Der Titel mag es nicht vermuten lassen, aber der Band bietet mehr als nur eine enggeführte Betrachtung sozialer Umwälzungen im ehemaligen Jugoslawien und damit der Versuche, angesichts von Transformation, Europäisierung und Globalisierung Gerechtigkeit und Selbstbestimmung einzuklagen. Der primäre Ansatz ist, diese sozialen Protestbewegungen nicht (nur) in ihrer Eigenheit zu betrachten, in der sich immer auch die spezifischen Probleme der Region und die Erfahrungen mit dem real existierenden Sozialismus in Jugoslawien (Stichwort: Arbeiterselbstverwaltung) spiegeln. Verstanden werden sie vor allem auch als Teil einer globalen Bewegung. Mit deren Dimensionen und auch künftigen Entwicklungspotenzialen beschäftigt sich Dario Azzelini im ersten Betrag des Bandes. Zuerst verabschiedet er sich von der Kategorie „Facebook‑Revolution“ – „eine digitale Vernetzung schafft keine Verbindlichkeit und auch keine reale soziale Beziehung“ (31). Charakteristisch für den globalen Aufstand, der mit Occupy Wallstreet ebenso zu beobachten war wie auf dem Tahrir‑Platz in Kairo, sei vielmehr eine Besetzung des öffentlichen Raums, die nicht von Gewerkschaften oder Parteien organisiert werde und dem Selbstgespräch der Menschen darüber diene, wie ihre Gesellschaft in Zukunft aussehen sollte. Azzelini konstatiert damit auch eine „‚Krise der Repräsentation‘“, die zugleich „eine Krise des (traditionell) Politischen und der liberalen Demokratie“ (35) sei. Prägend für die neuen Bewegungen seien deshalb „das Prinzip der direkten Demokratie und Partizipation“ (40). Wir stünden mit dem globalen Aufstand damit vor einem Bruch, „der weitreichender sein wird als 1968“ (44). Im ersten Teil schließen hieran weitere Beiträge an, mit denen in diesem Kontext der Blick auf das ehemalige Jugoslawien gelenkt wird. Auffällig hier wie in den anderen Aufsätzen ist allerdings, dass den Einflüssen durch Europäisierung und Globalisierung viel, der Rolle der eigenen Eliten sowie der eigenen politischen Kultur wenig Beachtung geschenkt wird. Die Perspektiven auf die Arbeitskämpfe (Teil 2) und Studierendenproteste (Teil 3) sind so leider verkürzt. Die Beiträge erhellen dennoch die Probleme, mit denen die Beschäftigten bei der kapitalistischen Umwandlung ihrer Betriebe zu kämpfen hatten und haben. Die Proteste der Studierenden konzentrierten sich auf den Kampf gegen Studiengebühren und damit auf eine im Land selbst gefällte Entscheidung. Offen bleibt die Frage, ob sich die verschiedenen Bewegungen zusammenfinden werden. Michael G. Kraft hofft dies und stellt das 5. Subversive Forum vor, das 2012 in Zagreb stattgefunden hat.
Michael G. Kraft (Hrsg.), Soziale Kämpfe in Ex-Jugoslawien, Wien: Mandelbaum Verlag 2013 (kritik & utopie); 309 S.; brosch., 19,90 €; ISBN 978-3-85476-621-6
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