Nachdem sich die letzten Neuerscheinungen zu Kolumbien eher distanziert zu den Ursachen und Akteuren des kolumbianischen Konflikts geäußert haben, geht es den Autoren Raul Zelik und Dario Azzellini in ihrem Buch „Kolumbien - Große Geschäfte, staatlicher Terror und Aufstandsbewegung“ genau darum: die Verbindungen zwischen Staat, Paramilitarismus und schmutzigen Geschäften aufzudecken, und den Werdegang der Guerillabewegungen nachzuverfolgen. Daß sie mit dem Buch politisieren, ist gewollt. Die Fakten über den staatlichen Terror gegen Opposition und Zivilbevölkerung sprechen Bände.
Wer sich mit Kolumbien beschäftigt, wird mit den unterschiedlichsten Pressemeldungen zum innerkolumbianischen Konflikt konfrontiert. Immer neue Beschuldigungen, angebliche Verbindungen und Verstrickungen der Konfliktparteien. Erst Anfang Dezember wurde eine Agenturmeldung verbreitet, daß der Iran in der „Entspannungszone“, wo die Guerillaorganisation FARC seit über einem Jahr offiziell präsent ist, in eine Verpackungsfabrik für Fleisch investieren will. Sprengstoffexperten und Militärberater soll es gleich dazu geben. Alarm! Jetzt paktieren die FARC schon mit dem Iran? Wohl kaum. Oder doch? Solche Verwirrungen haben Methode. Am Ende entsteht der Eindruck, alle Konfliktparteien seien gleichermaßen für die innerstaatlichen Zustände verantwortlich - und werden durchweg in einen Topf geworfen. Die Guerilla wird als Drogenbetrieb und Entführungsmaschinerie ohne sozialen Hintergrund diskreditiert. Dem Paramilitarismus wird andererseits ein politisches Profil gegeben und Selbständigkeit zugesprochen. Der Staat ist das gelähmte Opfer zwischen diesen beiden Akteuren, der alle Jahre wieder eine „Friedensinitiative“ startet.
Entstehung des Paramilitarismus
Das Buch von Raul Zelik und Dario Azzellini versucht, diese Darstellung zu korrigieren und die Verstrickungen des Staates mit dem Paramilitarismus auszuleuchten. Darum wird besonders der Entstehung und Entwicklung des Paramilitarismus - treffend als „uneheliches Kind des Staates“ charakterisiert - viel Platz eingeräumt.
Für die Gründung der ersten Paramilitärs in ihrer heutigen Gestalt wird auf den 3. Dezember 1981 in Cali verwiesen. Damals entstand auf Initiative von Mafiabossen eine Privatarmee mit dem Namen Muerte a Secuestradores (Tod den Entführern), die die Entführungen durch die heute nicht mehr existierende Guerilla M-19 mit Terror verhindern sollte. Bereits ein Jahr später wurde die erste Zusammenarbeit mit einem Geheimdienstbataillon bekannt. Die Armee - also der Staat - hatte erkannt, daß der Paramilitarismus eine geeignete Methode ist, um gegen Rebellen vorzugehen und, daß man - wenn man die Guerillabewegungen selbst nicht besiegen kann - das soziale Netz verändern muß, aus dem sie hervorgehen.“
Was das bedeutete, wurde kurze Zeit später klar, als der Paramilitarismus als Pilotprojekt im Gebiet des Mittleren Magdalena gestartet wurde. Die Massaker und Massenvertreibungen, die das Land derzeit in brutalster Form erlebt (siehe Kasten), nehmen dort ihren Anfang.
Ökonomische Hintergründe
Doch der Paramilitarismus, so die Autoren, ist weit mehr als nur die schmutzige Form der Guerillabekämpfung. Hinter diesem „Krieg niedriger Intensität“ stehen auch handfeste ökonomische Interessen. Das wird in den Beiträgen von Dario Azzellini zum Kanalbauprojekt in der Region Urabá und zur Drogenökonomie deutlich. Führende Köpfe der Paramilitärs wie Carlos Castaño gelten als die derzeit größten Drogenhändler und Großgrundbesitzer Kolumbiens. „Allein die Familien Castaño und Carranza sollen sich durch Morde und Massaker 3,5 Millionen Hektar Land, das heißt ein Drittel der besten landwirtschaftlichen Flächen Kolumbiens, angeeignet haben.“ Man spricht mittlerweile von einer Gegenlandreform.
Zum anderen machen sich nationale und internationale Konzerne die paramilitärischen Dienste zunutze. Für den Energiesektor werden die British Petroleum (BP), Shell und Texaco (heute Dea) genannt, die unter Mißachtung aller Umweltstandards und Menschenrechte schalten und walten können.
Schon Mitte 1982 knüpften die Erdölfirmen Kontakte zum Aufbau von Milizen. „Man begann bei dem Dorf San Juan Bosco de la Verde auf einem von der Texaco zur Verfügung gestellten Gelände mit dem militärischen Training der neuen Gruppen.“ Dies geschah unter der Federführung einer Armee-Einheit, die dem General Farouk Yanine Díaz unterstand. Dieser gilt, wie etliche andere Generäle, als Schlüsselfigur des Paramilitarismus.
Gerade im ökonomischen Bereich liegt eines der Grundprobleme. In einem Land wie Kolumbien, das mit riesigen Bodenschätzen und immenser Artenvielfalt gesegnet ist, lassen sich unter dem Deckmantel der Guerillabekämpfung riesige Geschäfte machen.
Darstellung der Guerilla
Daß die kolumbianische Guerilla heute noch so einflußreich ist, liegt nach Ansicht der Autoren nicht zuletzt in der langen Geschichte von Bauernaufständen und Protestbewegungen, die weit ins letzte Jahrhundert zurückreichen. Durch eine detaillierte Aufarbeitung der Entwicklung solcher Bauernproteste zur heutigen Guerilla wird plausibel erklärt, daß mit einer kontinuierlichen Niederschlagung legaler Oppositionsformen durch den Staat der Spielraum für politische Arbeit heute gegen Null tendiert.
Allerdings bleibt auch der Guerilla - neben vielen anderen Fehlern - der Vorwurf einer gewissen Mitverantwortung für die extreme Polarisierung in Kolumbien nicht erspart. Daß sie beispielsweise oppositionelle Bewegungen instrumentalisiert und der legalen Opposition somit das Terrain genommen zu hat, ist nicht von der Hand zu weisen. Allerdings relativiert Zelik dieses Vorgehen, wie auch andere Aspekte, indem er das Pferd von hinten aufzäumt: „Wie viele konkrete Verbesserungen der Lebensverhältnisse (...) wurden durch den persönlichen Einsatz von Untergrund-AktivistInnen erzwungen, die Bewegungen organisierten oder Druck auf Unternehmen und Regierung ausübten?“ Eine fragwürdige Argumentation, betrachtet man die heutige soziale Situation und die extreme Militarisierung der Gesellschaft.
Trotzdem muß man die Guerilla von Vorurteilen und Verteufelungen befreien, die über sie im In- und Ausland kursieren, und zugleich deutlich ihre Fehler benennen. Ersteres tun die Autoren mit weit größerem Nachdruck. Sie bemerken spitz, daß „alle Einwände, die man gegenüber dem sandinistischen Nicaragua oder der salvadorianischen FMLN zu machen vergaß, nun nachgeschoben werden.“
Die Forderungen der Guerilla, die sie im aktuellen Friedensprozeß formulieren, muten eher „sozialdemokratisch“ an, so die Autoren. Den Bewegungen geht es um deutliche soziale Veränderungen und einen Umbau des erstarrten politischen Systems. Um „Umstürzler stalinistischer Prägung“, was ihnen permanent vorgeworfen wird, handelt es sich nicht.
Objektivität ohne Neutralität
Daß die Autoren nicht wertfrei argumentieren und es auch nicht wollen, machen sie schon zu Anfang klar: Journalistische „Neutralität“ betrachten sie im Fall Kolumbien mit Skepsis. Um Objektivität und Aufrichtigkeit mit den Fakten geht es ihnen, aber nicht um fragwürdige „Unparteilichkeit“. Zweifelsohne ein nachvollziehbarer Ansatz, denn zu enorm sind die Vorwürfe gegen das politische System in Kolumbien. Wünschenswert wäre allerdings in vielen Fällen eine Nennung der Informationsquellen gewesen, damit die selbstgesetzte Objektivität gewahrt wird.
Nichtsdestotrotz ist dieses Buch eine beeindruckende Anklage gegen die sozialen Verhältnisse Kolumbiens und seine verworrene Repressionspolitik. Ein ehemaliger US-Staatssekretär sprach im Zusammenhang mit der kolumbianischen Ökonomie vom „bestgehüteten Geheimnis Lateinamerikas“. Eine treffende Formulierung für das ganze Land. Vielleicht trägt das Buch dazu bei, dieses Geheimnis etwas zu lüften und sich auch mit der kolumbianischen Guerilla im neuen Jahrtausend objektiver auseinanderzusetzen, als es bisher getan wird.