizisten 5.500 private Sicherheitskräfte gegenüber. In Deutschland etwa zählte man rund 260.000 Polizisten und 168.000 private Sicherheitskräfte. In Großbritannien war das Verhältnis schon umgekehrt: 185.000 Polizisten, 250.000 Private. In den USA standen 623.000 Polizisten 1,5 Millionen private Sicherheitskräfte gegenüber.
Es gehört allerdings zur besonderen Perfidie dieses Geschäfts, dass es die über Arbeitslosigkeit, Arbeitszwang und Niedriglohn in diesen Markt gezwängten Nichtqualifizierten sind, die gegen Arme, jugendliche Migranten, Obdachlose und andere, zu überflüssigen Randgruppen gestempelte Bevölkerungsteile, zum Einsatz gebracht werden.
Egal. Der Trend ist klar: das Gewaltmonopol des Staates bricht auf. Und damit der gesellschaftliche Konsens in bezug auf Recht und Ordnung. Brutal wird diese Entwicklung dort, wo der vorhin zitierte kleine Krieg vor der Haustür zum großen Krieg gegen die eigenen Bürger wird.
Die Kriege der Neuzeit sind keine Zwischenstaatlichen mehr. Es sind innerstaatliche Kriege, bewaffnete Verteilungskämpfe zwischen Machteliten. Das Entscheidende dabei ist, dass nationale Armeen dabei keine große Rolle mehr spielen, denn die sind ja zur Abwehr einer Bedrohung von außen gedacht. Das heißt: sie waren es, denn die neuen Kriege sind – vereinfacht ausgedrückt - das Ergebnis der Privatisierung des staatlichen Machtmonopols. Privatarmeen, Paramilitärs und Spezialfirmen setzen die Interessen Einzelner durch.
Die Kriegsführung wird selbst zum Hauptziel der Akteure, um im globalen Kapitalismus Profite erzielen zu können. Das gilt beispielsweise für afrikanische Militärapparate, die sich in Bergbauunternehmen verwandeln und sich gegenseitig bewaffnete Konkurrenzkämpfe um Minen liefern. Hinterlassen wird eine ungeheure Zahl von Opfern, allein der Krieg im Kongo hat seit 1994 zwischen zweieinhalb und dreieinhalb Millionen Menschen, zu 90 Prozent Zivilisten, das Leben gekostet.
Es geht also nicht um Ideologien, sondern um satte Gewinne. Die Autoren des Bandes weisen etwa nach, dass in den Balkankriegen zwischen 1991 und 1995 der vielbeschworene Nationalitätenkonflikt nichts weiter war, als das Konstrukt einer politischen Elite, um die wahren Ursachen zu verschleiern. Es ging um die Wahrung von Interessen eines kriminell-institutionellen Komplexes, der sich in einem wirtschaftlich ruinierten Land festsetzen konnte, um eine Verquickung also von Politik und organisiertem Verbrechen. Ziel der militärischen Auseinandersetzung war die Plünderung von privatem Eigentum und der Aufbau und die Kontrolle des Schwarzmarktes. So soll etwa der Kommandant der bosnischen Verteidiger während der Belagerung Sarajavos Stellungen auf dem ursprünglich von den Bosniern gehaltenen Berg Igman an die Serben verkauft haben. Die Serben wiederum wickelten mit den eingekesselten Bosniern Waffengeschäfte ab. Während die Warlords, egal welcher Seite, reich wurden, fanden Tausende Zivilisten den Tod.
Ähnliche Entwicklungen gibt es in den Kriegsgebieten Afrikas, in der Republik Kongo etwa oder in Liberia. Es gibt sie in Guatemala und Kolumbien und es gibt sie in Afghanistan und der Türkei. Überall sichern Privatmilizen die Ausbeutung staatlicher Ressourcen durch eine politische Klasse oder durch Warlords. Und wer glaubt, diese neuen Kriege seien ein Phänomen der Dritten Welt, der irrt. Die neuen Kriege sind auch eine Folge globaler Wirtschaftsinteressen. So finanzieren die USA Paramilitärs in Südamerika, um Gewerkschafter auszuschalten, die sich amerikanischen Investoren entgegenstellen. Und so machen Konzerne wie DynCorp mit Sitz im US-Bundesstaat Virginia jährlich zweieinhalb Milliarden Dollar Umsatz. DynCorp wird überall dort aktiv, wo US-Militärs aus völkerrechtlichen Gründen nicht aktiv werden können. DynCorp ist ein privates Sicherheitsunternehmen, das mitunter die Drecksarbeit für Auftraggeber aus Politik und Wirtschaft erledigt.
Aussagen eines ehemaligen DynCorp-Angestellten in Bosnien, wo das Unternehmen die US-Luftflotte wartete und im US-Regierungsauftrag lokale Polizisten ausbildete, erinnern an Apocalypse Now: Sexueller Kindesmissbrauch, Frauenhandel, Sauforgien und ähnliches bestimmten anscheinend den Alltag des DynCorp-Teams.
Die Federation of American Scientists hielt fest: Die Art von Routineaufsicht, welcher offizielle militärische Aktivitäten unterworfen wären, werden von privaten Auftragnehmern beiläufig umgangen. Dies beleuchtet, wie das Phänomen der Privatisierung militärischer Funktionen es der Regierung in einem schockierenden Ausmaß möglich gemacht hat, öffentliche Kontrolle zu umgehen.
Gewalt als Geschäft, das ist vielleicht die letzte Konsequenz neoliberaler Politik. Moral ist bekanntlich kein Bilanzposten, deshalb entledigt sich eine Gesellschaft durch die Privatisierung des staatlichen Gewaltmonopols auch der Diskussion um moralisch richtiges Handeln.