ERPI erklärt eigene Linie
Mexiko: Neue Guerilla will für Volksaufstand vorbereitet sein
Das exotische Urlaubsland Mexiko wird von hauseigenen Militärs als Land im Kriegszustand bezeichnet. 37 Guerillaorganisationen operieren in zwölf Bundesstaaten Mexikos. Andere Quellen sprechen sogar von bis zu 300 Organisationen. Letztendlich sind diese Zahlen aber wenig aussagekräftig, weil einige Gruppierungen verschwindend klein sind, während andere über eine breite Basis verfügen. Außerdem werden zunehmend auch bäuerliche Selbstverteidigungskomitees durch staatliche Repression in die Klandestinität gedrängt und verwandeln sich so langsam in Guerillagruppen.
Auch der Bundesstaat Guerrero blickt auf eine lange Guerillatradition zurück. Bereits 1963 führt der Landschullehrer Vazquez Rojas eine Gruppe zur bewaffneten Selbstverteidigung an. Seine Gruppe wird in die Klandestinität gedrängt und schließlich 1972 zerschlagen. Nach dem Massaker von Atoyac 1967 entsteht außerdem die "Hinrichtungsbrigade der Partei der Armen", die breite Unterstützung von den BäuerInnen in Guerrero erhält. Im Rahmen der Aufstandsbekämpfung "verschwinden" in der Region über 500 Menschen; viele sollen über dem offenen Meer aus Hubschraubern geworfen worden sein. Als die "Hinrichtungsbrigade" schließlich 1974 zerschlagen wird, scheint das Kapitel bewaffneter Kampf für die Regierung wie für die Linke abgeschlossen.
Aber diese Zerschlagung ist nicht vollständig: So geht etwa die EZLN aus der kleinen Gruppe der Nationalen Befreiungsfront (FLN) hervor, nachdem sie vorher jahrelang im Untergrund Aufbauarbeit geleistet hatte. Nach der EZLN 1994 tritt als nächste Guerillaorganisation 1996 schließlich die EPR (Revolutionäre Volksarmee) in Erscheinung. Auch diese Organisation geht aus Resten der Bewegungen aus den 60er und 70er Jahren hervor, die sich über Jahre in der Klandestinität neu formierten und den geeigneten Zeitpunkt zum "Auftauchen" in der Öffentlichkeit abwarteten.
Nicht mit Gedichten Kriege gewinnen
Die EPR operiert in mindestens acht der sechzehn Bundesstaaten Mexikos. Die Erklärung für den Griff zu den Waffen ist dieselbe wie bei der EZLN: Sie sehen sich einem System gegenüber, das keine demokratischen Optionen mehr bietet und gleichzeitig wirtschaftlich und sozial immer größere Teile der Bevölkerung ausgrenzt. Doch der Jargon der EPR ist in den ersten zwei Jahren sehr "hart" - in Anlehnung an die traditionelle marxistisch-leninistische Rhetorik der 60er und 70er Jahre. So verkündet die EPR im Hinblick auf die Kommuniques von Comandante Marcos, "man könne einen Krieg nicht mit Gedichten gewinnen". Doch ab Mitte 1997 ist eine Veränderung festzustellen. Vor den Wahlen in Mexiko-Stadt kündigt die EPR einen Waffenstillstand an, "um den Wahlprozeß nicht zu beeinflussen" und definiert im folgenden Kommuniqué "Wahlen als Teil des Kampfes um Veränderung". Alle folgenden Erklärungen sind erheblich moderater formuliert - manche enthalten sogar Gedichte.
Mitte 1998 betritt eine weitere Guerillaorganisation die Bühne des politischen Geschehens: In den Tagen nach dem Massaker vom 7. Juni in El Charco (Guerrero), bei dem die Armee elf Personen ermordet, führt eine bis dahin unbekannte Guerillaorganisation mindestens zwei Angriffe auf Militär- und Polizeipatrouillien durch. Nach offiziellen Angaben kommen dabei fünf Sicherheitskräfte ums Leben. Zwei Comandantes der neuen Organiation EPRI (Revolutionäre Armee des Aufständischen Volkes) erklären Anfang August in Acapulco Ursprünge, Positionen und Ziele ihrer Organisation.
Demnach repräsentiert die ERPI die gesamte ehemalige Struktur der EPR im Bundesstaat Guerrero. Die ERPI-Comandantes Antonio und Santiago nennen drei wesentliche Unterschiede zur EPR. Erstens will die neue Organisation die Radikalisierung der Bevölkerung während des Wahlprozesses vorantreiben: "Wir verstanden, daß die Wahlbewegung ein Ausdruck des Kampfes des Bevölkerung ist und unsere Rolle nicht nur die eines kritischen Beobachters sein kann". Zweitens will die EPRI die bewaffnete Selbstverteidigung entwickeln. Die Aktionen der EPR hätten sich nicht an den Notwendigkeiten der Dorfgemeinschaften orientiert, sondern an landesweiten konjunkturellen Ereignissen. Und drittens will sich die ERPI auf einen möglichen Volksaufstand nach den Wahlen im Jahr 2000 vorbereiten.
Mehr Realität, weniger Ideologie
Damit spielt die Organisation auf die Wahlen von 1988 an, bei denen ein Wahlbetrug des regierenden PRI dem damals unabhängigen Präsidentschaftskandidaten Cuahtemoc Cardenas wahrscheinlich den Sieg kostete. In der Folge war es zu Aufständen und bewaffneten Zwischenfällen in verschiedenen Bundesstaaten gekommen, als BäuerInnen zu den Waffen griffen, um die Wahlergebnisse in ihren Gemeinden zu verteidigen. Die ERPI definiert sich als "Armee des Volkes und nicht irgendeiner Partei, wir tun nur das, was die örtliche Bevölkerung mehrheitlich von uns verlangt ".
Auf die vermutete Nähe zur EZLN angesprochen, erklärte Comandante "Antonio", es bestünden keinerlei Verbindungen zwischen den beiden Organisationen. Während die EZLN vor allem politische Antworten geben würde, sei seine Organisation daran interessiert, Selbstverteidigungsaktionen durchzuführen. Die Initiative der EZLN, eine Volksabstimmung über die Rechte der indigenen Gemeinschaften durchzuführen (s. ak 417) hingegen würde von der ERPI ausdrücklich begrüßt.
Die ERPI scheint offener, weniger militaristisch und basisnäher als die EPR zu sen. Eine interessante Entwicklung, die mitten in der Hochburg der EPR stattfindet. Auch die Äußerungen der ERPI zur EZLN drücken mehr als nur distanzierten Respekt aus; die politische Vorreiterrolle in der Definition einer neuen bewaffneten Basispolitik wird explizit anerkannt und hervorgehoben. Aber wie stark die ERPI tatsächlich ist, ist vorerst unklar. Klar ist nur folgendes: Die unterschiedlichen politisch-militärischen Projekte neben der EZLN im agrarischen Süden Mexikos sind offensichtlich ideologisch nicht festgenagelt und flexibel genug, um der Realität einen angemessenen Einfluß einzuräumen. The future is unwritten...