Interview mit Luca Casarini, Sprecher der italienischen Disobbedienti (Ungehorsamen)
Europäisches Sozialforum: Markt der Möglichkeiten?
Dario Azzellini sprach it Luca Casarini, dem Sprecher der italienischen Disobbedienti
Die Disobbedienti (Ungehorsamen) sind nach den Protesten gegen den G8-Gipfel in Genua aus den "Tute Bianche", den "Giovani Comunisti" (Jugendorganisation der Rifondacione Comunista) und weiteren linken Netzwerken und Gruppen hervorgegangen. Während des Europäischen Sozialforums (ESF) am Wochenende in Florenz haben Studierendenkollektive, die sich zu den Disobbedienti zählen, die Verlegervereinigung Italiens besetzt, um gegen Copyright zu protestieren. Gleichzeitig drangen fast 100 Disobbedienti in die bei Florenz gelegene Caterpillar-Baggerfabrik ein und besudelten alles mit roter Farbe, da Caterpillar Bagger an die israelische Armee liefert, die eingesetzt werden, um palästinensische Häuser und Siedlungen niederzureißen.
Frage: Welche Einschätzung haben Sie vom ESF?
Wir hatten zuvor darüber diskutiert, wie dieses ESF von uns »durchquert« werden kann. Das ESF ist ein komplizierter Raum, öffentlich, aber nicht einfach. Denn es besteht die Gefahr, vom babelartigen Reichtum an Sprachen, Kulturen und Ansätzen in die Armut des Supermarkts zu verfallen. Ein Supermarkt mit Minigruppen, die sich teilweise sogar auf Stalin oder bin Laden beziehen und eine große Marketingaktion in völliger Beliebigkeit durchziehen. Unser Anliegen war zu sehen, wie wir in dieser Multitude sein können; und auf der Demonstration war sichtbar, daß es uns gelungen ist.
Frage: Die Disobbedienti haben versucht, das Bild des ESF mit direkten Aktionen zu beeinflussen.
Es war schwer, einerseits den Kriminalisierungsversuchen der Regierung etwas entgegenzusetzen und andererseits diese Multitude zu durchqueren und Botschaften zu senden. Das ist der Knoten. Wir haben uns etwas allein gefühlt, weil wir die einzigen waren, die immer wieder gesagt haben, daß es wichtig ist, das Element des Ungehorsams, der direkten Aktion und der Nichtkompatibilität zu erhalten. Das bedeutet aber eben auch nicht, sich von den Leuten abzusetzen. Es war unglaublich, wie die Menschenmassen auf der Demonstration geklatscht haben, als wir vorbeiliefen. Wir wurden hervorragend aufgenommen! Und niemand kann behaupten die Menschen wüßten nicht, was wir gesagt haben. Das kann man vielleicht bei anderen Strömungen sagen, aber wir haben immer wieder deutlich gesagt, was wir denken und mit welcher Haltung wir zum ESF kommen. Viele Leute teilen unsere Einschätzung, daß es weitergehen muß mit Aktionen.
Frage: Das ESF als Markt der Möglichkeiten kam ja bei vielen gut an, und viele, bis hin zu Berlusconi, haben sich gefreut...
Wenn demnächst der Krieg beginnt, werden diese Ansätze weggespült, denn dann wird über konkrete Aktionen geredet werden müssen und nicht über Theorien und Politmarketing. Als "Ungehorsame" konnten wir feststellen, daß diese Bewegung mittlerweile riesig ist. Selbst unser Disobbedienti-Block war eine Multitude an sich riesig, bunt, vielfältig und auch nicht eingrenzbar. Wir haben aber jetzt ein anderes Problem, nämlich die direkte Aktion, den Konflikt wieder anzuschieben. Einen Konflikt, der zusammen mit einem politischen Projekt zur Seele der Bewegung wird.
Berlusconi hat gesagt: Das, was gewesen ist, sei die Art, Opposition zu machen. Aber wenn Berlusconi und der Innenminister das sagen, sollten wir uns dem Problem stellen. Denn wenn sie kein Problem haben, dann haben wir ein Problem. Deswegen bin ich nicht für etwas, bei dem man sagen kann "Alle haben gewonnen" - wir müssen gewinnen! Also diejenigen, die sich dem Krieg entgegen stellen, jene die eine wirkliche soziale Opposition wollen, die der Regierung und den Mächtigen Probleme bereitet!
Frage: Was bedeutet das konkret?
Das europäische Netzwerk der »Ungehorsamen« hat sich vorgenommen, innerhalb der ersten 24 Stunden nach Kriegsbeginn Aktionen des Ungehorsams durchzuführen und nicht nur zu sagen, daß der Krieg nicht in Ordnung ist. Das haben wir mit einer Million Menschen gesagt. Jetzt muß es darum gehen, wie man ihn aufhält oder zumindest nicht zum bloßen Zeugen wird. Die richtige Welt beginnt nach dem ESF.