Fabrikräte, Arbeiterselbstbestimmung oder Selbverwaltung sind als Thema nicht gerade brandneu. Die Geschichte der Emanzipation kennt zahllose Anläufe, wenn auch nicht viele erfolgreiche oder besonders nachhaltige Versuche von Selbstaneignung. Dennoch, es bleiben die Momente der Emanzipation, auf die es ankommt.
Sicherlich wird die Idee von (Selbst-) Aneignung jüngst wieder vermehrt diskutiert und ausprobiert, sogar vereinzelt wieder auf der Arbeit. Somit passt das umfangreiche Buch ganz gut in die Zeit, wenn es auch bereits 2011 in den USA und im Dezember 2012 auf Deutsch erschienen ist.
Auf 540 Seiten gibt es 22 Beiträge, die thematisch in sechs Kapitel untergliedert sind. Es beginnt mit einem tatsächlich angenehm zu lesenden historischen Überblick (in vier Beiträgen) und einer Einführung in die entsprechenden theoretischen Debatten. Der Bogen wird dann gespannt von der Russischen Revolution über die Arbeit der Revolutionären Obleute 1918/19 in Deutschland sowie der Arbeiterdemokratie zur Zeit des spanischen Bürgerkrieges bis hin zur Arbeiterkontrolle im Staatssozialismus. Soweit so bekannt.
Sehr erfreulich sind die Beiträge zu „politisch“ etwas weiter entfernteren Regionen, wie Algerien, Indonesien oder Indien/Westbengalen. Die Widerstände in Großbritannien, USA, Kanada und Italien gegen die kapitalistische Restrukturierung der 1970er u 80er Jahre kennen ebenso Beispiele der Arbeiterselbstbestimmung. Neuere Beispielen aus den letzten 20 Jahren in Argentinien, Venezuela und Brasilien bilden den Abschluss.
Angenehm ist im Gesamten die Varianz, was die jeweils unterschiedlichen Perspektiven und Situationen betrifft, in denen Arbeiterräte entstanden, sowie die unterschiedlichen Positionen, mit denen die Autoren*innen an die Grundfragen herangehen. Im Kern betreffen diese einmal das Verhältnis der tatsächlichen praktischen Selbstbestimmung/-verwaltung zur umgebenden Gesellschaft, mit den sozialen und politischen zum Teil auch widersprüchlichen Bedingungen. Zum Beispiel, ob die neuen Strukturen aus einem aktiven Kampf gegen die vormaligen Chef*innen heraus entstanden sind oder ob und inwiefern diese Bestrebungen mit anderen sozialen gesellschaftlichen Bewegungen verbunden, bzw. sogar getragen sind. Dann die möglichen Spannungen zu (nicht nur) offiziellen Gewerkschaften und oder (linken) politischen Parteien, und nicht zuletzt das Problem der eigenen (inneren sowie äußeren) revolutionären, emanzipatorischen Form, und das meint nicht nur Organisationsfragen.
Wie die Herausgeber in der Einleitung betonen, kann der vorliegende Band nur eine erste Auswahl bieten. Nicht nur die Geschichte bietet viele weitere exemplarische Fälle. Azzellini und Ness stellen sogar einen weiteren Band in Aussicht. Bis dahin kann man sich zur weiteren Diskussion und Reflexion auf der Webseite http://www.workerscontrol.net herumtreiben. Dort finden die geneigten Leser*innen nicht nur die Texte sondern noch deutlich mehr Material als zwischen zwei Buchdeckel passen.
In aller Form erkläre ich hiermit dieses Buch zum Kanon zeitgenössischer linker Bewegung gehörend. Einer tatsächlichen Bewegung, die einem solch f*** sozialen Verhältnis namens Kapitalismus nicht mehr ihr Tun und Sein einspeisen will und kann. Somit also lesen, diskutieren und ausprobieren! 29,80 Euro habe ich schon deutlich mieser verplempert.
MATTES
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