Seit drei Monaten stellt die konservative Pan in Mexiko den Präsidenten. Ein Gespräch mit paco Ignacio Taibo II über das politische und soziale Klima im Land
Die Monster von Fox
Als Vicente Fox im Dezember vergangenen Jahres die Präsidentschaft in Mexiko übernahm, kam das einer politischen Sensation gleich. Über siebzig Jahre lang hatte es kein Kandidat der Opposition in dieses Amt geschafft. Mit seiner Wahl im Sommer wurde die »perfekte Diktatur« der laizistischen Staatspartei PRI (Partei der Institutionalisierten Revolution) beendet.
Der neue Präsident ist ein ehemaliger Coca Cola-Manager, bekennender Katholik und Mitglied der konservativen Pan (Partei der Nationalen Aktion). Wie schätzen Sie die Situation ein?
Man muss betonen, dass es sich hier um eine besondere Transition handelt. Jene Kräfte, die diesen Veränderungsprozess ausgelöst haben, haben nicht gewonnen. Die jetzige Transition hat ihre Ursache in 20 Jahren der sozialen Kämpfe und in einem Wahlbündnis, das von Cuauhtémoc Cárdenas angeführt wurde, dem Bürgermeister von Mexiko-Stadt, der der linken PRD angehört. Die Interventionen der Linken haben den Spielraum und die Durchsetzungsfähigkeit der PRI allmählich untergraben und zerstört. Plötzlich tauchte dann ein konservatives Mitte-Rechts-Projekt auf und ging als Sieger aus diesem Prozess hervor.
Was genau haben sich die Wähler von Fox und seinen Leuten versprochen?
Die Pan riss alle programmatischen Ideen der Linken an sich und behauptete, alles sei machbar. Die Bevölkerung handelte nach der Logik der »nützlichen Stimme« und schenkte Fox den Sieg. Sie folgte damit den Appellen mehrerer linker und liberaler Intellektueller, Fox zu wählen, um die PRI zu schlagen, statt die Stimme »nutzlos« der linken PRD zukommen zu lassen.
Was passiert nun mit der PRI?
Mit dem Wahlsieg von Fox hat der Zerfall der PRI begonnen. Aber das ist ein Prozess, der weder unumkehrbar noch endgültig ist. Die PRI könnte sich wieder konsolidieren. Den von ihr gestellten Gouverneuren der Bundesstaaten kommt hierbei eine wichtige Rolle zu.
Was sind die politischen Essentials von Fox?
Es ist eine Regierung, die sich nur auf wenige Kader stützen kann. Ihre Grundlage ist eine Reihe von Versprechen. Sie hat alles Mögliche versprochen, sie hat die Programme der Linken, der PRI und aller anderen ausgeschlachtet. All diese Wahlversprechen stehen aber im Widerspruch zu ihrem Vorhaben, einen virulenten Neoliberalismus durchzusetzen. Sie kündigte an, die Korruption zu bekämpfen, das Land zu redemokratisieren, politische Freiheiten zu gewährleisten, Frieden in Chiapas zu machen, keine Privatisierungen vorzunehmen und vieles mehr. Diese Bekundungen stehen natürlich im Widerspruch zu den Grundlagen des neoliberalen Projekts, das die Pan eigentlich verfolgt.
Aus welchen Bevölkerungsgruppen kommen die Pan-Leute?
Sie sind die Vertreter eines Teils der Oligarchie, der nie Zugang zur großen Wirtschaftsmacht hatte, der blockiert wurde von der staatsfixierten PRI-Oligarchie, die den Kapitalismus pervertierte. Der perverse Kapitalismus der PRI brach seine eigenen Grundregeln von Angebot und Nachfrage durch die enorme Korruption und den Machtmissbrauch.
Aus den Reihen der Pan kommen Forderungen wie die nach einem Verbot von Miniröcken. Küsse in der Öffentlichkeit sollen mit Gefängnisstrafen geahndet werden.
Diese Leute sind geprägt von Analphabetismus, mangelnder Initiative und wenig Vorstellungskraft. Es ist ein Milieu, das niemals etwas mit dem Kulturbereich zu tun hatte, man hält das nicht für wichtig. Hinzu kommt die neoliberale Logik, die den Staat und den Kultursektor so weit wie möglich reduzieren will. Auch die Kultur muss wirtschaftlich rentabel werden. Das bedeutet, dass es in Zukunft weitere drastische Kürzungen geben wird, dort, wo noch gekürzt werden kann. Man darf nicht vergessen, dass auch die PRI-Regierung in den letzten Jahren von der neoliberalen Logik affiziert war und wichtige Infrastruktur zerstört worden ist.
Sie wenden sich gegen eine Kommerzialisierung der Kultur. Welches Vorhaben der Regierung empfinden Sie als besonders skandalös?
Wenn es nach dem Willen des Finanz- und des Wirtschaftsministers ginge und wenn es in ihrer Macht stünde, dann würden sie die Pyramiden von Teotihuacan in ein Disneyland verwandeln. Sie wollen wirklich anthropologische Parks schaffen, die an das Hotelgewerbe angeschlossen sind. So etwas erzeugt aber schwer wiegende Konflikte. Die Ausgrabungsorte sind so etwas wie laizistische Pilgerstätten. Es sind also ganz gewöhnliche Mexikaner, die das Museum von Chapultepec oder die Pyramiden von Teotihuacans besuchen. Dabei geht es um die Begegnung mit der Geschichte des Landes und seinen wichtigsten Symbolen. Privatisierung bedeutet jedoch, dass plötzlich Barrieren und Mauern gebaut werden, Eintrittsgeld verlangt wird. Das schafft Konflikte, weil es sich gegen eine in der Bevölkerung weit verbreitete Tradition richtet. In dieser Hinsicht müssen die Pan-Leute also sehr vorsichtig sein.
Die Kulturpolitik setzt zugleich auf eine Renaissance konservativer Werte.
Ja, der Foxismus hat im ganzen Land Hunderte von konservativen und ultrakonservativen Vorstellungen, die aus der Gedankenwelt der PRI verbannt waren, wieder belebt. Sie sehen die Regierung als ihr politisches Projekt, und ihre Vorstellungen sind mit dem Konservatismus, dem Traditionalismus und reaktionären Teilen der katholische Kirche verbunden. Diese Mileus gingen im vergangenen Jahr sehr aggressiv gegen bestimmte Projekte vor. Fotoausstellungen wurden zensiert, ein Gemälde wurde zerstört, weil es angeblich obszön war, Filme wurden verboten, in einer Schule wurden Jugendliche rausgeschmissen, weil sie sich ihre Haare blau gefärbt hatten. Solche Anmaßungen der Regierung hat es im vergangenen Jahr mehrfach gegeben, und das hat etliche Debatten ausgelöst. Diese Leute, die ich »die Monster von Fox« genannt habe, befinden sich auf einem Kreuzzug in Sachen Nationalgeschichte, sie berufen sich auf die konservativen Erfahrungen in der Geschichte. Die damit ausgelöste Diskussion ist sogar Fox unangenehm, denn damit kann man eigentlich keine Schlachten schlagen, aber es ist ja gleichzeitig seine Basis.
Fox könnte versuchen, die Kulturleute auf seine Seite zu ziehen.
Nicht mal die PRI hat es geschafft, diese Künstlergemeinde zu domestizieren. Sie ist immer eine kritische Szene geblieben, trotz der Gelder, der Subventionen und der Geschäfte, die die PRI anbieten konnte. Der Pan wird das jetzt noch viel weniger gelingen. In dieser Hinsicht ist Mexiko-Stadt ein wunderbares Schlachtfeld, hier sind 25 000 bis 30 000 Kulturschaffende konzentriert, Kino, Theater, Ballett, viele von ihnen haben jahrelang gekämpft, sie werden ihr Terrain nicht aufgeben, denn sie sind sich bewusst, dass es hier einen Ort der Kommunikation gibt, wo sich Konsumenten von Kultur und Intellektuelle austauschen.
Stellt die Kulturpolitik der PRD-Regierung in Mexiko-Stadt ein Gegengewicht zur staatlich propagierten Kultur dar?
Die PRD könnte eine kulturelle Alternative schaffen, doch ich habe meine Zweifel, denn im Regierungsprojekt von Lopez Obrador, dem neuen Bürgermeister, wird kein besonderes Augenmerk auf die Kultur gerichtet. Dennoch wird hier ein Unterschied deutlich werden. Wahrscheinlich wird sich auf dem Feld der Kultur ein ganz interessanter Prozess abspielen. Denn die Kultur wird einer der ideologischen Bereiche sein, wo sich zwei völlig verschiedene Sichtweisen auf das Land, zwei politische Optionen am deutlichsten spiegeln. Das eine Projekt ist neoliberal, analphabetisch, konservativ und von der Bürokratie und ihrer Strategie, bloß kein Aufsehen zu erregen, geprägt. Das andere ist verbunden mit den radikalen intellektuellen Milieus. Es wird von vielen Leuten unterstützt, und die sind eben kämpferisch. Wir werden in den nächsten Monaten einen Schlagabtausch nach dem anderen erleben.
An welchen Themen werden sich die Debatten entzünden?
Sie werden auf verschiedenen Feldern geführt werden. Einmal wird es darum gehen, dass in die Schulbücher konservative Gestalten aus dem Unabhängigkeitskrieg eingeführt werden sollen, ein andermal wird es sich darum drehen, dass die Regierung Theater oder Jugendclubs schließen will. Es gibt tausend Beispiele.
Das Vorgehen scheint aber wenig einheitlich und zielgerichtet zu sein. Im Bundesstaat und in den Vorstädten von Mexiko-Stadt organisiert die Jugendorganisation der Pan jedes Wochenende Punk- und Hardrock-Konzerte auf Fußballplätzen.
Der Foxismus ist kein homogenes Ding. Er ist ein Konglomerat aus Elementen, die an die Oberfläche geraten sind, als die Scheiße umgerührt wurde.
Wie wehren Sie sich gegen das kulturkonservative Projekt?
Ich war kürzlich in Baja California, im Norden Mexikos, ich bin dorthin geflogen und habe eine Debatte organisiert, danach habe ich eine Pressekonferenz gegeben und den dortigen Kulturminister als Faschisten bezeichnet. Der Typ hatte ein Regelwerk für die Mittelschulen verabschiedet, das den Jugendlichen verbietet, sich die Haare zu färben, kurze Röcke oder hohe Absätze zu tragen, die Augenbrauen zu zupfen und einiges mehr. Sie hatten schon drei Jugendliche von der Schule geschmissen. Ich bin also hingeflogen und habe gesagt, dass das gegen die Verfassungsrechte verstößt, und was sie denn mit mir machen, wenn ich mir die Haare grün färbe.
Was passierte dann?
Es entstand eine breite Debatte unter der Beteiligung von Lehrern und Intellektuellen, der Kulturminister des Bundesstaates reagierte auf Seite eins der Zeitungen und beschwichtigte, es sei ja nicht so schlimm, wir sollten uns mäßigen. Ich habe nur noch härter reagiert. Der Typ hatte nicht die mindeste Sensibilität, um zu verstehen, dass Identitätssymbole für Jugendliche wichtig sind. Wenn du die Elemente der Rebellion ausradierst, dann produzierst du unterwürfige Jugendliche.
An rebellischen Jugendlichen und kritischen Debatten kann Fox auch kein Interesse haben.
Nein, sie gefallen ihm auch nicht, aber diese Diskussionen sind unausweichlich. Schon allein deshalb, weil die Widersprüche im Foxismus selbst angelegt sind. Sie haben einerseits die ultrakonservative Position gestärkt, verfolgen andererseits eine neoliberale Logik. Das führt zu Konfrontationen. Zudem tendieren ihre Fähigkeiten, sich im intellektuellen Diskurs zu bewegen, gegen Null, sie sind im kulturellen Sinne sehr dumpf. Ich glaube die Rechte - die traditionelle, nicht die PRI-Rechte - hatte nur einen einzigen Kulturkader, und zwar Roman Revueltas, den Violinisten und Journalisten, den sie aber nicht einmal aufgefordert haben, sich an ihrem Apparat zu beteiligen. Sie haben Angst vor ihm, denn er ist ein wenig verrückt.
Dennoch konnte Fox einige namhafte Intellektuelle - z.T. ehemalige Linke - in sein Projekt integrieren, etwa Carlos Fuentes oder Aguilar Zinser.
Fuentes nicht, es gab da lediglich eine Annäherung, aber keine Integration. Funktioniert hat das mit Aguilar Zinser und mit Castañeda, die Linke waren, als sie noch klein waren, aber ihre Entscheidung, sich auf diese Seite zu stellen, verwandelt sie in Intellektuelle der neuen Rechten. Sie haben versucht, eine Brücke zu bauen und viele Leute zu gewinnen, sie sind die Erfinder der berühmten »nützlichen Stimme« und ihre Rolle ist es, diese Brücke zu bauen, aber sie sind gescheitert, sie hatten so viel Erfolg wie ein paar Frösche.
Unter der vorherigen PRD-Regierung in Mexiko-Stadt, mit Cuauhtémoc Cárdenas und dann Rosario Robles als Bürgermeister, wurde sehr viel im Kulturbereich getan. Hat das etwas im Bewusstsein verändert?
Ein großer Teil der Bevölkerung hat sich das Konzept der Linken, dass es sich bei der Kultur nicht um ein sekundäres Gut, sondern um ein grundlegendes Recht handelt, zu Eigen gemacht. Und wenn du die Grundrechte aufzählst, dann gehören Arbeit, Gesundheit, Wohnung, Erziehung und Kultur auf die Liste. Wenn du jemandem, der eine schlechte Arbeit hat, sich schlecht ernährt und einen erschwerten Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung hat, auch noch den Club nimmst, wo er kostenlos Gitarre lernen kann, dann bringst du ihn um. Ich glaube die Vorstellung, dass Kultur ein Recht ist, hat sich schon durchgesetzt.
Was hat die seit drei Jahren in der Hauptstadt regierende PRD in kultureller Hinsicht gebracht? Vorher waren sogar Rockkonzerte an öffentlichen Plätzen verboten, jetzt werden sie gefördert.
In Mexiko-Stadt gibt es ein großes Angebot kostenloser und guter kultureller Aktivitäten. Der große Unterschied ist, dass keinerlei Zensur stattfindet. Es gibt interessante Experimente, vor allem zur Verbreitung von Kultur auf der Straße. Die größte Schwachstelle liegt hingegen im Wiederaufbau der Basiskultur, da ist kein Projekt gelungen. Aber es gab in den vergangenen Jahren wirklich sehr positive Sachen. Der Zócalo, der zentrale Platz der Stadt, war ein ständiges Fest, es verging nicht ein Tag, ohne dass dort etwas los war. Es ist eine Freude, in der Hauptstadt zu wohnen, einer vitalen Stadt, voller Aktivitäten, du musst nicht dafür bezahlen zu leben.
Sie unterstützen einige kulturelle Aktivitäten der PRD-Stadtverwaltung.
Ich bin hier in dreihundert Kriege und vierhundert Schlachten verwickelt, die mit diesen Projekten zu tun haben. Ich leiste Unterstützung ohne Gehalt, ohne Chauffeur, ohne Geld, ich behalte meine ökonomische Unabhängigkeit von der Stadtregierung. So habe ich das Projekt »Um in Freiheit zu lesen« geleitet und bei einigen anderen mitgeholfen. Wir haben in den Randbezirken von Mexiko-Stadt 300 000 Romane unter Jugendlichen verteilt. Das war ein spektakulärer Erfolg, es haben sich Schlangen von 15 000 Leuten gebildet. Es waren auch alles nicht-traditionelle Romane von Schriftstellern wie Ray Bradbury, Raymond Chandler, Emilio Pacheco, Bücher, die nicht in der Schule empfohlen werden, die reine Subversion, wie etwa John Reed.
Schreiben Sie an einem neuen Roman?
Die letzten Monate seit meiner Rückkehr von der »Semana Negra«, einem Kulturfestival, das ich immer in Gijon, Spanien, organisiere, arbeite ich an einem Roman, der schon relativ weit gediehen ist und den Titel »Wir kehren zurück wie Schatten« tragen wird.
Worum geht es?
Es ist ein politischer Abenteuer-, Kriminal- und Spionageroman. Die Versuchung daran war, einen totalen Abenteuerroman zu schreiben.
Können Sie etwas zu der Geschichte sagen?
Mexikanischer Kaffee, Hitler, der sich morgens Koffein spritzt, die Personen aus »Schatten im Schatten«, die zwanzig Jahre später zurückkehren, Irrenhäuser, der betrunkene Hemingway, der plötzlich im Golf von Mexiko auftaucht, Nazis im mexikanischen Kaffeeanbaugebiet, korrupte Innenminister, die sich auf ein großes Geschäft vorbereiten, Graham Greene als deutscher Spion. Alles in einem Roman.
interview: dario azzellini
Paco Ignacio Taibo II wurde 1949 in Gijon, Spanien, geboren und lebt seit 1958 in Mexiko-Stadt. Er ist Journalist, Universitätsdozent, Historiker und Schriftsteller. Bekannt sind vor allem seine Kriminalromane um den Antihelden Belascoarán, der intrigenreiche Politkrimi »Vier Hände«, seine Biografie Che Guevaras und sein Buch über den Aufenthalt des Revolutionärs im Kongo. Ende des Jahres erscheint in Deutschland sein neuer Roman »Wir kehren zurück wie Schatten«.
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