Dario Azzellini wirft in seinem Buch ein Blick auf das Venezuela von unten
Innenansichten einer Revolution
Der Berliner Politologe und Publizist Dario Azzellini liefert mit seinem neuen Buch »Venezuela Bolivariana – Revolution des 21. Jahrhunderts?« eine profunde Innenansicht der bolivarianischen Revolution.
Der venezolanische Präsident Hugo Chávez sorgt regelmäßig für Schlagzeilen: Ob mit der Bush-Teufel-Gleichsetzung vor den Vereinten Nationen oder mit Besuchen bei umstrittenen Staatschefs wie dem belorussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko oder Irans Mahmud Ahmadinedschad. Weit weniger genau werden die innenpolitischen Verhältnisse in Venezuela von den tonangebenden Medien beleuchtet. So bleiben die meisten Berichte bei ständig wiederholten Floskeln vom »linksnationalistischen oder populistischen Chávez-Regime« stehen.
Einen tiefgründigen Einblick in die innervenezolanischen Verhältnisse gibt der Berliner Publizist Dario Azzellini mit seinem jüngsten Buch »Venezuela Bolivariana, Revolution des 21. Jahrhunderts?« Azzellini hat in den letzten Jahren mit zwei Filmen über Venezuela den Blick auf die soziale Bewegung des Landes gelenkt. Im Buch setzt er diese Sichtweise konsequent fort. Während in den hiesigen Medien Chávez häufig zum Popanz aufgebaut wird, der demaskiert werden soll, interessiert sich Azzellini für die Protagonisten der unterschiedlichen Basisbewegungen. Arbeiter, die ihre Fabrik besetzen und die Produktion in die eigenen Hände nehmen, Mitglieder einer Landarbeiterkooperative, die die jahrelang brachliegenden Latifundien von Großgrundbesitzern besetzen und nutzen, Koordinatoren von Indígenaorganisationen. Das ist nur eine kleine Auswahl der von Azzellini vorgestellten sozialen Bewegungen des lateinamerikanischen Landes. Sie alle betonen, dass sie durch die im Jahre 1999 verabschiedete Verfassung erstmals in der Landesgeschichte das Recht zur Mitgestaltung haben.
Die Ausarbeitung der Verfassung war ein zentrales Versprechen von Chávez in seiner Wahlkampagne 1998. Der Entstehungsprozess dieser neuen Verfassung leitete einen Politikstil ein, der bis heute in Venezuela dominierend ist: »Die Beteiligung der sozialen Organisationen... war enorm. So nahmen Nichtregierungsorganisationen und soziale Organisationen über Workshops, Kommissionen und Runde Tische direkt an der verfassunggebenden Versammlung teil«, schreibt Azzellini.
Ausführlich widmet er sich der Medienlandschaft Venezuelas. Sie wird überwiegend von großen Anbietern bestimmt, die aus ihrer Nähe zur rechten Opposition kein Hehl machen. Doch in den letzten Jahren ist ein Netz von Basismedien entstanden. So ist die Anzahl der Freien Radios von 2002 bis 2005 von 13 auf über 200 gewachsen. Sie sind zwar alle solidarisch mit dem bolivarianischem Prozess, aber ohne kritiklos der Regierungspolitik zu folgen. So könnte man auch die Position des Autors beschreiben, der in der Einleitung klarstellt: »Wenig hilfreich für ein Verständnis der Ereignisse sind diejenigen Autorinnen und Autoren, die stur offizielle Regierungserklärungen wiederholen und selbst die in Venezuela innerhalb der Regierung geäußerte Kritik unter den Tisch fallen lassen.« Azzellini gehört nicht dazu. So schildert er ausführlich, wie es wegen der Demontage einer Kolumbus-Statue zum Konflikt zwischen den sozialen Bewegungen und Teilen der Regierung kam. Auch Umweltgruppen stehen wegen des Kohleabbaus teilweise im Clinch mit Teilen des Regierungsapparates. Azzellini erwähnt auch, dass Teile des Staatsapparates weiterhin an alten Politikmodellen festhalten. Trotzdem ist sein Ausblick alles andere als pessimistisch. »Große Teile der Basis und jener institutionellen Mitarbeiter, die auf eine radikale Transformation setzen, sind jedoch optimistisch. Sie verweisen auf die großen Bewusstseinssprünge sowie Lernprozesse der Basis und gehen davon aus, dass sich die revolutionären Kräfte durchsetzen werden.«
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