Die „neuen“ Protestbewegungen: „Wir zahlen nicht für eure Krise – wir sind eure Krise“
Auf dem Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie
„Krisen in der Gesellschaft – Gesellschaft in der Krise. Herausforderungen für die Soziologie“
24. - 27. September 2013, Linz, Österreich
Die Jahre 2011 und 2012 waren weltweit von Aufständen, Bewegungen und Protesten gegen die multiple Krise oder Vielfachkrise (ökonomische, politische, ökologische Krise, Finanz-, Steuer-, Reproduktions- und Repräsentationskrise usw.) geprägt. Weltweit wehren sich Millionen Menschen gegen die beschleunigte Umverteilung zu Gunsten des Kapitals und entwickeln gemeinsam neue Organisationsformen und kollektive direktdemokratische Praxen in Räumen und Territorien die sie sich temporär aneignen. All das deutet auf einen möglichen historischen Wandel hin: die wachsende globale Ablehnung der repräsentativen Demokratie und damit einhergehend die Politisierung breiter Bevölkerungsschichten in der Erprobung direktdemokratischer Praxen und Zusammenkünfte.
Was ist also das spezifisch „Neue“ dieser Bewegungen und bedarf es zur Erforschung dieser gesellschaftlichen Phänomene nicht auch neuer soziologischer Analyseinstrumente, Methoden und Ansätze? Ist das vorhandene Repertoire der „klassischen“ sozialen Bewegungsforschung dafür ausreichend oder selbige nicht vielmehr durch eine spezifische historische Nachkriegssituation und gesellschaftlichen Kompromiss geprägt, der allmählich zu Ende geht?
In diesem Panel wollen wir folglich zweierlei: einerseits sollen die neuen Formen und Praxen dieser Bewegungen herausgearbeitet, deren Verknüpfungen zu früheren Protestbewegungen (globalisierungskritische Bewegung, soziale Bewegungen in Lateinamerika, Studierendenproteste, etc.) untersucht als auch ihr Wirkungspotential auf herrschende soziale und politische Verhältnisse diskutiert werden. Anderseits wollen wir in Anbetracht der Tatsache, dass diese Bewegungen oft vielfältige soziale Akteure vereinen, genauer erforschen, wie und ob ihre gemeinsamen Formen und Praktiken auf einen radikalen gesellschaftlichen Wandel jenseits des Kapitalismus verweisen. Welche neuen Formen von Gemeinschaft und Reproduktion werden dadurch in Gang gesetzt und wie können diese alternativen Formen der gemeinschaftlichen Organisation und Produktion hegemonial werden und im Mainstream ankommen?
Bei der Beantwortung dieser Fragen soll ebenso auf methodologischer Ebene eine Diskussion um ein adäquates und zeitgemäßes soziologisches Analyseinstrumentarium geführt und das bestehende sozialwissenschaftliche Repertoire kritisch reflektiert werden.
Vorträge im Panel
Der globale Aufstand – Gemeinsame Ursprünge und Praxen
Dario Azzellini wird Gemeinsamkeiten der neuen Bewegungen herausarbeiten und auf dieser Grundlage argumentieren warum es sich dabei um ein globales Phänomen handelt. Eine globale Antwort von unten auf die Krise der liberalen wirtschaftlichen und politischen Modells, bzw. des kapitalistischen Systems und des Prinzips der Repräsentation.
Widerstand am Balkan: von Arbeitskämpfen über Studierendenproteste zu neuen politischen Subjektivitäten
Michael Kraft präsentiert seine Forschungsergebnisse zu den jüngsten Protestbewegungen am Balkan sowie deren lokale und globale Vorläufer. Er geht dabei der Frage nach, inwiefern sich diese Bewegungen jenseits der Dichotomie von Markt und Staat konstituieren.
¡No es crisis – es capitalismo! Momentaufnahmen spanischer Proteste
Christine Schwarz präsentiert die Ergebnisse ihrer Forschungen zu spanischen Protestbewegungen. Sie hat in den vergangenen zwölf Monaten während mehrerer Aufenthalte Interviews mit Studierenden und AktivistInnen durchgeführt und wird über ihre Erfahrungen mit den neuen Bewegungen in Spanien – von Studierendenprotesten bis zu Anti-Zwangsräumungs-Demonstrationen berichten.
Formen des Widerstands und politische Subjektivierungsprozesse im aktuellen Kontext
Nina Bandi untersucht aus sozialtheoretischer Perspektive, inwiefern die globale kapitalistische Krise neue politische Subjektivitäten hervorbringt.
PanelteilnehmerInnen
Dario Azzellini (JKU Linz)
Politikwissenschaftler und Soziologe, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Linz, Autor und Dokumentarfilmer. Schwerpunkte seiner Studien sind Prozesse sozialer Transformation, Bewegungen, Demokratie, lokale und Arbeiterselbstverwaltung, Privatisierung militärischer Dienstleistungen und Migration. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, darunter Partizipation, Arbeiterkontrolle und die Commune (2010); zusammen mit Immanuel Ness Die endlich entdeckte politische Form (2012) und mit Marina Sitrin Occupying Language (2012). Verschiedene Dokumentarfilme, zuletzt Comuna im Aufbau. Er gehört zum Herausgeberrat von Working USA, Cuadernos de Marte und workerscotnrol.net. Mitherausgeber der International Encyclopedia of Revolution and Protest. www.azzellini.net
Nina Bandi (ZHdK Zürich)
Philosophin und Politikwissenschaftlerin. Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK, Schweiz). Studien der Politikwissenschaften an der Universität Genf und MA in Social and Political Thought, University of Sussex (UK). Forschungsschwerpunkte sind politische und Sozialphilosophie, Sozialtheorie sowie Kulturkritik.
Michael G. Kraft (JKU Linz)
1977 in Mauthausen geboren. Sozialwissenschaftler und Philosoph. Lehrbeauftragter für soziale Bewegungen an der Universität Linz. Doktorat in ökonomischer Theoriegeschichte, MA International Education and Development an der University of Sussex und Studium der Philosophie an der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind politische Ökonomie und Sozialphilosophie, soziale Bewegungen, Neoliberalismus und (Konter-)Hegemonie sowie emanzipatorische Bildung. Jüngste Veröffentlichungen: Soziale Kämpfe in Ex-Jugoslawien, Hg., 2013 (Mandelbaum: Wien).
Christine Schwarz (JKU Linz)
Studierende der Soziologie an der JKU Linz und forscht schwerpunktmäßig zu sozialen Bewegungen, vor allem M-15 und die Bewegung gegen Zwangsräumungen in Spanien. Dort hat sie in den vergangenen zwölf Monaten während mehrerer Aufenthalte Interviews geführt.
Johannes Kepler Universität in Linz (JKU) | Altenbergerstraße 69 | 4040 Linz | Österreich
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