Azzellini: Mehr als Arbeitskampf!
Der Bergarbeiterstreik in Großbritannien 1984/85 gehört zu den bekanntesten Arbeitskämpfen der letzten Jahrzehnte. Anders sieht es mit einer ganzen Reihe von gewerkschaftlichen und sozialen Kämpfen in aller Welt aus. Mit dem Sammelband „Mehr als Arbeitskampf – Worker weltweit gegen Autoritarismus, Faschismus und Diktatur“ legt der Politikwissenschaftler Dario Azzellini eine gelungene Übersicht darüber vor, „wie sich Arbeiter*innen global in Gewerkschaften und anderen Organisationsformen früher und heute gegen Faschismus, Diktaturen (…) und autoritäre Tendenzen“ wehren. 34 Autor*innen aus 25 Ländern berichten über die Versuche, gewerkschaftliche Arbeit zu verhindern und vom – teils erfolgreichen – Widerstand dagegen.
So erfährt man im ersten Teil des Buches einiges über den Widerstand der argentinischen Arbeiter*innen gegen die neoliberalen Maßnahmen der Regierung Mauricio Macri in den Jahren 2015 bis 2019. Dieser gipfelte in einem Generalstreik. Dass das vor kurzem in Chile abgehaltene Verfassungsreferendum ebenfalls nur durch einen 2019 stattgefundenen Generalstreik möglich wurde, ist in einem weiteren Beitrag aus Lateinamerika nachvollziehbar dargestellt. Abgerundet wird der Blick auf den lateinamerikanischen Kontinent durch Berichte aus Brasilien und Kolumbien. Unter der brasilianischen Militärdiktatur von 1964 bis 1985 wurden Gewerkschafter*innen gefoltert oder ermordet. Widerstand gegen die Diktatur organisierte unter anderem der spätere brasilianische Staatspräsident Lula da Silva. In Kolumbien, formal ein demokratischer Staat, wird Gewerkschaftsarbeit seit Jahren von staatlichen Stellen verfolgt und viele Kolleg*innen werden regelmäßig von Paramilitärs entführt und/oder ermordet. Doch trotz aller Repression gibt es auch hier immer wieder Streiks und gewerkschaftlichen Widerstand.
Im Beitrag über Südafrika wird deutlich, welchen Anteil der Gewerkschaftsdachverband COSATU an der Beseitigung des Apartheidregimes hatte. Berichte aus Ägypten und Tunesien komplettieren die afrikanische Sichtweise. Ihren Platz in der gelungenen Gesamtdarstellung finden ebenso Berichte aus Asien. Stellvertretend sei an dieser Stelle auf den Beitrag aus Indonesien verwiesen. Dort wurde die Arbeiter*innen- und Gewerkschaftsbewegung unter dem Suharto-Regime blutig unterdrückt und verfolgt. Doch 1994 trugen „eine Reihe von Streiks und Protesten mit zu der antiautoritären Reformasi-Bewegung bei, die während der Asienkrise in Suhartos Sturz resultierte.“ Beiträge aus Südkorea, Japan, Indien und den Philippinen vervollständigen die asiatischen Länderberichte.
Vorderasien wird durch Beispiele aus dem Iran, Israel, Irak und dem Libanon vertreten. Letzterer wird seit Monaten von sozialen Unruhen erschüttert, da immer mehr Menschen kaum noch ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Die Autor*innen des Beitrags stellen zu Recht fest: „Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Umstände wird die Organisierung von Arbeiter*innen immer notwendiger, um bessere Arbeitsbedingungen zu erzielen.“ Abgeschlossen wird das Buch durch Beiträge aus Europa. Eine gute Übersicht über den aktuellen Widerstand gegen die „Reformpläne“ des französischen Präsidenten Macron bietet das Kapitel über Frankreich. Beim Lesen des Beitrags aus England werden die Streiks der britischen Bergarbeiter aus den 1980er Jahren wieder lebendig. Es bleibt festzuhalten, dass dem vorliegenden Band eine weite Verbreitung zu wünschen ist. Er ruft Altbekanntes wieder ins Gedächtnis und schließt Wissenslücken aus Regionen, die nicht jeden Tag in den Medien vorkommen.
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