Der Nationale Wahlrat Venezuelas (CNE) hat den nächsten Schritt der Unterschriftensammlung für ein Referendum zur Abwahl von Präsident Maduro vorläufig ausgesetzt. Der CNE reagierte damit auf die Entscheidung von mindestens fünf Regionalgerichten, die Unterschriftensammlung in der Region auszusetzen und Strafverfahren einzuleiten, da mehr als ein Drittel der Unterschriften der ersten Runde (bei der ein Prozent der Wahlberechtigten eines jeden Bundesstaates unterzeichnen müssen) falsch waren. Daher wurde der nächste Schritt, die Sammlung der Unterschriften von 20 Prozent der Wahlberechtigten, ausgesetzt. Mindestens acht Führungskräften der Opposition wurde untersagt ins Ausland zu reisen, so lange ein Ermittlungsverfahren gegen sie läuft.
Entgegen aller Beschwerden von rechts und von links ist die Aussetzung der Unterschriftensammlung juristisch und verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Dass es legal ist, heißt aber nicht es sei auch politisch günstig oder richtig. Ich denke, es ist ein politischer Fehler, das Referendum auf diese Weise weiter zu verzögern oder zu verhindern.
Ein "Impeachment", also die parlamentarische Einleitung eines Verfahrens und die Absetzung des Präsidenten (wie in Brasilien, Paraguay, Honduras) existiert in Venezuela nicht. Die von der internationalen Presse wiederholten Behauptungen der Opposition, Maduro nun mittels der Nationalversammlung seines Amtes zu entheben, sind unsinnig und illegal.
Ein Blick auf die Details lässt vermuten, dass die Opposition mit der Aussetzung des Abwahlreferendums das erreicht hat, was sie wollte, und die Regierung ist in die Falle gelaufen, die die Opposition ausgelegt hat. Seit Beginn der Unterschriftensammlung liegt der Verdacht nahe, die Opposition habe kein Interesse an einem Referendum und der Übernahme der Regierung. Sie können die Ölpreise auch nicht steigen lassen und wollen kaum in einer Situation sein, in der sie für die Krise und die Unfähigkeit, sie zu lösen, verantwortlich gemacht werden - das alles zwei Jahre vor den nächsten regulären Präsidentschaftswahlen... die die Opposition gewinnen will.
Warum hat die Opposition die Unterschriftensammlung so spät aktiviert, dass es bereits unwahrscheinlich schien, das Referendum könnte noch 2016 stattfinden (und damit auch Neuwahlen - würde Maduro verlieren)? Wird es 2017 durchgeführt, tritt an die Stelle Maduros - wenn er das Referendum verliert - der Vizepräsident bis zur nächsten regulären Wahl. Die Unterschriftensammlung hätte im Januar gestartet werden können und nicht erst Monate später. Die Opposition brauchte in der ersten Runde nur die Unterschriften von einem Prozent der Wahlberechtigten (cirka 120.000 Unterschriften), gab aber rund zwei Millionen ab. Dies verzögerte die Überprüfung. Mehr als ein Drittel davon stellten sich als falsch heraus. Da die Unterschriftensammlung auf der Grundlage der Wahlregistrierungslisten läuft und die Identität mit dem Personalausweis bestätigt werden muss, sind mehr als ein Drittel falsche Unterschriften nicht einfach ein 'menschlicher Fehler', wie MUD-Vertreter meinen, sondern verweisen auf einen organisierten und systematischen Betrug aus den Reihen der Referendum-Organisatoren. Das Referendum wurde ohnehin nur von einer der drei großen Strömungen in dem Oppositionsbündnis MUD unterstützt, die anderen, so auch die Mehrheit der MUD-Abgeordneten unterzeichnete nicht einmal. Der Großteil der Opposition glaubte nicht an das Referendum und unterstützte es nicht.
Ist das stümperhafte Vorgehen der Unfähigkeit und Zerstrittenheit der Opposition geschuldet oder ist es Absicht, um eine Situation zu schaffen, in der es einfach ist, das Abwahlreferendum aufgrund legaler Probleme auszusetzen oder zu stoppen?
Ganz gleich wie die Details und die legale Situation aussehen, national wie international wird es ein "weiterer Schlag Maduros gegen die Demokratie" sein. Aber auch politisch ist es falsch, sollte das Referendum nicht stattfinden. Die Möglichkeit eines Abwahlreferendums ist ein wichtiger und innovativer Bestandteil der venezolanischen Demokratie. Chávez selbst gewann ein Referendum zu seiner Abwahl überragend. Das würde Maduro sicher nicht gelingen. Aber so unbeliebt er und die Regierung auch sein mögen, dass er verlieren würde ist auch nicht sicher.
Das gesagt, muss unterstrichen werden, dass die Regierung nicht überzeugend ist in ihrem Umgang mit der ökonomischen, politischen und sozialen Krise und noch weniger darin, die eigenen Politiken der Bevölkerung und Basis zu vermitteln. Die Antworten sind nicht links, anti-zyklisch, basisorientiert oder partizipatorisch, sondern eher die eines traditionellen autoritären Entwicklungs- und staatszentrierten Modells, das zugleich versucht die Sozialausgaben zu erhalten. Es wird versucht ausländische Investitionen mit einer Öffnung des Bergbausektors für transnationale Unternehmen ins Land zu lotsen. In der Basis herrscht daher ein großes Misstrauen gegenüber der Regierung. Die Opposition ist aber definitiv keine Alternative und eine linke Alternative hat sich bisher nicht konsolidiert. Ein Abwahlreferendum würde daher kein einziges der Probleme lösen, die Venezuela plagen (von der Wirtschaftskrise über die Führungskrise bis zur Krise des politischen Projekts).
Die rechte Opposition bereitet alles vor, um wie in Brasilien, Honduras und Paraguay den Präsidenten mittels eines "parlamentarischen Coups" abzusetzen. Dies ist jedoch in der venezolanischen Verfassung und Gesetzgebung nicht vorgesehen.
Es ist daher nachvollziehbar und gut, dass die Basis sich mobilisiert und die Nationalversammlung besetzt hat, um eine Situation zu verhindern, die nach Außen wie die Absetzung von Dilma Rousseff in Brasilien aussehen würde. Die Videos und Bilder aus der Nationalversammlung zeigen auch, dass es keine "Schlägertrupps der PSUV" waren, sondern Menschen aus den Armenstadtteilen, darunter viele ältere Frauen.
In den großen Mobilisierungen, die nun folgen, werden Viele aktiv werden, die der Regierung Maduro sehr kritisch bis ablehnend gegenüber stehen, aber auf keinen Fall eine Rückkehr der Rechten erleben wollen. Das wird die Krise in Venezuela nicht lösen. Noch wird es die Maduro-Regierung (zumindest nicht auf sozialistische und partizipative Weise). Wenn die Ambitionen der Rechten, einen Zusammenbruch zu provozieren, zurückgeschlagen werden, wird die zentrale Frage sein, ob es der chavistischen Basis gelingt, für eine Veränderungen der Regierungspolitiken zu mobilisieren.
Foto: Regierungsanhänger "besetzten" am vergangenen Sonntag kurzzeitig den Plenarsaal
Quelle: Henry Tesara /AVN
https://amerika21.de/blog/2016/10/163123/los-venezuela
http://www.azzellini.net/newsletter/112016-neues-buch-ueber-kommunen-und...