Seit Jahren beschäftigt sich Dario Azzellini mit der ArbeiterInnenselbstverwaltung. Jetzt gibt er einen guten Überblick über selbstverwaltete Betriebe in Frank- reich, Italien, Griechenland, Brasilien, Argentinien, Venezuela, Ex-Jugoslawien, den USA, der Türkei und Ägypten.
Azzellini verwendet in dem Buch durchgehend den Terminus »rückeroberte Betriebe unter ArbeiterInnenkontrolle« (RBA) und führt den Begriff in der Einleitung so ein: »Als RBA werden Betriebe bezeichnet, die zuvor als kapitalistisches Unternehmen existierten und deren Schließung oder Bankrott zu einem Kampf der ArbeiterInnen um eine Übernahme unter ArbeiterInnenselbstverwaltung geführt hat« (S.8). Vorbild für viele der vorgestellten Betriebe war Argentinien. Dort wurden während der Krise um 2001 gleich mehrere Betriebe besetzt. Die KollegInnen machten einen Prozess durch, den Azzellini bei allen von ihm beschriebenen Betrieben beobachtet hat: »Im Laufe des Kampfes entwickeln und übernehmen die meisten Betriebe egalitäre und direktdemokratische Praktiken und Strukturen und bauen Beziehungen zu anderen sozialen Bewegungen und kämpfenden Arbeite- rInnen auf.« (S.9) Besonders aktiv ist die Belegschaft der Seifenfabrik Vio.me in Griechenland, deren Produkte mittlerweile ebenso in Deutschland bestellt werden können, wie die Biotees der RBA Scop Ti, vorher Fralib in der Nähe von Marseille. Azzellini beschreibt den langen Kampf der Belegschaft gegen die drohende Schließung, der bei den verbliebenen ArbeiterInnen zu einem gesteigerten Selbstbewusstsein geführt hat: »Wir haben uns gegen Milliardäre erhoben. Sie haben gesagt, dass wir verrückt sind. Aber letztlich hat sich unser Wahnsinn ausgezahlt«, wird im Buch ein Beschäftigter zitiert (S.28).
Doch um überleben zu können, müssen sich die Betriebe auf dem Markt behaupten. Azzellini geht auf diese Problematik ein und formuliert sehr vorsichtig, »dass die RBA weder ihre Beziehungen zum Markt noch zum Staat auflösen können« (S.111). Schade, dass er auf die Alltagsprobleme von selbstverwalteten Fabriken im Kapitalismus nicht noch ausführlicher eingeht. Das gilt auch für das Kapitel zu den rückeroberten Betrieben in Venezuela. Schließlich hat Azzellini bei der Beurteilung des bolivarianischen Prozesses nach dem Regierungsantritt von Chavez das Augenmerk auf die Selbstorganisation von Teilen der Bevölkerung in den Stadtteilen, aber auch in den Fabriken gelegt. Gerade in einer Zeit, in der fast in allen Medien nur von der Krise in Venezuela die Rede ist, stellt sich die Frage, welche Rolle diese Ansätze von Selbstorganisation der Bevölkerung heute in dem Land spielen. Daher enttäuscht es etwas, wenn das entsprechende Kapitel mit dem Satz eingeleitet wird: »In Venezuela ist die Situation wiederum ganz anders und viel zu komplex, um hier umfassend dargestellt werden zu können« (S.87). Diese Kritik schmälert allerdings nicht Azzellinis Verdienst, in seinem Buch einen guten Überblick über selbstverwaltete Betriebe zu geben.
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