Neue Runde im Chiapaskonflikt
Will Fox wirklich eine politische Lösung?
Wie bei einem Tennisspiel verläuft seit Anfang Dezember ein Schlagabtausch zwischen dem neuen mexicanischen Präsidenten Fox und dem Subcomandante Marcos der EZLN. Der mediengeübte Fox verkündet vollmundig seine Maßnahmen in Richtung Frieden und die ZapatistInnen machen immer wieder deutlich, was für einen wirklichen Frieden tatsächlich geschehen muss. Die Situation in Chiapas ist seit dem Amtsantritt Fox‘ Anfang Dezember das bestimmende politische Thema in der Presse und Marcos ist der einzige mediale Gegenspieler des ehemaligen Coca-Cola-Managers.
Von Dario Azzellini
Fox hatte Anfang Dezember des vergangenen Jahres als erster Kandidat der Opposition nach mehr als 70 Jahren die Präsidentschaft in Mexico übernommen. Bei den Wahlen am 2. Juli war das Unglaubliche geschehen, „die perfekte Diktatur“ der PRI hatte ihr Ende gefunden. Nun ist der neue Präsident, ehemaliger Coca Cola-Manager und Kandidat der erzkonservativen Partei der Nationalen Aktion PAN, deren Bürgermeister auch gerne Miniröcke verbieten und Gefängnisstrafen auf zu liebevolle Küsse in der Öffentlichkeit verhängen, nicht gerade der vertrauenswürdigste Partner für eine friedliche Lösung des Konfliktes in Chiapas. Er ließ noch vor einigen Monaten verlauten, er würde das „Indianerproblem“ in 15 Minuten lösen, und seine Partei wehrt sich ebenso wie die PRI gegen die Verabschiedung der Gesetze zu den ausgehandelten indianischen Rechten. Und so begegnete die EZLN seinem Amtsantritt – bei dem er sich von seiner Tochter ein großes Holzkreuz überreichen ließ – mit Zurückhaltung und kritisierte scharf die wirtschaftspolitischen Ideen des neoliberalen Wunschkandidaten der USA.
Einmal Präsident, verkündet Vicente Fox nun immer wieder seine großen wirtschaftlichen Pläne für Mexico, wie etwa Kleinkredite von umgerechnet 250 DM an alle zu vergeben, damit sie sich mit einem kleinen Straßenstand eine neue Zukunft aufbauen können, außerdem will er das ganze Land – und vor allem die südlichen Bundesstaaten Chiapas, Guerrero und Oaxaca – mit Maquiladoras, den Billiglohnfabriken in Freihandelszonen, überziehen. Im Wahlkampf versprach er für 2001 sieben Prozent Wirtschaftswachstum, optimistische Schätzungen gehen aber von etwa vier Prozent aus. Angesichts der Rezession der US-Ökonomie dürften es sogar noch weniger sein. Das Aufsehen, das den ZapatistInnen entgegengebracht wird, die seine Wirtschaftspolitik ablehnen, stört ihn daher deutlich. Ebenso dass ihm Marcos das einzige Feld streitig macht, das Fox wirklich beherrscht: die Medien. Entsprechend unangenehm ist ihm der nächste Streich der PR-versierten Guerilla: Die Reise von 22 Comandantes in die Hauptstadt. Die ZapatistInnen wollen dort vor den Abgeordneten des Kongresses ihren Standpunkt zu der Gesetzesinitiative zu indianischen Rechten und Kultur darlegen.
In einem Kommuniqué vom 6. Januar hat die EZLN ihre Reiseroute in die Hauptstadt präzisiert: Die Delegation wird am 25. Februar in San Cristóbal starten, auf dem Landweg über die Bundesstaaten Chiapas, Oaxaca, Puebla, Veracruz, Tlaxcala, Hidalgo, Querétaro, Michoacán, Estado de México und Morelos reisen und am 6. März in Mexico Stadt eintreffen. Auf dem Weg wird die zapatistische Delegation an zahlreichen Kundgebungen und Diskussionen teilnehmen, darunter der III. Indigene Nationalkongress (CNI). Die Delegation der EZLN wird voraussichtlich längere Zeit in der Hauptstadt verbleiben, da das Parlament noch bis zum 16. März geschlossen ist, lediglich in reduzierter Besetzung tagt.
Die Verabschiedung des auf den Abkommen von 1996 basierenden Gesetzes zu den indianischen Rechten und Kultur durch den mexicanischen Kongress gehört neben der Auflösung von sieben mitten im zapatistischen Gebiet gelegenen Militärcamps und der Freilassung von über 100 inhaftierten ZapatistInnen zu den drei Bedingungen der EZLN, um die Gespräche mit der Regierung wieder aufzunehmen.
Kampagne gegen die EZLN
Um die Reise ist eine heftige Debatte entstanden. Vicente Fox, viele Regierungspolitiker, Angehörige der PAN und der PRI sowie die ihnen treuen Medien haben eine breite Diskussion darüber begonnen, ob die ZapatistInnen ein Recht haben oder nicht, in die Hauptstadt zu reisen, ob der Kongress sie empfangen soll und vieles mehr. Präsident Vicente Fox verkündete, es sei nicht notwendig, dass die ZapatistInnen in die Hauptstadt kämen, aber wenn, dann ohne Sturmhaube – was die ZapatistInnen kategorisch abgelehnt haben. Doch in der Regierung werden die Stimmen, die es ablehnen, den vermummten ZapatistInnen den Zugang zum Kongress zu erlauben, immer lauter. Die Hetzkampagne gegen die EZLN und ihre Reise nimmt mit jedem Tag an Härte zu. Einige Vertreter der PAN haben mittlerweile – unwidersprochen durch Fox und seine Regierung – sogar angekündigt, Marcos und die anderen zapatistischen Comandantes sollen, wenn sie das Konfliktgebiet in Chiapas verlassen, verhaftet werden. Und der PAN-Politiker Ricardo García Cervantes, Vorsitzender des Abgeordnetenhauses, bezeichnete die Reise der EZLN-Delegation als „illegal“, wenn die ZapatistInnen nicht zuvor schon den Dialog mit der Regierung wieder aufnehmen würden. Eine führende Rolle als Scharfmacher haben der chiapanekische UnternehmerInnenverband und der mexicanische ArbeitgeberInnenverband Coparmex übernommen, die die Presse mit Erklärungen überhäufen. Sie fordern einen Stopp der Auflösung der Armee-stützpunkte in Chiapas, die werde die Bevölkerung durch den Abzug „schutzlos dem Terror“ überlassen, der Tourismus habe in den letzten Jahren durch Verschulden der EZLN bereits schwere Einbußen erlebt und in den letzten Wochen seien Hunderte von Buchungen abgesagt worden. Coparmex verkündete: „Eine Genehmigung der Reise der Zapatisten in die Hauptstadt stellt einen schweren Fehler dar.“ Auch aus der katholischen Kirchenhierarchie werden zunehmend Stimmen laut, die Fox vorwerfen, „zu viele Zugeständnisse“ gemacht zu haben.
Gleichzeitig riechen einige Ereignisse der letzten Wochen arg nach „Strategie der Spannung“: In Mexico DF gingen in zwei Fällen innerhalb weniger Tage Paketbomben in Haushalten hoch, die ein Todesopfer forderten. Täter und Beweggründe sind völlig unklar, doch die Wirkung ist nur zu deutlich. Im Vorfeld der Reise der ZapatistInnen wird ein Klima der Angst und des Terrors geschaffen, das geradezu nach einem starken Staat und dem massiven Einsatz von Polizei und Armee schreit. Ebenso schreitet auch die Militarisierung des Alltags stetig voran. In verschiedenen Stadtteilen der Hauptstadt wurde die Armee für „soziale Dienste“ eingesetzt, wie etwa „Haare schneiden“ und im nördlichen Bundesstaat Baja California wurden überraschend 2000 Angehörige der aus Militärs bestehenden Sondereinsatzpolizei PFP für Fahrzeugkontrollen eingesetzt.
In Mexico wie international stellt sich der neue Präsident aber gerne als Mann des Dialogs und des Friedens dar. Er wiederholt unaufhörlich, die Gespräche mit der EZLN so bald wie möglich wieder aufnehmen zu wollen, um eine friedliche und politische Lösung des Konflikts zu erzielen und verkündete gleich am ersten Tag nach seinem Amtsantritt den Rückzug der Armee und die Aufhebung der Straßenkontrollpunkte. Die Gesetzesvorlage zu den Rechten der indigenen Gemeinden brachte er persönlich in den Kongress ein, wo sie Ende Februar diskutiert werden soll. Die ebenfalls Anfang Dezember angetretene neue Regierung in Chiapas schließlich verkündete die notwendigen Schritte und veranlasste am 30. Dezember die Freilassung 16 inhaftierter ZapatistInnen. Vordergründig scheint alles auf bestem Wege und die internationale Presse applaudiert dem vermeintlichen Friedensengel Vicente Fox. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich ein deutlich anderes Bild. So bezeichnete der Nationale Indigene Kongress CNI, der Vertreter von Organisationen aller 52 in Mexico lebender indigener Gruppen vereint, die bisherigen Maßnahmen der Regierung Fox als „nicht ausreichend“.
„Fox hat noch nicht besonders viel gemacht und das wenige wird immer von einem großen Mediengetöse begleitet“, erklärt Onésimo Hidalgo, Mitarbeiter des chiapanekischen Forschungsinstituts CIEPAC. „Von den 53 Straßensperren der Armee, die Anfang Dezember aufgelöst wurden, sind mittlerweile sogar 20 wieder installiert worden“, so Hidalgo weiter. Von den sieben Camps, die laut den Forderungen der ZapatistInnen völlig aufgelöst werden sollen, bestehen die drei wichtigsten, Guadalupe Tepayac, La Garrucha und Río Euseba, in voller Stärke und mitten in zapatistischen Dörfern weiter. In Guadalupe Tepayac etwa steht die Straßensperre der Militärs immer noch und das Dorf gleicht einem Heerlager. Die etwa 3000 EinwohnerInnen flohen vor einer Militäroffensive am 10. Februar 1995 in die Berge und konnten seitdem nicht zurückkehren. Von hier aus machen sich weiterhin immer wieder Gruppen von 25 Soldaten auf den Weg in den angrenzenden dichten Urwald, um dort ZapatistInnen, oder wen sie dafür halten, zu suchen. Eine Räumung war wohl nicht einmal beabsichtigt: Am ersten Januar drangen 700 unbewaffnete AnhängerInnen der EZLN auf das Gelände des Militärcamps Jolachoj, im Bezirk San Andrés de Larrainzar, und forderten lautstark den Abzug der Militärs. Um eine weitere Eskalation zu verhindern, blieb Vicente Fox nichts anderes übrig, als den Befehl für den sofortigen Rückzug der Militärs zu erteilen. In den folgenden Tagen wurde die Maßnahme noch als geplanter Rückzug präsentiert, doch schließlich musste auch die Regierung gegenüber der Cocopa zugeben, es habe sich um eine durch die Umstände erzwungene Auflösung des Militärcamps gehandelt.
Innerhalb der Regierung und zwischen dieser und der Armee sowie innerhalb der Armee gibt es auch schwerwiegende Divergenzen bezüglich der Vorgehensweise. So kam auch die Auflösung der Militärenklave in Roberto Barrios (im Bezirk Palenque, bekannt durch seine Maya-Ruinen) am 17. Januar eher überraschend: Nur einen Tag vorher hatte Martha Sahagún, Sprecherin der Präsidentschaft, noch verkündet, es sei zunächst kein weiterer Rückzug von Militäreinheiten vorgesehen. Auch die Militärs repräsentieren keine homogene Front, wie Onésimo Hidalgo erklärt: „Mit den jetzigen Schritten Fox’ ist nur ein Drittel des Generalstabs einverstanden, aber er hat diesem Drittel die Macht erteilt, das kann noch zu Konflikten führen.“
Am 20. Januar verkündete Fox nach einem Treffen mit den kapitalstärksten Unternehmern des Landes, ihm gegenüber seien „von vielen Seiten schwere Bedenken geäußert worden und daher würden keine weiteren Armeelager aufgelöst“, zunächst bedürfe es „eindeutiger Zeichen von Seiten der EZLN“. Die EZLN ihrerseits hat aber schon oft genug deutlich gemacht, dass die Erfüllung der von ihr gestellten Forderungen eine Bedingung für die Wiederaufnahme der Gespräche sind.
Der vermeintliche Rückzug beschränkt sich bisher tatsächlich auf wenige Gemeinden in einigen der annähernd 40 umstrittenen Bezirke. Von den 63 000 in Chiapas stationierten Soldaten wurden nur einige Tausend verlegt, meist in ihre eigenen oder andere Kasernen. „Bisher ist es eigentlich nur eine Umgruppierung der Kräfte“, erklärt Onésimo Hidalgo, „es handelt sich einfach um eine neue Militärstrategie und die Maßnahmen können ohnehin auch jederzeit leicht wieder rückgängig gemacht werden“. Die Situation ist als um so delikater einzuschätzen, wenn man bedenkt, dass Fox bisher niemals erklärt hat, welche Forderungen der ZapatistInnen er wann erfüllen wird. Auf Fragen von JournalistInnen, warum das Militär nicht ganz und unmittelbar zurückgezogen wird, reagiert Fox ausweichend: „Es gefällt uns nicht, über Dinge zu reden, wir lassen Taten sprechen.“ Und die Taten sprechen für sich. Laut der renommierten Wochenzeitschrift „proceso“ hat die Militarisierung in einigen Gebieten sogar zugenommen. So wurden beispielsweise die Militärs, die auf Fox’ Entscheidung hin am 22. Dezember als Geste des Friedens aus Amador Hernández abgezogen wurden, nach San Quintín, im Herzen des Lakandonischen Urwalds, Hochburg der ZapatistInnen, verlegt, wo ohnehin schon nahezu 1000 Soldaten 1500 Tzeltal-Indígenas gegenüberstehen.
Und auch die Paramilitärs – deren grausamstes Massaker an Weihnachten 1997 in dem Dorf Acteal 45 Männern, Frauen und Kindern das Leben kostete –, von denen mittlerweile an die 14 Gruppierungen unbehelligt bzw. mit Unterstützung von Polizei und Militär in Chiapas agieren, blieben bisher unbehelligt. Und selbst die Freilassung der Gefangenen verläuft mehr als schleppend: Bis Mitte Januar waren es gerade mal 19. Es fehlen noch über 80.
Die Gesetzesvorlage zu indianischen Rechten und Kultur wiederum wird voraussichtlich erst im späten Frühjahr debattiert werden, auch wenn Fox alles daran liegt, die Debatte schon vor der Ankunft der ZapatistInnen in Mexico-Stadt über die Bühne zu bringen, um so ihnen die Rechtfertigung für ihr Erscheinen zu nehmen. Sollte der politische Wille in der Regierung vorhanden sein, die Vorlage in juristische Realität zu verwandeln, so könnte dies innerhalb von drei Monaten geschehen. Es stimmt jedoch misstrauisch, dass ausgerechnet Xóchitl Gálvez, die von Fox neu ernannte Verantwortliche des „Präsidentenbüros für die Entwicklung der indigenen Völker“, verkündete, der Prozess würde zwei Jahre dauern. Am 19. Januar erklärte schließlich auch noch der Abgeordnete Luis Felipe Bravo Mena, der zur Führungsspitze der Fox-Partei PAN gehört, die PAN unterstütze die Gesetzesinitiative nicht. Es könnte sein, dass hier die Divergenzen zwischen dem Modernisierer Fox und seiner traditionalistischen Partei PAN zum Tragen kommen. Juan Guerra, ehemaliges Mitglied der Friedenskommission Cocopa, welche die Gesetzesvorlage erarbeitete, warnt z.B. vor verfrühten Hoffnungen. Fox habe schließlich den Antrag persönlich im Kongress eingereicht und nicht im Namen seiner Partei PAN. Diese wiederum hat seit 1998 einen eigenen Antrag dem Kongress vorgelegt, der weit weniger umfangreiche Rechte vorsieht als zwischen Regierung und EZLN ausgehandelt. Dieser Antrag wurde bisher nicht zurückgezogen. Fox könnte, so Guerra, seine Hände in Unschuld waschen, sollte der von ihm eingereichte Antrag von der PAN abgelehnt werden und damit die notwendige Mehrheit verfehlen.
Psychologische Kriegsführung
Obwohl die Forderungen also noch weit davon entfernt sind erfüllt zu werden und selbst die einst von der Regierung gegründeteVerhandlungskommission Cocopa die Bedingungen der EZLN als erfüllbar bezeichnete, verlangt Fox mittlerweile von den Zapatisten „konkrete Schritte“. Sie müssten „endlich zur Kenntnis nehmen, dass eine neue Regierung im Amt ist“. Die EZLN konterte, sie habe sich nicht gegen eine Partei, sondern gegen ein politisches System erhoben. In seiner jeden Samstag ausgestrahlten Radioshow verlor Fox daraufhin die Fassung und polterte, die Regierung hätte genug getan, mehr könne man von einer Regierung nicht verlangen, die ZapatistInnen sollten nun die Waffen abgeben. Es oblag der Sprecherin der Präsidentschaft, das zerschlagene Porzellan am nächsten Tag wieder einzusammeln: „Das war keine Forderung, sondern nur eine Einladung“, beschwichtigte Martha SahagúndieverwundertenGemüter, schließlich haben die Zapatisten bisher nicht mehr verlangt, als die Regierung seit 1996 unterschrieben hat.
Das öffentliche Vorgehen von Präsident Fox entspricht einer neuen Art Aufstandsbekämpfung, erklärt der Politologe und Spezialist für Militärstrategien Carlos Fazio. In einem geheimen Plan namens „Chiapas 2000“ seien auch alle bisherigen Schritte vorab genau beschrieben. Es gehe zunächst darum, den ZapatistInnen auf der Grundlage der „demokratischen Legitimität“ die Fahne der Gerechtigkeit aus der Hand zu nehmen. Dazu soll die Regierung als „glaubwürdig“ dargestellt werden, vor allem der Präsident soll als „direkter Faktor des Dialogs“ aufgebaut werden, der den ZapatistInnen die moralische Vertretung der Indianer streitig macht. Anschließend soll Schritt für Schritt das positive Bild der EZLN und Marcos’ demontiert werden. Dafür soll der „Öffentlichkeit gezeigt werden, wie Marcos sich mit kriminellen Machenschaften persönlich unheimlich bereichert hat”, während die EZLN in den Drogenhandel verstrickt sei. Darauf sollen „taktische chirurgische Eingriffe gegen die Kriminellen“ folgen. Auf den Vatikan soll eingewirkt werden, damit er die Befreiungstheologen und progressiven Priester in Chiapas austauscht, und die Paramilitärverbände sollen in Verhandlungen mit lokalen Kaziken in legale Polizeieinheiten verwandelt werden. Bisher entspreche das Vorgehen Fox’ genau dem Geheimdokument, so Carlos Fazio.
Auch die Hoffnung vieler MexicanerInnen, mit der Wahl Fox‘ käme es zu einer Stärkung ziviler Instanzen und der Einfluss der Armee würde zurück gedrängt, wurde bereits mit der Amtsübernahme enttäuscht. Entgegen seinen ausdrücklichen Wahlversprechen ernannte der frisch gebackene Präsident einen Militärstaatsanwalt zum Generalstaatsanwalt. Darüber hinaus kündigte er an, den Etat der mexicanischen Streitkräfte um zwölf Prozent zu erhöhen und die 12 400 Mann starke Infanterie der Marine in eine mobile schnelle Eingreiftruppe zu verwandeln. Zielt die Maßnahme auf den verstärkten Einsatz der Armee in anderen konfliktiven Bundesstaaten mit Guerillapräsenz wie z.B. Guerrero, Oaxaca, Tabasco u.a.? Fox jedenfalls kündigte bereits an, „mit aller Härte“ gegen bewaffnete Gruppen in anderen Bundesstaaten vorgehen zu wollen. Hier setzt der neue Präsident das Spiel der alten PRI-Regierung fort, „gute“ und „böse“ Guerillas zu unterscheiden, nur hat er in den Augen der Weltöffentlichkeit alle demokratische Legitimation. Einer zivilen Lösung sozialer Konflikte ist dies kaum dienlich. Bis zu einem wirklichen Frieden mit Gerechtigkeit in Chiapas und in anderen Regionen Mexicos ist der Weg noch weit und ob die neue Regierung unter Vicente Fox ihn wirklich gehen wird, darf angezweifelt werden. Um einen offenen Krieg unwahrscheinlicher zu machen und eine reale Transformation des Landes in die Wege zu leiten, wird es einer breiten linken Bewegung in ganz Mexico bedürfen. Die ZapatistInnen werden versuchen, diese mit ihrer Reise in die Hauptstadt anzuschieben, während Fox, die PAN und die PRI mit allen Mitteln versuchen werden, die Entstehung einer solchen Bewegung zu verhindern. „Die EZLN wird einen neuen politischen Vorschlag lancieren, um die verschiedenen Kämpfe im Land zu vereinen, und das wird den diversen Bewegungen neue Energie verleihen. Das wird ein wichtiges Moment werden“, erklärt Luis Hernández Navarro, Berater der EZLN während der Verhandlungen mit der Regierung, in seinem Büro in der linken Tageszeitung „La Jornada“, wo er für die Kommentarseiten verantwortlich zeichnet. Er überlegt kurz und fügt hinzu: „Es wird sogar ein entscheidendes Moment werden: die Wiederbelebung der sozialen Bewegungen und der mexicanischen Linken.“