ephemeropteræ 2016/#5 – Nira Yuval-Davis | Oliver Ressler
In ihrem Vortrag Brexit und der Vormarsch von zeitgenössischen autochthonen politischen Zugehörigkeitsprojekten thematisiert Nira Yuval-Davis die Folgen des Brexit Referendums im Kontext des generellen Aufschwungs politischer Gruppierungen, die nationale Zugehörigkeit in Europa betonen. Diese versuchen lokale von elastischen und globalen Identitätskonzepten abzugrenzen und teilen die Welt in ein „wir“ und „sie“ ein. Die gleichzeitige Krise von Regierbarkeit und Gouvernementalität (Foucault) als Folge der neoliberalen Globalisierung, welche sich selbst in der Krise befindet, haben überall das Aufkommen solcher Projekte stimuliert. Ein wachsendes Gefühl von kollektiver, rassifizierter, existenzieller Angst wird in Europa durch den undurchsichtigen Wertpapierhandel zusätzlich intensiviert. Der Vortrag setzt sich hauptsächlich mit Themen in Verbindung mit Großbritannien auseinander, wo alltägliche Abgrenzungsmethoden zum Wegbereiter für den historischen Sieg der „Leave“-Kampagne im Brexit Referendum wurden.
Oliver Resslers Filmserie „Occupy, Resist, Produce”, die in den letzten zweieinhalb Jahren in Zusammenarbeit mit dem Soziologen Dario Azzellini entstanden ist, fokussiert sich auf die seltenen Fälle von gut organisierten Fabrikbesetzungen in Europa, welche das Ziel haben, die Produktion unter die Kontrolle der ArbeiterInnen zu bringen. Die ArbeiterInnen übernehmen die Initiative und werden zu ProtagonistInnen, etablieren horizontale Beziehungen und übernehmen direktdemokratische und kollektive Mechanismen zur Entscheidungsfindung.
Der erste Film „Occupy, Resist, Produce – RiMaflow” (34 Min., 2014) beschäftigt sich mit der RiMaflow Fabrik, einer ehemaligen Fahrzeugteilfabrik in Mailand, welche nun die Prinzipien einer „offenen Fabrik“ anwendet. “Occupy, Resist, Produce – Officine Zero,” (33 Min., 2015) zeigt die Umwandlung einer ehemaligen Fabrik für die Wartung von Schlafwagen der Eisenbahn in Rom in eine öko-soziale Produktionsstätte. Officine Zero bedeutet übersetzt wortwörtlich „Officine Zero: keine Bosse, keine Ausbeutung, keine Verschmutzung”. Der neueste Film der Reihe, „Occupy, Resist, Produce –Vio.Me.” (30 Min., 2015) wird im Rahmen von ephemeroptaeræ 5 nach einer Einführung von Oliver Ressler gezeigt.
Die Fabrik Vio.Me. in Thessaloniki produzierte früher industriellen Kleber, Dämmstoffe und andere chemisch produzierte Baumaterialien. Nachdem die Besitzerin im Juli 2011 aufgehört hat Löhne zu bezahlen, beschlossen die ArbeiterInnen, die Fabrik zu besetzen. Im Februar 2013 begann Vio.Me. mit der Produktion von biologischen Reinigungsutensilien und Seife und die ArbeiterInnen gründeten eine Kooperative, um rechtlich abgesichert zu sein. Die Arbeiter sehen die Fabrik nicht als ihren Besitz, sondern als kommunales Gut, das den Zweck hat der Gemeinschaft zu dienen. Vio.Me. hat sogenannte „solidarische UnterstützerInnen”, die einen monatlichen Beitrag zahlen und im Tausch dafür Produkte der Firma erhalten. Die Gruppe der UnterstützerInnen hilft dabei auch bei der Mobilisierung der ArbeiterInnen.
Nira Yuval-Davis ist Gastprofessorin und Direktorin am Research Centre on Migration Refugees and Belonging (CMRB) an der University of East London. Sie war Präsidentin des Research Committee 05 (befasst sich mit Rassismus, Nationalismus und Beziehungen zwischen Ethnien) der International Sociological Association, Gründungsmitglied der Women against Fundamentalism und dem International Research Network of Women In Militarized Conflict Zones. Nira Yuval-Davis hat sich eingehend mit theoretischen und empirischen Aspekten von sich überlagernden Nationalismus, Rassismus, Fundamentalismus, Staatsangehörigkeiten, Identitäten, Zugehörigkeiten und Gender Beziehungen in Großbritannien & Europa, Israel und anderen Siedlergesellschaften beschäftigt. Unter den von ihr verfassten oder herausgegebenen Büchern finden sich Werke wie Woman-Nation-State, 1989, Racialized Boundaries, 1992 Unsettling Settler Societies, 1995, Gender and Nation,1997, Warning Signs of Fundamentalisms, 2004, The Politics of Belonging, 2011, Women Against Fundamentalism, 2014. Ihr nächstes Buch Bordering erscheint 2017.
Oliver Ressler produziert Installationen, Projekte im öffentlichen Raum und Filme, die sich mit der Wirtschaft, der Demokratie, der Erderwärmung, Formen des Ungehorsams und gesellschaftlichen Alternativen beschäftigt. Ressler hatte Einzelausstellungen im Berkeley Art Museum, USA; Platform Garanti Contemporary Art Center, Istanbul; Museum of Contemporary Art, Belgrad; Centro Cultural Conde Duque, Madrid; Alexandria Contemporary Arts Forum, Ägypten; The Cube Project Space, Taipeh; Wyspa Institute of Art, Danzig; LENTOS Kunstmuseum, Linz; und Centro Andaluz de Arte Contemporaneo – CAAC, Seville. Er war der erste Gewinner des neu etablierten Prix Thun for Art and Ethics Award 2016. Ressler bereitet gerade große Einzelausstellungen für die SALT Galata in Istanbul und das MNAC – National Museum of Contemporary Art in Bukarest vor.
https://www.tba21.org/#item--ephemeropterae-2016-5--1447
https://esel.at/termin/85571
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