Flexibler dealen. Drogenpolitik und Narcounternehmen in Mexiko

Family Business

Die Statistik liest sich gut. Am 9. März wurde Benjamín Arellano Félix in Puebla von Sondereinheiten der Armee verhaftet. Nur wenige Tage zuvor hatte die US-amerikanische Antidrogenpolizei im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen den Arellano-Félix-Komplex 26 Personen in Denver, San Diego und Minneapolis verhaftet. Benjamín Arellano Félix galt der mexikanischen und der US-amerikanischen Polizei jahrelang als Kopf des Tijuana-Kartells.

Am 22. desselben Monats ging der Polizei sein Bruder Francisco Javier Arellano Félix ins Netz, während etwa zur gleichen Zeit die Leiche eines weiteren Bruders, Ramon, identifiziert wurde. Er war bei einem Schusswechsel mit der Polizei in Mazatlán, Sinaloa, am 10. Februar umgekommen. Die drei Brüder galten als Geschäftsführer des »Unternehmensrats« des Tijuana-Kartells. Ein weiterer Bruder, Rafael, sitzt bereits seit 1993 im Hochsicherheitsgefängnis La Palma.

Das Narcounternehmen ist im Handel mit Kokain, Marihuana und Amphetaminen in mindestens 15 mexikanischen Bundesstaaten, im Import von Kokain und Grundstoffen für synthetische Drogen nach Mexiko und im Export von Kokain, synthetischen Drogen und Marihuana in die USA aktiv. Daher liegt auch gegen die Arellano-Brüder ein Auslieferungsgesuch der USA vor. Seit dem Amtsantritt des mexikanischen Präsidenten Vicente Fox von der konservativen Pan wurden bereits 15 Narcobosse gefasst, fünfmal so viele wie unter dem vorherigen Präsidenten Ernesto Zedillo.

Auch bei den Drogenfunden gibt es Erfolgsmeldungen. Am 20. Dezember gelang der mexikanischen Marine ein großer Fang. Der Kapitän eines Kutters unter mexikanischer Flagge, der angeblich Thunfisch geladen hatte, weigerte sich auf hoher See, sein Schiff von US-amerikanischen Soldaten nach Drogen durchsuchen zu lassen - was gemäß internationalem Recht nur mit Einverständnis möglich ist -, die US-Marine kontaktierte die mexikanischen Kollegen, die den Job übernahmen. Im Hafen von Manzanillo im Bundesstaat Colima in seine Einzelteile zerlegt, fanden sich in dem Kutter »Macel« 9,2 Tonnen Kokain.

Ein gutes Jahr der »Drogenbekämpfung«, könnte man meinen, doch der Eindruck täuscht. Die Drogenmenge, die die USA über Mexiko erreicht, hat in den letzten Jahren konstant zugenommen, ebenso wie die Drogenproduktion in Mexiko selbst. Die mexikanischen Narcos gehören zu den mächtigsten der Welt, und das politische und wirtschaftliche System Mexikos lebt auf allen Ebenen vom Drogengeld.

Vicente Fox und die Drogen

Vor der Wahl Vicente Fox' zum Präsidenten Mexikos setzten die Narcounternehmer auf einen Wahlsieg der regierenden Pri. Das System der Pri war bekannt und schien ergiebiger als die Ungewissheit einer Regierung der Pan. Doch die Amtsübernahme von Vicente Fox, der Anfang Dezember 2000 als erster Kandidat der Opposition nach mehr als 70 Jahren Präsident in Mexiko wurde und die seit der mexikanischen Revolution anhaltende Dauerherrschaft der Pri formal beendete, schadete den Geschäften der Narcounternehmer nicht. Denn umfassende Kontakte in Politik und Verwaltung bestehen nicht nur zum Pri, sondern auch zum Pan, wie das Beispiel der Stadt Atizapán im Bundesstaat Mexiko unlängst zeigte.

Nachdem dort mehrere Narcos internen Querelen zum Opfer gefallen waren und eine lokale Abgeordnete des Pan erschossen worden war, stießen Ermittler darauf, dass sich die Stadt seit Jahren mehr oder weniger unter Kontrolle der Narcos des Tijuana-Kartells befindet. Der Pan-Bürgermeister von Atizapán wird verdächtigt, in den Drogenhandel verwickelt und am Mord an der Abgeordneten seiner eigenen Partei beteiligt zu sein. Er und sein Team wurden des Amtes enthoben, weitere Ermittlungen folgten.

Baja California, Chihuahua und Jalisco, drei der vier unsichersten Bundesstaaten Mexikos, in denen das Narcobusiness seine Wurzeln hat, werden seit Jahren von der Pan regiert. Und auch der Ende 2001 verhaftete ehemalige Chef der Kommunalpolizei von Mexicali in Baja California, Francisco Javier Vaca García, und der einige Monate zuvor verhaftete ehemalige Leiter einer weiteren Polizeieinheit (Seguridad Pública) der gleichen Stadt, Antonio Carmona Añorve, die beschuldigt werden, die Narcounternehmer Arellano Félix unterstützt zu haben, gehörten zu den Schützlingen des Pan. Noch im Amt wurden sie bereits im Juli 1997 von Abgeordneten des Pri der Verwicklung ins Drogengeschäft beschuldigt.

Zwar kam es auch unter Fox zu einigen spektakulären Schlägen gegen die Narcos. So wurden die Generäle Arturo Acosta Chaparro Escapite und Humberto Quirós Hermosillo am 29. August 2001 wegen Verbindungen zum Drogenhandel verhaftet. Beide werden als ehemalige Mitglieder der geheimen Antiterroreinheit »Brigada Blanca« und wegen ihrer Aktivitäten im »Kampf gegen die Subversion« in den siebziger Jahren von Menschenrechtsorganisationen schwerer Verbrechen angeklagt. Ein anderes Beispiel ist die »Säuberung« der so genannten Staatsanwaltschaftlichen Polizei, in deren Verlauf sieben von zehn Beamten wegen Verbindungen zum Drogenhandel entlassen wurden.

Und doch ist die Bilanz des gefeierten Generalstaatsanwalts, des ehemaligen Generals Rafael Macedo, mehr als zweifelhaft. Nach einigen Erfolgen während seiner ersten 100 Tage im Amt ist das Volumen der beschlagnahmten Drogen in der zweiten Jahreshälfte 2001 im Vergleich zur ersten Jahreshälfte drastisch geschrumpft: Kokain um 73, Marihuana um mehr als 34 und Heroin um fast 22 Prozent.

Als neues Prestigeprojekt der Regierung im Kampf gegen die so genannte Organisierte Kriminalität gilt die Umstrukturierung der Polizei und der Staatsanwaltschaft. Die Oberstaatsanwaltschaft der Republik (PGR) soll demnach im Wesentlichen mit juristischen Aufgaben betraut werden - bisher übernahm sie meist polizeiliche Aufgaben -; ergänzt werden soll sie von einer Polizei im Stil des US-amerikanischen FBI. Ein neu geschaffenes »Ministerium für öffentliche Sicherheit und Dienste für die Justiz« soll zudem alle Polizeieinheiten, Drogenbekämpfungsbehörden und das Strafsystem koordinieren.

Angesichts dessen, dass Pan-Politiker auch während der Pri-Regierung wichtige Posten in der Drogenbekämpfung innehatten, ohne dass die Ergebnisse ihrer Arbeit sich von denen ihrer Vorgänger unterschieden hätten, sind wohl keine herausragenden Ergebnisse zu erwarten. Gerade der Pan-Senator Francisco Molina Ruiz, Verantwortlicher in der Regierung für Strategien der öffentlichen Sicherheit, der auch für die Umstrukturierung der Polizei und der Staatsanwaltschaft zuständig ist, stand zuvor an der Spitze des Nationalen Instituts zur Drogenbekämpfung (INCD), und der Pan-Repräsentant Antonio Lozano befand sich an entscheidender Stelle in der PGR.

Die zentrale Rolle in der Drogenbekämpfung fällt weiterhin den Streitkräften zu. Das 3,2 Milliarden Dollar umfassende Militärbudget Mexikos für das Jahr 2002 soll nach Angaben der Armee überwiegend für die Drogenbekämpfung ausgegeben werden. 1 000 Soldaten sollen ausschließlich dafür bereit stehen. Allerdings gilt es zu bedenken, dass in Mexiko vielerorts - z.B. in Guerrero und Chiapas - die Drogenbekämpfung auch für Operationen gegen die Guerilla und ihre vermeintliche Basis benutzt wird.

Die Armee und die ihr nahe stehende autoritäre Rechte wissen diesen Umstand zu nutzen und profitieren von dem Machtvakuum, das sich unter Fox gebildet hat. Zivile Posten werden nicht selten von Angehörigen der Armee besetzt. Somit wird nicht nur die Gesellschaft militarisiert, sondern angesichts der Verstrickung der Armee in das Narcobusiness wird hier der Bock zum Gärtner gemacht.

Die USA, Mexiko und Kolumbien


Obwohl sich die Situation beim Narcobusiness in Mexiko nicht verbessert hat, verzichtete die US-Regierung im vergangenen Jahr erstmals auf die sonst übliche jährliche Drogenzertifizierung der mexikanischen Regierung und kam damit einer Bitte nach, die Präsident Fox dem US-Kongress vorgetragen hatte. Warum wurde Mexikos Rolle im Drogenbusiness von den USA niemals so hervorgehoben wie die Kolumbiens?

Einerseits liegt es im Interesse der USA, in Kolumbien unter dem Deckmantel des Drogenkrieges die Guerillas und Basisbewegungen zu bekämpfen, andererseits sollen die intensiven Beziehungen zwischen Mexiko und den USA, die in das Freihandelsabkommen Nafta mündeten, nicht gefährdet werden. Mexiko ist zu einem Juniorpartner der USA geworden. Die 1994, nach dem Aufstand der EZLN-Guerilla in Chiapas, eingeleitete militärische Kooperation zwischen beiden Staaten hat sich gut entwickelt. Die ehemals eigenständige Außenpolitik Mexikos ist einer den USA genehmen Linie gewichen. George W. Bush wurde Unterstützung für seine »Antiterrorkampagne« zugesagt. Die Regierung Fox schwenkte von einem freundlichen Kurs gegenüber Kuba auf Konfrontation um. Am 19. April stimmte Mexiko erstmals einer Verurteilung Kubas durch den Menschenrechtsausschuss der Uno zu, und eine Woche zuvor wurde der kolumbianischen Guerilla Farc das weitere Betreiben von Büros in Mexiko verboten.

Die USA können schlecht zugeben, dass es sich bei ihrem Partner im Süden um eine der schlimmsten Narco-Republiken der Welt handelt. Darüber hinaus haben das Freihandelsabkommen Nafta und andere Handelsverträge den Drogenhandel einfacher gemacht, während der Antidrogenkrieg weitgehend als gescheitert zu betrachten ist - zumindest bei den öffentlich erklärten Zielen.

Selbst Berichte des militärischen Geheimdienstes der USA sprechen von »ärmlichen Ergebnissen«, die Drogenorganisationen und -kartelle »haben sich neu positioniert und sind gestärkt«. Stephen P. Howard, Chef des Ausbildungs-, Operations-, Planungs- und Politikzentrums des Hauptquartiers des Kommandos für Spezialeinsätze der USA in Florida, stellt in einer Analyse fest: »Der militärische Kampf gegen die Drogen ist ein Trugschluss, für den zu viel ausgegeben wird und bei dem sehr wenige Ergebnisse zu erzielen sind. (...) Es handelt sich um eine Schlacht, in der es keinen Sieg geben wird.« Diese Erkenntnis ist jedoch den Wählern in den USA kaum zuzumuten. Hinzu kommen die guten wirtschaftlichen Verbindungen nach Mexiko.

In den Medien wird seit dem Krieg gegen Afghanistan über die steigende Bedeutung des kolumbianischen Heroins spekuliert. Die US-Botschafterin in Kolumbien, Ann Patterson, meinte sogar, dass »Taliban-Drogenhändler sich nach Kolumbien absetzen könnten, um von dort aus den Heroinfluss in die USA aufrechtzuerhalten«.

Solche Äußerungen sind eindeutig politisch motiviert. Zwar ist es richtig, dass das kolumbianische Heroin beliebter wird, doch liegt das an seinem hohen Reinheitsgrad, der vom asiatischen Heroin kaum erreicht wird, und am günstigen Preis. Bei etwa 90 Prozent Reinheit ist es nur halb so teuer wie das asiatische.

Allerdings gilt dasselbe auch für das mexikanische Heroin. In den sechziger Jahren wegen seiner Farbe, die auf dem niedrigen Reinheitsgrad beruht, noch »brown sugar« genannt und als Billigstoff in den Unterklassen verbreitet, gelang es den mexikanischen Narcos in den achtziger und neunziger Jahren, Raffinierungsmethoden zu entwickeln, die den Reinheitsgrad und die Qualität drastisch erhöhten. Die Mexikaner waren es auch, die ihr Wissen an die Kolumbianer weitergaben. Nach Angaben der CIA produziert Kolumbien acht Tonnen Heroin jährlich, Mexiko 2,4 Tonnen.

Allerdings messen unabhängige Quellen beiden Ländern etwa das gleiche Produktionsvolumen zu. Während die Schlafmohnanbaufläche in Kolumbien auf etwa 30 000 Hektar geschätzt wird, gibt es solche Schätzungen für Mexiko nicht. Allerdings spricht die Tatsache, dass dort nach offiziellen Angaben allein im Jahr 2000 nahezu 16 000 Hektar Schlafmohnanbauflächen zerstört wurden, für ein höheres Produktionsvolumen, als es stets öffentlich verkündet wurde. Die Behauptung der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA, 70 Prozent des in den USA konsumierten Heroins stammten aus Kolumbien, entspricht wohl eher politischen Interessen als der Realität.

100 Jahre Opiate

In Mexiko hat der Opiumanbau eine lange Tradition, alt ist auch die Verbindung zwischen dem Drogengeschäft und den offiziellen Institutionen. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Mohn in Mexiko angebaut, um die chinesischen Einwanderer in den USA mit Opium zu beliefern. Schon damals kassierte Esteban Cantù, Angehöriger des Militärs und Gouverneur von Baja California, für Genehmigungen zum Opiumanbau feste Summen pro Hektar. Wenn jemand nicht bezahlte, wurde das Opium konfisziert und mittels der Familiennetze von Cantú in den USA verkauft.

Das Opium erfreute sich in den USA rasch größerer Beliebtheit, und in den zwanziger und dreißiger Jahren, während der Alkoholprohibition, existierten in Mexiko bereits mafiöse Strukturen, die ihre Geschäfte mit dem Opium machten. Der wohl wichtigste Schutzpatron war damals General Rodrigo Quevedo, der Gouverneur von Chihuahua, der für jede Lieferung, die seinen Bundesstaat in Richtung USA verließ, stattliche Summen kassierte und dafür die Narcounternehmer unter seinen Schutz nahm. Ähnlich sah es in den anderen Grenzstaaten aus.

Im Laufe des Zweiten Weltkriegs stieg die Produktion. Das mexikanische Morphium wurde in den USA für die Behandlung der vielen Kriegsversehrten benötigt. Innerhalb des mexikanischen Systems entbrannte ein heimlicher Krieg um den Drogenhandel. Gegen ihn war niemand, doch ein Flügel der Staatspartei Pri war der Ansicht, dass die Gewinne aus dem Drogenhandel der Entwicklung der Gesellschaft zugute kommen und nicht in den Taschen der Politiker und Militärs verschwinden sollten.

1944 wurde Rodolfo Loaiza, der Gouverneur von Sinaloa, der in seinem Bundesstaat den Mohnanbau tolerierte und zu den prominentesten Vertretern der Sozialisierung von Gewinnen aus dem Drogenhandel gehörte, im Auftrag zweier Armeegeneräle ermordet. Pablo Macías Valenzuela, einer der beiden Generäle und ehemaliger Kriegs- und Marineminister, übernahm das Amt. Mit Leopoldo Sánchez Celis als Gouverneur von Sinaloa in den sechziger Jahren wurde ein weiterer Höhepunkt erreicht, der Politiker des Pri galt als »Pate« aller zukünftigen großen Narcounternehmer.

Mittlerweile ist sozusagen eine vertikale Integration auf allen Ebenen erfolgt. Die Policía Judicial der Bundesstaaten und des Zentralstaates kontrolliert und verwaltet die Geschäfte der Narcos, und die Armee übernimmt die Rolle, zwischen den Narcos und der Politik zu vermitteln. Verschiedene Posten werden von den Politikern verkauft. Der Pri hielt die mexikanischen Militärs von der Politik fern; dafür bekamen sie freie Hand bei illegalen Geschäften.

Angesichts des seit dem Ende der sechziger Jahre rapide ansteigenden Drogenkonsums in den USA - und damit der Produktion von Heroin und Marihuana in Mexiko - stieg auch der US-amerikanische Druck auf die mexikanische Regierung. Die US-Behörden verbreiteten nun öffentlich die These, die Vernichtung der Drogenproduktion sei der primäre Hebel, um den Konsum einzudämmen.

Die mexikanische Armee organisierte deswegen die »Operation Condor«, die es offiziell seit 1977, inoffiziell aber schon seit 1975 gab. Dabei handelte es sich um mehr als 10 000 Soldaten und Beamte der staatsanwaltschaftlichen Polizei PGR, die den mexikanischen Nordosten, vorwiegend Sinaloa, unter der Leitung von General José Hernández Toledo und Carlos Aguilar Garza durchkämmten. Dabei wurden nicht nur zehntausende Hektar Mohn- und Marihuanafelder niedergebrannt, sondern auch tausende Bauern vertrieben, es kam zu extralegalen Hinrichtungen und Folterungen, nicht wenige Menschen verschwanden. Die Narcos aus Sinaloa verlegten ihren Sitz in andere Bundesstaaten.

General Toledo hatte sich bereits am 2. Oktober 1968 einen Namen mit seiner Beteiligung am Massaker an Studenten auf dem Platz der drei Kulturen in Mexiko-Stadt und mit der brutalen Räumung mehrerer besetzter Universitäten gemacht. Die Tatsachen, dass Geheimdienste und Armee zur »Bekämpfung der Subversion« in den siebziger Jahren Allianzen mit Narcounternehmern eingegangen waren und Carlos Aguilar Garza bis zu seiner Ermordung 1993 eine glänzende Karriere im Drogengeschäft hinlegte, führten dazu, dass die »Operation Condor« im Nachhinein häufig als Aktion zur Beseitigung der Konkurrenz verstanden wird.

Die Kolumbien-Connection

Der Druck der USA ließ schnell wieder nach, und unter Präsident Miguel de la Madrid (1982 bis 1988) erholte sich das Drogenbusiness prächtig. Die politische Polizei DFS, die direkt dem Präsidenten unterstand, arbeitete eng mit den Narcounternehmern des Guadalajara-Kartells zusammen. Das war so offensichtlich, dass sich de la Madrid 1985 gezwungen sah, die Institution aufzulösen. Ein ehemaliger Leiter der DFS, Rafael Aguilar Guajardo, übernahm daraufhin sogar die Führung einer aus dem Kartell neu entstandenen Narco-Organisation in Ciudad Juarez. In Berichten der DEA wurden die Spitzen der mexikanischen Regierung zu Zeiten de la Madrids als Protegés der Narcounternehmer genannt, ohne dass dies jemals Folgen für die Beziehungen zu den USA gehabt hätte.

Auf diese Zeit gehen auch die ersten Verbindungen zwischen kolumbianischen und mexikanischen Drogenunternehmern zurück. Der rapide angestiegene Kokainkonsum in den USA erforderte große Lieferungen. Der Norden Mexikos erwies sich als ideal, um in seinen riesigen wüstenähnlichen Gebieten mit Flugzeugen aus Kolumbien zu landen und den Weitertransport in die USA zu organisieren. Die Kolumbianer Gustavo de Jesús, ein Cousin von Pablo Escobar, und Gonzalo Rodríguez Gacha einigten sich 1984 mit dem Mexikaner Miguel Angel Félix Gallardo, einem Narcounternehmer des Sinaloa-Kartells, aus dem später auch das Tijuana-Kartell und das Juarez-Kartell hervorgehen sollten.

Die Kolumbianer um Pablo Escobar lieferten das Kokain in Ladungen von einer halben Tonne in eigenen Flugzeugen. Die Mexikaner stellten Flugpisten in Baja California, Sonora, Chihuahua und Coahuila (allesamt Grenzstaaten zu den USA) und sorgten für ihre Sicherheit sowie für das Entladen der Flugzeuge, den Weitertransport auf der Straße und die Einfuhr in die USA; dafür kassierten sie 3 000 bis 4 000 Dollar pro Kilo.

Für Gallardo, einen ehemaligen Polizisten, war das nicht schwierig, genoss er doch den Schutz der Polizei und der Politik. Auf seinen Partys war selbst der damalige Gouverneur von Sinaloa regelmäßig zu Gast. Mit der Zeit weiteten sich die Geschäfte der Kolumbianer mit den Mexikanern aus, der Gewinnanteil der Mexikaner wurde dabei größer.

Der Narco-Präsident

Es folgte die Amtszeit von Carlos Salinas (1988 bis 1994), dessen Bruder Raul zum Koordinator des Narcobusiness avancierte. Untersuchungen der Presse und der DEA zufolge wurden unter Carlos Salinas einige seiner Berater und Minister und Gouverneure verschiedener Bundesstaaten, Verantwortliche des »Antidrogenkrieges«, Armeegeneräle usw. tief ins Drogengeschäft verwickelt. Viele von ihnen waren auch noch unter dem nächsten Präsidenten, Ernesto Zedillo, im Amt.

In die Amtszeit Salinas' fielen auch die Großtransporte (bis 15 Tonnen Kokain pro Flug) mit Flugzeugen des Typs Boeing 727, Caravelle und DC 8, die von kolumbianischen Drogenunternehmern gekauft wurden und im Norden Mexikos - manchmal sogar auf ehemaligen Armeeflughäfen - landeten. Dort wurden sie unter dem Schutz der Armee und der Polizei entladen. Amado Carrillo, vermeintlicher Chef des Juarez-Kartells (1997 unter mysteriösen Umständen nach einer Gesichtsoperation ums Leben gekommen), verdiente sich mit diesen Flügen seinen Spitznamen Señor de los cielos (»Herr der Lüfte«). Selbst Flüge, die von den US-Behörden per Radar entdeckt und den mexikanischen Behörden gemeldet wurden, blieben unbehelligt. Für solche Unternehmungen war eine Komplizenschaft der Armee und der Regierung nötig.

Der Salinas-Clan knüpfte direkte Beziehungen zu den kolumbianischen Narcounternehmern aus Medellín, Raul Salinas kassierte Millionen Dollar für die Sicherheit von kolumbianischen Kokainlieferungen in Flugzeugen, denen der Schutz der Armee und der Polizei geboten wurde. 1998 veröffentlichten die Schweizer Behörden einen fast 400seitigen Bericht über die Machenschaften des Salinas-Clans. Carlos Salinas ernannte einige bekannte Männer aus der Narcopolitik zu seinen engsten Vertrauten und besetzte wichtige Posten mit ihnen; so wurden etwa den drei höchsten Verantwortlichen des »Antidrogenkrieges« Verbindungen zum Drogenhandel nachgesagt.

Die Familie Salinas verbündete sich mit Juan García Àbrego und dem Golf-Kartell, und die Regierung Salinas ging vehement gegen konkurrierende Organisationen vor. Dies bescherte Àbrego und seinen Verbündeten einen glänzenden Aufstieg im Narcobusiness. Es folgten Auftragsmorde und Säuberungen im Pri selbst. Der strukturelle Zerfall des »Systems Pri« war unaufhaltsam, die neuen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen machten eine Verteilung der Pfründe nach dem alten Muster immer schwieriger.

Doch Carlos Salinas profitierte und setzte sich nach seiner Amtszeit mit einer zweistelligen Milliardensumme in Dollar nach Irland ab, während sein Bruder Raul wegen Auftragsmordes in Haft landete. Noch heute gehört Carlos Salinas zu den grauen Eminenzen des Landes, der ehemalige Präsident spinnt seine Fäden weiter, reist trotz Anschuldigungen ein und aus und trifft sich mit bedeutenden Persönlichkeiten der Wirtschaft und des Pri.

Grenzen sind zum Schmuggeln da


Carlos Salinas stammt aus einer alten Schmuggler- und Drogenhändlerfamilie. Zwischen den USA und Mexiko - die Grenze änderte sich bis 1848 einige Male - wird seit über 400 Jahren geschmuggelt. Ende des 16. Jahrhunderts begann die illegale Einfuhr nach Mexiko, um die Zölle der damals herrschenden spanischen Krone zu umgehen. Über die Jahrhunderte hinweg wurden immer die Waren, die jeweils auf einer der beiden Seiten der Grenze verlangt wurden, geschmuggelt. Als Mexiko 1821 die Unabhängigkeit erlangte, war diese Tätigkeit tief verankert.

Mitte des 19. Jahrhunderts wurden etwa zwei Drittel aller Importwaren aus den USA in den Norden Mexikos geschmuggelt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann der Schmuggel von Alkohol in die USA und von Waffen in beide Richtungen, je nachdem, in welchem Land sich gerade ein Krieg oder ein Aufstand abspielte. Als die USA 1880 ein Einreiseverbot für Chinesen verhängten, kamen die »illegalen« Grenzübertritte von Menschen hinzu. Und als 1909 das Verbot des von den Chinesen eingeführten Opiums folgte, kam auch das aus Mexiko.

Während der Mexikanischen Revolution (1910 bis 1920) wurden wieder Waffen nach Mexiko geschmuggelt, anschließend war es wieder Alkohol in die andere Richtung. Als 1924 das erste »Migrationsstatut« vom US-Kongress verabschiedet wurde, gewann der Schmuggel von Menschen wieder an Bedeutung.

1934, mit dem Ende der Prohibition in den USA, verlegte sich der Schmuggel auf langlebige Konsumgüter, vorwiegend Autos, Kühlschränke und Heizöfen - diesmal wieder in Richtung Mexiko, wo die Importzölle sehr hoch waren. Etwa zur gleichen Zeit wurden immer größere Mengen Marihuana in die USA geliefert.

Das Ende des »Bracero-Programms«, eines 1943 geschlossenen Abkommens, mit dem Hunderttausende mexikanische Arbeitskräfte in die USA geholt wurden, sorgte 1965 für einen neuen Schub. Hinzu kam Ende der sechziger Jahre die ansteigende Nachfrage aus den USA nach Marihuana und Heroin. Der rapide Verfall des Peso in der ersten Hälfte der achtziger Jahre und Mexikos Beitritt zum Gatt-Abkommen im Jahr 1986 führten zum Ende des Schmuggels von Konsumgütern. Schmuggler und die vormals bestochenen Grenzbeamten - in Mexiko und in den USA - standen vor schweren Einkommenseinbußen.

Zugleich verlagerten die kolumbianischen Narcos einen guten Teil des Kokainschmuggels von Miami (Florida) an die mexikanische Grenze. Anfang bis Mitte der neunziger Jahre gelangte schätzungsweise 70 Prozent des in den USA konsumierten Kokains über Mexiko in die USA. Ende der neunziger Jahre waren es nur noch etwa 50 Prozent, seither werden neue Routen benutzt.


Gute Geschäfte

Unter Präsident Ernesto Zedillo (1994 bis 2000) veränderte sich nicht viel. Nach einem Bericht des mexikanischen Innenministeriums von 1996 bestand etwa die Hälfte der damals geschätzten 900 bewaffneten kriminellen Organisationen des Landes aus aktiven und ehemaligen Ordnungskräften. Zwar kam es auch hier zu einigen spektakulären Aktionen, etwa im Februar 1997 mit der Verhaftung des Generals Jesús Gútierrez Rebollo, des Leiters des Nationalen Instituts zur Drogenbekämpfung (INCD) und ehemaligen Kommandeurs der Militärregion V (mit Sitz in Guadalajara), der Mitarbeiter des von Amado Carrillo geleiteten Juarez-Kartells war.

Rebollo führte als Chef der V. Militärregion einen Krieg gegen das weit verzweigte Netz der Gebrüder Arellano Félix vom Tijuana-Kartell. Dabei benutzte er Informationen, die er direkt von Vertrauten Amado Carillos bekam. Darüber hinaus war er in den Transport und Handel mit Kokain verwickelt. Rebollo verdiente gut, über ein Dutzend Immobilien in seinem Besitz wurden beschlagnahmt, und auch seine Untergebenen gingen nicht leer aus, für sie gab es Geld, Autos und Wohnungen.

Rebollo, der bereits 1998 wegen illegalen Handels mit Armeewaffen zu 31 Jahren Haft verurteilt wurde, erhielt am 22. Februar eine weitere Haftstrafe von 40 Jahren, sein Dienstgrad wurde ihm aberkannt, und er musste eine Geldstrafe von umgerechnet etwa 2,7 Millionen Euro zahlen. In diesem Verfahren wurde er wegen der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung, des Transports von Kokain und wegen Bestechung verurteilt. Ein weiteres Verfahren wegen Amtsmissbrauchs steht noch aus.

Die Aussagen Rebollos führten zur Verhaftung von 34 hohen Armeeangehörigen, 14 Marinemitgliedern sowie zahlreichen Politikern. Einer von ihnen war Mario Villanueva, der ehemalige Gouverneur von Quintana Roo, der dem Juarez-Kartell Polizeischutz gewährte. Es traf auch den ehemaligen Chef der Policía Judicial Federal, Adrían Carrera Fuentes, den ehemaligen Staatsanwalt und Verbindungsmann zum Pri, Mario Ruiz Massieu, diverse Offiziere der Polizei sowie Unternehmer.

Doch derartige »Schläge« gegen das Narcobusiness hat es in Mexiko stets gegeben. Wenn die Verwicklung bestimmter Mandatsträger oder Beamter ins Drogengeschäft zu offensichtlich wurde oder gewisse Narcounternehmer zu dreist wurden, griff die Justiz zu - falls die ermittelnden Staatsanwälte nicht rechtzeitig bestochen oder ermordet wurden. Dies beeinträchtigte bisher weder die Struktur des Narcobusiness, noch minderte es den Schutz der offiziellen Institutionen. Vor allem die Wirtschaft Mexikos dürfte so gut wie vollständig von Drogengeld durchtränkt sein. So waren zehn von zwölf Unternehmen, deren Konten jüngst von der US-Justiz beschlagnahmt wurden, da sie in den Drogenhandel verwickelt waren, mexikanische Firmen.

Bis heute sind die Strukturen der Narcounternehmer weitgehend intakt. Allein die Anzahl aufstrebender Narcounternehmen, die in Zellen aufgeteilt sind und wie Großunternehmen mit klarer Arbeitsteilung agieren, wird in Mexiko auf 60 geschätzt.

Der Quintero-Clan


Am 21. Dezember 2001 verhafteten die Spezialeinheiten der Uedo (Unidad Especializada contra la Delincuencia Organizada) auf ein US-amerikanisches Ersuchen hin, das bei den Behörden der Afi (Agencia Federal de Investigación) einging, den Drogenunternehmer Miguel Angel Caro Quintero in Los Mochis im nördlichen Bundesstaat Sinaloa. Er soll bis 1999 der Chef des kleinsten unter den großen Drogenclans Mexikos gewesen sein.

Sein Clan förderte den Anbau von Schlafmohn (in Mexiko) und Marihuana, stellte Heroin her und exportierte Marihuana, kolumbianisches Kokain und Heroin in die USA. Nach Angaben der DEA koordinierte Miguel das Geschäft mit seinen Geschwistern Jorge, Genaro, María del Carmen, Blanca und Lilia - womit auch das Vorurteil aus dem Weg geräumt sein dürfte, das Drogengeschäft sei eine reine Männersache. Miguel übernahm die Geschäftsführung im Familienclan, nachdem sein Bruder Rafael Caro Quintero - vormals Chef des Quintero-Clans - 1985 wegen der Ermordung des US-amerikanischen DEA-Agenten Enrique Camarena verhaftet worden war.

So wurde die Auslieferung von M.A. Caro Quintero bereits 1992 von den USA beantragt. Er wurde damals zwar verhaftet, ein mexikanischer Richter befand jedoch alle Vorwürfe als unbegründet und ließ ihn wieder laufen. M.A. Caro Quintero operierte völlig unbehelligt in Sonora. Die Polizei der Staatsanwaltschaft (PGR) behauptete zwar, sie habe ihn »mit aller Energie gesucht« und es habe »keinerlei Stillschweigen oder Toleranz gegenüber seinem Handeln gegeben«. 1997 lud Quintero einen Journalisten der Washington Post ein. Er erklärte selbstsicher: »Ich passiere jeden Tag Straßensperren der Polizei oder Armee, und es ist kein Problem. Wie kann es sein, dass sie mich nicht finden können? In Wirklichkeit suchen sie mich nicht.«

Die guten Verbindungen der Familie Quintero zur Politik und zu den Ordnungskräften waren bestens bekannt, die DEA legte selbst Fotos vor, auf denen Miguel Angel hohe Polizisten in seinem Haus empfängt. Und in den achtziger Jahren verfügte der Quintero-Clan auch über gute Freunde jenseits der Grenze. Die Narcounternehmer der Clans in Sinaloa stellten ihre Grundstücke für die Ausbildung nicaraguanischer Contras zur Verfügung, CIA-Flugzeuge flogen zwischen Guadalajara und dem Militärflughafen Homestead hin und her, mit Waffen in die eine und mit Kokain in die andere Richtung. Rafael Caro Quintero kümmerte sich damals um den Einkauf von Waffen.

Das Tijuana-Kartell

Neben dem Clan der Familie Caro Quintero operieren heute weitere vier große Narcokonglomerate von Mexiko aus. Das größte soll das Tijuana-Kartell der Gebrüder Arellano Félix sein. Trotz ihrer Verhaftung ist von einem weiteren Bestehen der Strukturen auszugehen.

Das Netz besteht aus zahlreichen Unterorganisationen, die alle unabhängig und selbstständig handeln. Die Narcounternehmer sollen vor allem zwischen 1994 und 1996 ihre Geschäfte ausgeweitet haben, als sie Geschäftsverbindungen zu kolumbianischen, italienischen und russischen mafiösen Organisationen sowie zur japanischen Yakuza und zu den chinesischen Triaden eingingen und das Geschäft mit Heroin und synthetischen Drogen ausdehnten.

In Mexiko erkaufte sich das Narcokonglomerat mittels hoher Summen in allen 15 Bundesstaaten, in denen es aktiv ist, den Schutz der Armee und lokaler, regionaler wie nationaler Polizeieinheiten. So wurde z.B. der ehemalige Chef der Policía Judicial des an der Grenze zu den USA gelegenen Bundesstaates Baja California Sur 1999 zu 16 Jahren Haft verurteilt, da ihm der Schutz eines 15-Tonnen-Kokaintransports aus Kolumbien bei seiner Landung in Baja California Sur nachgewiesen wurde.

Die Verhaftung bzw. Tötung der drei im Kartell führenden Arellano-Brüder dürfte zu einer Neuordnung der Geschäfte führen. Doch die Aussage, das Kartell der Arellano Félix sei vollständig zerschlagen, die erst im März dieses Jahres von Vertretern der mit Drogenbekämpfung betrauten Armee und der Generalstaatsanwaltschaft auf einer Pressekonferenz gemacht wurde, entbehrt jeder Grundlage. Das auch als Organisation der Brüder Arellano Félix bekannte Narcokonglomerat besteht tatsächlich aus einem Zusammenschluss von mindestens einem Dutzend verschiedener Organisationen. Schon nach wenigen Tagen standen der PGR zufolge die drei Nachfolger an der Spitze fest.


Das Juarez-Kartell

Noch dezentraler, in Form von Zellen, arbeitet das so genannte Juarez-Kartell. Die ehemals vom verstorbenen »Herrn der Lüfte«, Amado Carrillo Fuentes, geführte Organisation wird oftmals als das mächtigste Narcounternehmen Lateinamerikas bezeichnet. Die einzelnen »Zellen«, die sowohl regional als auch nach Aufgaben aufgeteilt sind, sind in verschiedenen Bundesstaaten Mexikos im Norden und Südosten aktiv.

Das Unternehmen beschränkt sich weithin auf das Kokainbusiness. Das Pulver wird sowohl mit Schnellbooten aus Kolumbien an die Küsten der mexikanischen Karibik, wie auch in Flugzeugen in den mexikanischen Norden geliefert. Der Weitertransport erfolgt in der Regel auf dem Landweg nach Tijuana, Guadalajara und Ciudad Juárez und von dort aus an die zentralen »Vertriebspunkte« in den USA: Los Angeles, New Jersey, Chicago und Phoenix.

Wie die Verhaftung von Mario Villanueva Madrid, dem ehemaligen Gouverneur des Karibikstaates Quintana Roo, wegen Verbindungen zum Juarez-Kartell im Mai 2001 deutlich machte, sind die Beziehungen dieses Narcounternehmens zu den höchsten Sphären der Politik hervorragend. Mario Villanueva entpuppte sich im Laufe der Ermittlungen sogar als führendes Mitglied der Kartells. Ihm wird die Einfuhr von über 200 Tonnen Kokain in die USA und das Waschen von mindestens 72 Millionen Dollar an Drogengeld vorgeworfen.

Die Infiltration der Drogenunternehmer in die Institutionen ist so umfassend, dass Presseberichten zufolge Vicente Carrillo Fuentes, der Erbe des Narcounternehmens nach dem Tod seines Bruders Ende November 2001 - obwohl per Haftbefehl gesucht - unbehelligt an der Hochzeit eines seiner Neffen teilnehmen konnte. Auch ein weiteres gesuchtes Familienmitglied, Rodolfo Carrillo Fuentes, war mit einer Polizeieskorte bei der Hochzeit anwesend.


Das Golf-Kartell

Das Golf-Kartell hingegen wurde mit offizieller Unterstützung während der Präsidentschaft Salinas' bedeutend. Ursprünglich schmuggelte die Organisation Alkohol und Zigaretten, dank der schützenden Hand des Salinas-Clans konnte sie ihr Drogenbusiness stark ausweiten und konsolidieren. Nach dem Ende der Amtszeit Salinas´ verlor sie wieder viele Marktanteile. Die Verhaftung von Juan García Àbrego im Jahr 1996 und seine Auslieferung in die USA beendete das Geschäft des Golf-Kartells aber nicht - was wegen der Unternehmensstruktur auch nicht verwunderlich ist. Die US-Behörden, die wohl anderes erwartet hatten, erwähnten die Organisation drei Jahre lang nicht einmal mehr in ihren Berichten.

Die Organisation mit Sitz in Matamoros, im Norden Mexikos am Golf gelegen, arbeitet ebenfalls nach dem Zellenprinzip und exportiert angeblich pro Monat zwischen 250 und 300 Kilogramm Kokain in die USA. Sie wird von Osiel Cárdenas Guillén und Zeferino Peña Cuéllar geleitet. Der militärische Geheimdienst hingegen bezeichnet den prominenten Unternehmer Julio César Longoria Narváez, alias »Ramiro Longoria«, als Kopf der Struktur. Auch sie zählt weiterhin auf wichtige offizielle Unterstützung. Als im November 2001 die Spezialeinheiten der Uedo 16 Mitglieder der Organisation festnahmen, die in den Bundesstaaten Veracruz, Tamaulipas und Nuevo León tätig waren, befanden sich unter ihnen auch sechs ehemalige Angehörige der Eliteeinheiten der mexikanischen Armee, Gafes.

Eine weitere Anekdote macht die Unterstützung noch deutlicher. Als Anfang 1999 Angehörige der DEA und des FBI in Matamoros einen wichtigen Zeugen gegen die Organisation in seinem Privathaus verhörten, stürmten 15 Bewaffnete unter der persönlichen Leitung von Osiel Cárdenas Guillén das Haus und bedrohten die US-Beamten und den Zeugen. Dem DEA-Mitarbeiter gelang es, mit seinem Mobiltelefon die Nummer des örtlichen Kommandanten der Policía Judicial zu wählen, der so den gesamten Vorfall am Telefon miterlebte. Die Polizei schritt dennoch nicht ein, spätere Ermittlungen brachten schließlich zu Tage, dass die meisten der Bewaffneten Polizisten waren.


Das Amezcua-Kartell

Vollständig auf synthetische »Modedrogen« und Amphetaminderivate wie Ecstasy, Ice und Crystal spezialisiert ist hingegen das Amezcua-Kartell. Dieser Clan gilt als größter Ephedrin-Händler und größter Amphetamin-Produzent der Welt und ist sowohl in Mexiko wie in den USA verwurzelt. Labors mit Produktionskapazitäten von hunderten von Kilos wöchentlich wurden in Guadalajara und Tijuana wie auch in Los Angeles, San Diego, San Francisco, Phoenix und Seattle entdeckt. Die Organisation kauft Grundstoffe in Südostasien - ein Großeinkäufer wurde 1997 in Bangkok ausgemacht - und exportiert auch nach Europa.

Die Amezcuas genießen ebenfalls den Schutz aus höchsten Sphären. Die Brüder Jesús und Luis Amezcua Contreras wurden 1998 in Mexiko verhaftet. Ein Auslieferungsgesuch der USA wurde jedoch abgelehnt, alle Anklagepunkte bis auf »illegalen Waffenbesitz« abgeschmettert, die Angeklagten erlangten wieder ihre Freiheit. Adán Amezcua Contreras, der 1999 wegen Geldwäsche verhaftet worden war, wurde in Guadalajara kurze Zeit später freigesprochen. Gegen den Richter erging zwar ein Jahr später ein Haftbefehl wegen des Freispruchs, doch Adán Amezcua wurde seitdem nicht mehr belangt. Er widmet sich auf seiner Hacienda angeblich der Viehzucht.

Anhand der verschiedenen Kartelle lässt sich feststellen, dass die tatsächliche Funktionsweise des Drogengeschäfts nicht viel gemein hat mit der Darstellung in zahlreichen Filmen und Medienberichten. Weder ist das Narcobusiness eine exklusive Angelegenheit großer mafiöser Banden, noch handelt es sich dabei um fest strukturierte »topdown«-Organisationen, sondern vielmehr um ein internationalisiertes modernes Business, in dem sich Allianzen aus Clans, Familien, Banden, Unternehmen und Individuen täglich neu formieren. Flexibilität ist Trumpf.

Wie in der modernen Wirtschaft liegt ein Schwerpunkt auf der Spezialisierung und der Kooperation, die Produktpalette weitet sich aus, die Illegalität des Geschäfts sorgt für enorme Extraprofite.

Und auch der Staatsapparat steht keineswegs in einem heldenhaften Kampf gegen die Narcounternehmer. Verschiedene Subagenturen des Staates rivalisieren miteinander im Rhythmus des Auf- und Abstiegs diverser Kartelle, und nur eine Tendenz scheint klar zu sein: die fortschreitende Militarisierung.