Dario Azzellinis neues Buch gibt Einblicke in die italienische Bewegungslandschaft
Die Linke nach Genua
Die italienische Linke ist derzeit die mobilisierungsfähigste und kreativste Europas. Neben den zwei erfolgreichen Generalstreiks wurde dies hier zu Lande im letzten Dreivierteljahr vor allem durch die Millionen-Demos gegen die Novellierung des Kündigungsschutzes bzw. den Irak-Krieg wahrgenommen. Zuvor hatten die Ereignisse rund um den G8-Gipfel in Genua im Juli 2001 die sozialen Auseinandersetzungen in Italien ins Licht einer breiten Öffentlichkeit gerückt.
In seinem Buch "Genua - Italien, Geschichte, Perspektiven" stellt Dario Azzellini die Praktiken und Diskurse der italienischen Bewegungen detailliert vor. Gleichzeitig bietet das Buch eine kurze Einführung in die wichtigsten politischen Ereignisse im Nachkriegsitalien aus Sicht der außerparlamentarischen Linken. Um den historischen, politischen und kulturellen Kontext der heutigen Bewegungen verständlich zu machen, widmet sich Azzellini eingangs den sozialen Kämpfen seit der (Selbst-)Befreiung vom Faschismus. Beginnend mit den revolutionären Ambitionen von Teilen der antifaschistischen WiderstandskämpferInnen über die neofaschistische Strategie der Spannung und die Niederlage der radikalen Linken 1977 bis hin zu Genua werden zentrale Etappen linker Politik beschrieben. Auch den veränderten Rahmenbedingungen nach dem Zusammenbruch des Parteiensystems Mitte der 90er Jahre widmet sich der Autor. So befasst sich je ein Kapitel mit den regierenden Rechtsparteien Forza Italia, Lega Nord und Alleanza Nazionale. Diese Darstellungen zeichnen sich trotz ihrer Kürze durch Differenziertheit aus: Sie widerlegen die gängigen Klischees, wonach die Forza Italia eine faschistische Partei und die Lega bloß eine Folkloretruppe sei.
Da auf knapp 200 Seiten unmöglich die gesamte Bewegungslandschaft Italiens abgebildet werden kann, beschränkt sich das Buch auf die drei wichtigsten Kräfte der radikalen Linken: Rifondazione Comunista, die Cobas-Gewerkschaften, sowie Tute Bianche/Disobbedienti und Umfeld. Durch O-Töne und politische Statements von AktivistInnen vermittelt sich eine Vorstellung von der Dynamik, die sich aus dem Handeln dieser höchst unterschiedlichen Bewegungen ergibt. Im Disobbedienti-Spektrum sieht Azzellini "einen der innovativsten Versuche linker Politik in Europa". Deutlich wird auch, welchen Einschnitt Genua für die Bewegungen bedeutet hat, sowohl was die Kreativität, die Entschlossenheit und Solidarität der unerwartet hohen Zahl an DemonstrantInnen betrifft, aber eben auch mit Blick auf die staatsterroristischen Angriffe, die im Buch als "versuchtes Massaker" beschrieben werden.
Einziger Wermutstropfen bei diesem gelungenen Band sind die teilweise gehäuft auftretenden Tippfehler. Dafür werden die LeserInnen durch einen Einblick in die italienische Bewegungslandschaft entschädigt. Mehr noch: Wer von den spezifischen italienischen Bedingungen abstrahiert, findet hier wertvolle Anregungen für die eigene politische Praxis. Zudem leistet dieser Band einen wichtigen Beitrag zu der in der deutschen Linken anhaltend geführten Diskussion um den Charakter der sogenannten globalisierungskritischen Bewegungen. Nicht überall, wo über Globalisierung diskutiert wird, träumt man vom keynesianischen Wohlfahrtstaat. Nicht überall, wo globalisierungskritisch draufsteht, bleibt ein moderner und differenzierter Antikapitalismus außen vor. Dario Azzellinis Buch zeigt: Eine widerständige Praxis ist möglich!