Die List der Vernunft ist unergründlich. So haben die oft quälenden und destruktiven Auseinandersetzungen der letzten Zeit zwischen AntimilitaristInnen und einem neuen linken Bellizismus zumindest einen positiven Nebeneffekt: Es wird wieder gründlicher über das Thema "Krieg" nachgedacht und diskutiert. Zwei neue Bücher aus dem Verlag Assoziation A sind dafür - bei durchaus unterschiedlichen Herangehensweisen - gute Beispiele.
Krieg ist Krieg ist Krieg: lizenzierter Massenmord, Vergewaltigungen, Vertreibungen, Flucht, brennende Häuser, zerstörte Dörfer und Städte, verwüstete Landstriche, Herrschaft der rohen Gewalt. Und dennoch sehen die aktuellen 43 militärischen Auseinandersetzungen anders aus als die meisten Kriege des letzten oder gar des 19. Jahrhunderts. Zunehmend bürgert sich die Floskel vom "neuen Krieg" ein: ein Krieg, der nicht mehr zwischen souveränen Staaten geführt wird, sondern eher zwischen den paramilitärischen Einheiten und Milizen von Warlords; Kriege, die oft eher den Auseinandersetzungen unterschiedlicher Mafia-Clans ähneln als dem "ordentlichen" Abschlachten à la Clausewitz; Kriege auch, die darauf abzielen, Territorien, Menschen und Rohstoffe zu kontrollieren, aber nicht darauf, sie sich dauerhaft in den eigenen Staat einzuverleiben. Angesichts der Situation auf dem Balkan, im subsaharischen Afrika oder auch in der ehemaligen Sowjetunion werden die "neuen Kriege" gerne als Ausdruck einer zerfallenen Staatlichkeit interpretiert. In einer solchen Sichtweise schimmert nicht nur der sehnsuchtsvolle Blick zurück zu den Zeiten der "guten, alten" Kriege zwischen "richtigen" Staaten durch. Ein solcher Blick legitimiert auch schnell kriegerische Interventionen der imperialistischen Staaten - gewissermaßen als Polizeiaktionen zur Wiedererrichtung von staatlicher Zentralgewalt inklusive staatlichem Gewaltmonopol.
"Neue Weltordnung" - "Neue Kriege"
Auch wenn die bürgerliche staatliche Zentralgewalt durchaus als zivilisatorische Errungenschaft diskutiert werden kann - ihr (oft genug scheinbarer) Zerfall ist mitnichten ein Rückfall in vorkapitalistische, archaische Strukturen, Ethno-Konflikte oder dergleichen. In seinem Einleitungsbeitrag für "Das Unternehmen Krieg. Paramilitärs, Warlords und Privatarmeen als Akteure der neuen Kriegsordnung" macht Thomas Seibert deutlich, dass die "neuen Kriege" als die "barbarisierte Rückseite" des globalisierten Kapitalismus begriffen werden müssen. Es ist dieser "postfordistische" Imperialismus, der die weltweiten sozialen Zerklüftungen und Zerfallsprozesse staatlicher und anderer Regulationsmechanismen produziert. Verschärfte und militarisierte Auseinandersetzungsformen sind seine logische Konsequenz. Die "Warlordisierung" Afghanistans oder das unauflösliche Geflecht von banalem Söldnertum, paramilitärischen Milizen und regulären Armeen in den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien, im Kongo oder in Indonesien ist das dreckige andere Gesicht des Krieges in der "neuen Weltordnung". Seibert weist dabei zu Recht darauf hin, dass etliche dieser Erscheinungen keineswegs so neu sind: Paramilitärische Milizen und Konterguerilla sind beispielsweise zentrale Elemente in der "Kriegführung niederer Intensität" gewesen, die die USA und ihre Verbündeten in den 1970er und 1980er Jahren in Lateinamerika und den Philippinen praktiziert hatten. Und schon im Zweiten Weltkrieg wird der Krieg phasenweise zum ökonomischer Selbstzweck, als Mittel der Bereicherung von Militärs als Medium eines "militärischen Unternehmertums".
Die "Privatisierung des Krieges" ist eines der augenscheinlichsten Elemente der "neuen Kriege", und die verschiedenen Facetten dieser Privatisierung sind auch das zentrale Thema in "Unternehmen Krieg". In einer Reihe von unterschiedlichen Fallstudien, etwa zu Kolumbien, Mexiko, der Türkei, Afghanistan, Jugoslawien, Indonesien, Angola und dem Kongo wird dabei vor allem eines deutlich: Die Grenzen zwischen regulären Truppen, paramilitärischen Milizen und Todesschwadronen sowie privatfinanzierten Söldnerheeren und Militär"firmen" werden zunehmend fließend. Der Krieg wird zu einer eigenständigen Reproduktionsinstanz für die ineinander verwobenen Interessen staatlicher Instanzen, mafiöser Strukturen und privatwirtschaftlicher Bereicherung. Während Dario Azzellini und Knut Rauchfuss das Zusammenspiel von staatlicher Aufstandsbekämpfung, Mafia und paramilitärischer Todesschwadronen am Beispiel Kolumbiens, Chiapas und der Türkei beschreiben, gehen Boris Kanzleiter und Dieter Drüssel in zwei Beiträgen direkt auf die Rolle privater Kriegsunternehmen ein. Neben Material, Beratung und Ausbildung haben diese Firmen von ordinären Söldnertruppen bis zu ausgelagerter regulärer Zuarbeit für die US- und andere Armeen alles im Angebot, was im Kriegsgeschäft so benötigt wird.
Vor allem in den Beiträgen von Björn Aust zum "militärischen Unternehmertum" im Kongo sowie von Boris Kanzleiter zu den "multiethnischen Kriegsgewinnlern" im ehemaligen Jugoslawien wird der Krieg als eigenständiges und verselbstständigtes Medium der Ökonomie analysiert. Paramilitärs, Mafia-Clans, regionale Warlords und staatliche Interessengruppen schaffen im Krieg die Ethnisierungen, deren Resultat sie angeblich sein sollen. Sie schaffen, sichern und reproduzieren Zonen des ökonomischen Zugriffs, des Raubes, der Bereicherung und der legal-illegalen wirtschaftlichen Aktivität. Ihre Herrschaft wie ihre Interessen sind an die Existenz eines permanenten Kriegszustandes gebunden.
Vom Söldner zum Kriegsunternehmer
Dass der Krieg aber nicht nur ein "unternehmerischer", sondern auch ein sozialer Krieg ist, machen Matilde Gonzales und Stefanie Krohn in ihrem Beitrag zu Guatemala deutlich. Sie zeigen, wie direkte und systematisierte sexuelle Gewalt von paramilitärischen Einheiten gegen Frauen nicht nur zur einer Reorganisation traditioneller Geschlechterhierarchien instrumentalisiert wird, sondern wie auf diese Weise in den Dörfern eine Umwälzung der Sozialstrukturen erfolgt, wie sich der Paramilitarismus seine eigene soziale Basis schafft.
Krieg als Medium der gewaltsamen Neuzusammensetzung sozialer Strukturen ist ebenfalls das Leitmotiv eines schmalen Buches, das Detlev Hartmann und Dirk Vogelskamp unmittelbar nach dem Ende des Irak-Krieges veröffentlicht haben: "Irak. Schwelle zum sozialen Weltkrieg. Nachkriegsplanungen der US-Regierung und ihrer Think Tanks". Zu Recht unzufrieden sowohl mit einer allein völkerrechtlichen Argumentation gegen den Krieg wie auch mit einer allzu platt-ökonomistischen Deutung seiner Ursachen ("Blut für Öl"), interpretieren Hartmann und Vogelskamp den Irak-Krieg als Auftakt zu einer permanenten militärisch-gewaltsamen "schöpferischen Zerstörung" (Schumpeter) im Weltmaßstab. Zerstört werden sollen dabei die sozialen Strukturen, die sich weltweit als Blockaden und Hindernisse für kapitalistische Durchdringung und umfassende In-Wert-Setzung erwiesen haben.
Immer wieder (manchmal geradezu gebetsmühlenartig) versuchen die Autoren dabei, anhand unterschiedlicher Strategiepapiere und Quellen aus dem Umfeld der US-Administration zu belegen, dass der Irak-Krieg a) auf eine ökonomisch-soziale Umstrukturierung der gesamten Golfregion abzielte und b) ein Element in einer weltweiten Strategie der sozialen Umwälzung von oben ist. Der Irak-Krieg ist für sie ein weiteres Moment in einem globalen und zunehmend militärisch-gewaltsam geführten und radikalisierten Modernisierungsangriff.
Das Buch ist erklärtermaßen ein Schnellschuss, und deshalb bewegt sich die vorgestellte Interpretation des präsentierten Materials eher auf der Plausibilitätsebene als auf der einer wirklich abgesicherten These. Mit dieser Einschränkung ist es aber einer der wenigen Beiträge zum Irak-Krieg (wie auch zu den anderen "neuen Kriegen"), die den Krieg als Medium der gewaltsamen Umwälzung sozialer Verhältnisse in den Mittelpunkt der Untersuchung rückt. Die "Befreiung" des Iraks erscheint so in erster Linie als die gewaltförmige Durchsetzung marktwirtschaftlicher Strukturen im arabischen Raum und als Zerstörung sozialer Zusammenhänge, die sich immer wieder als Hemmschuh für eine kapitalistische Modernisierung herausstellten. Der Krieg ist Instrument und Medium zugleich für eine "nachgeholte ursprüngliche Akkumulation".
Gleichzeitig machen Hartmann und Vogelskamp deutlich, dass die USA und ihre Verbündeten ein Werk fortgesetzt haben, das die Despotie Saddam Husseins bereits begonnen hatte. Das Baath-Regime wird in diesem Buch als Entwicklungsdiktatur analysiert, die mit brutalster Repression und Gewalt einen industriellen und landwirtschaftlichen Modernisierungsprozess gegen die irakische Bevölkerung durchgesetzt hatte.
Bei so viel Einigkeit in der Zielsetzung zwischen Baath-Regime und den USA fragt man sich manchmal, warum die USA Saddam Hussein, der ja lange Zeit durchaus ihr Zögling gewesen war, fallen gelassen haben; eine Frage, auf die Hartmann und Vogelskamp in ihrem Buch keine rechte Antwort geben. In ihrer Terminologie gibt es eigentlich weltweit nur einen Gegensatz: den Antagonismus zwischen der Sozialrevolte, die sich dem Zugriff des Kapitalismus verweigert, und den "Modernisierungseliten", die eben diesen Zugriff organisieren. Warum dann manchmal die eine Elite die andere frisst, bleibt unklar.
Irak: Krieg als Modernisierungsangriff
So notwendig die Interpretation des Krieges als Medium der Zerstörung gesellschaftlicher Strukturen ist, so problematisch ist der "sozialrevolutionäre Dogmatismus" bei Hartmann und Vogelskamp. Ganz ähnlich wie die "Multitude" im "Empire" von Toni Negri und Michael Hardt ist die "Sozialrevolte" bei ihnen eine Art "reines", "unbeflecktes" revolutionäres Subjekt. Als gebe es in den Dorfgemeinschaften, Clans, Subsistenzökonomien etc. nicht jede Menge Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse. Als wäre die "Befreiung der Frau" in Gestalt einer Industriearbeiterin neben ihrer Unterwerfung unter das kapitalistische Kommando nicht u.U. auch eine Befreiung aus tradierten Gewaltverhältnissen. Und als entstünde in den Revolten gegen den kapitalistischen Modernisierungszugriff nicht u.U. auch eine reaktionäre Sozialbewegung, antiemanzipatorisch und antisemitisch. Hartmann und Vogelskamp definieren solche Herrschaftsformen einfach weg: Clanführer wie islamistische Fundamentalisten sind bei ihnen schlichtweg selbst "Modernisierungseliten" und nicht etwa authentische Teile der (widerständigen) Sozialstrukturen.
Diese kritischen Anmerkungen stellen nicht das Verdienst von Hartmann und Vogelskamp in Frage, Krieg im allgemeinen und den Irak-Krieg im besonderen als ein Mittel zur "schöpferischen Zerstörung" sozialer Strukturen zu interpretieren. Insbesondere gelingt es so, die permanente Gewaltförmigkeit in der kapitalistischen "Modernisierung" zu begreifen. Die Antworten "von unten" auf diese Angriffe sind jedoch keineswegs a priori revolutionär und emanzipatorisch. Der tatsächlichen Widersprüchlichkeit und inneren Dynamik sozialer Bewegungen und Revolten nähert man sich auf Dauer doch besser mit einer genaueren Analyse.
Dario Azzellini, Boris Kanzleiter (Hg.): "Das Unternehmen Krieg. Paramilitärs, Warlords und Privatarmeen als Akteure der neuen Weltordnung", Berlin/Hamburg, Göttingen (Assoziation A) 2003, 216 Seiten, 14 EUR
Detlef Hartmann, Dirk Vogelskamp: "Irak. Schwelle zum sozialen Weltkrieg. Nachkriegsplanungen der US-Regierung und ihrer Think Tanks", Berlin/Hamburg, Göttingen (Assoziation A) 2003, 83 Seiten, 8 EUR.