Unterstützt von konkurrierenden Fraktionen der Oligarchie, streiten in Nicaragua zwei Konsortien über den Zuschlag für ein Großprojekt, das die Atlantik- mit der Pazifikküste verbinden soll
Die Männer des Präsidenten
Nicaragua ist der Sieger«, behauptete Enrique Bolaños, nachdem er sich im November des vergangenen Jahres bei den Präsidentschaftswahlen überraschend gegen den FSLN-Dauerkandidaten und ehemaligen Präsidenten Daniel Ortega durchgesetzt hatte. »Ich will alle Anzeigen wegen Korruption früherer Regierungen aufklären.«
Doch Bolaños, der am Mittwoch dieser Woche die Regierungsgeschäfte übernimmt, glänzte als Vorsitzender der Antikorruptionskommission unter seinem Vorgänger Arnoldo Alemán durch Untätigkeit. Nicht dass es im armen Nicaragua an Korruption mangelte. Nachdem Alemán im Januar 2000 einen Pakt zwischen der FSLN und der rechten Regierungspartei PLC vermittelt hatte, der die Posten in den wichtigsten staatlichen Kontrollinstanzen unter beiden Parteien aufteilte, war jedoch ein juristisches Vorgehen gegen die Korruption unmöglich geworden.
Bolaños wird zudem die Verwicklung in eine Reihe von Skandalen vorgeworfen. Dabei geht es unter anderem um eines der womöglich lukrativsten Geschäfte des Jahrhunderts. Eine interozeanische Verbindung durch Nicaragua als Alternative zum ausgelasteten Panamakanal. Zwei Konsortien konkurrieren um den Zuschlag für den Bau einer Bahnstrecke, auf der Containerzüge zwischen dem Atlantik und dem Pazifik pendeln sollen. In einem Konsortium sitzen ein Sohn - Enrique Bolaños Jr., der Repräsentant des Saatgut- und Gentechnik-Multis Monsanto - und ein Neffe des neuen Präsidenten.
Nachdem in den vergangenen Jahren mehrere alternative Varianten für dieses Projekt diskutiert worden waren, verabschiedete die nicaraguanische Nationalversammlung am 28. März 2001 zwei Dekrete, die die Firmenkonsortien CINN (Konsortium für einen interozeanischen Kanal in Nicaragua) und SIT Global (Intermodales System globalen Transports) autorisieren, eine Planstudie zu erstellen und die Rahmenrichtlinien für das Projekt festzulegen. Zunächst aber müssen die genauen Bedingungen von einer »multisektoralen Kommission« erarbeitet werden. Diese Kommission, der Vertreter verschiedener Ministerien, der Nationalversammlung, der Generalstaatsanwaltschaft sowie die Bürgermeister der 28 betroffenen Gemeinden angehören, trat Mitte Juni 2001 erstmals zusammen. Gibt sie einmal grünes Licht, sollen die Studien nochmals zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen.
Beide Projekte sehen den Bau einer interozeanischen Hochgeschwindigkeitsbahn zwischen Monkey Point an der Atlantikküste und der Pazifikküste sowie zweier Containerhäfen vor. Etwa eine Million Container jährlich sollen auf dieser rund 400 Kilometer langen Strecke zwischen den beiden Häfen transportiert werden. Nur in einem Punkt unterscheiden sich die beiden Vorschläge. Während das CINN den Bau eines neuen Hafens in Punta de Pie de Gigante an der Pazifikküste vorsieht, will SIT Global den bereits existierenden Hafen von Corinto modernisieren und ausbauen.
Die Verbindungsstrecke soll von einem Korridor mit Freihandelszonen, Maquilas (Billiglohnfabriken für die Weltmarktproduktion) und internationalen Finanzzentren eingefasst sein. Für internationale Investoren wären dann vor allem die Nähe zum US-amerikanischen Markt und die großen Freihandelszonen mit billigen Arbeitskräften attraktiv. CINN wie SIT Global planen eine Bauzeit von fünf Jahren und versprechen die Schaffung von 20 000 Arbeitsplätzen auf der Baustelle und weiteren 40 000 bis 50 000 in der Umgebung. Auch wenn die tatsächliche Zahl der Arbeitsplätze meist weit hinter solchen Versprechen zurückbleibt, ist dies ein saftiger Köder für Nicaragua, von dessen fünf Millionen Einwohnern 70 Prozent arbeitslos sind.
Beide Projekte sehen neben dem Transportweg und den Freihandelszonen die Ausbeutung von Naturressourcen, Erdölförderung und -raffinerien sowie einen Ausbau des Tourismus vor. Während die CINN-Planung von 2,6 Milliarden Dollar Baukosten ausgeht, will SIT Global mit der Hälfte auskommen. Doch es ist sehr fraglich, ob diese Kalkulation realistisch ist, sie scheint in erster Linie darauf ausgerichtet zu sein, um jeden Preis den Zuschlag zu erhalten.
Das CINN-Konsortium unterbreitete 1995 erstmals seine Baupläne. 1996 erklärten Präsident Arnoldo Alemán und sein damaliger Stellvertreter Bolaños im Namen der Regierung, das CINN-Projekt zu unterstützen. Im August 1997 präsentierte jedoch das neue Konsortium SIT Global sein Projekt. Die Regierung verschob die Entscheidung über eine Konzessionsvergabe.
SIT Global wurde von ehemaligen Teilhabern des CINN ins Leben gerufen, unter ihnen Gilberto Cuadra, der ehemalige Vorsitzende des CINN und des Unternehmerverbandes Cosep, sowie Enrique und Patrick Bolaños, nahe Verwandte des heutigen Präsidenten, der damals als Verbindungsmann zwischen dem CINN und der Regierung fungierte. Beide hatten Zugang zu allen internen Projektunterlagen. Außerdem wurde kurz nach der Gründung von SIT Global dreimal in die CINN-Büros in Managua eingebrochen. Dabei verschwanden Projektunterlagen, und die Computersysteme wurden zerstört.
SIT Global vereint eine Auswahl zwielichtiger Gestalten der nicaraguanischen Geschäftswelt. Die früheren Vorstandsmitglieder Francisco Mayorga und Alfonso Delgado, ehemalige Geschäftsführer der Bank Bancafe, und José Felix Padilla, einstiger Geschäftsführer der Interbank, sitzen allesamt in Haft, nachdem sie die Banken in den Konkurs und Tausende von Kleinbauern in den Ruin manövriert haben. Aber auch gegen den Hauptinitiator des CINN, den US-amerikanischen Unternehmer Don M. Bosco, wurden wegen der Nichteinhaltung finanzieller Verpflichtungen Ermittlungen angestrengt.
Das CINN-Konsortium kann auf eine lange Liste internationaler Mentoren verweisen, auch der Regionalrat der Autonomen Region Südatlantik gab dem Projekt seinen Segen. In der Unternehmensspitze findet sich sogar ein früherer Revolutionär: der ehemalige General Joaquin Cuadra. Er brach mit den Sandinisten und ist heute vornehmlich damit beschäftigt, sich um seine Geschäfte zu kümmern und eine der vielen Splitterparteien des Zentrums zu pflegen.
SIT Global hingegen zählt auf die Unterstützung des PLC-nahen Unternehmerverbandes Cosep und des Finanzsektors der FSLN-nahen Unternehmerschaft. Offenbar wird das Bündnis zwischen der PLC und den Sandinisten, das Alemán die Präsidentschaft und beiden Parteien lukrative Pfründe sicherte, in SIT Global fortgesetzt, während sich die restlichen Unternehmer des Landes im CINN-Konsortium sammeln. Kein Wunder also, dass die Regierung die Entscheidung jahrelang hinauszögerte.
Ende Oktober 2001 platzte etlichen Teilhabern des CINN-Konsortiums schließlich der Kragen. Sie reichten in New York eine Klage gegen Alemán, Präsident Bolaños, seinen Sohn und seinen Neffen sowie den SIT Global-Vorsitzenden Gilberto Cuadra wegen »Konspiration zum Zwecke des Betrugs sowie Betrug und Erpressung mit dem Ziel persönlicher ökonomischer Vorteile« ein. Die Kläger - denen sich zahlreiche weitere internationale Teilhaber an CINN in nächster Zeit anschließen könnten - fordern insgesamt mehrere Millionen Dollar. Vertreter von SIT Global weisen die Vorwürfe von sich.
Das eigentliche Wunschprojekt Alemáns und wohl auch der FSLN ist allerdings ein Kanal wie in Panama. Alemán schuf 1999 per Dekret eine Kommission, die im Wesentlichen aus PLC- und FSLN-Vertretern besteht, sowie eine Stiftung. Der Kanal soll für Schiffe bis 300 000 Tonnen befahrbar sein und schätzungsweise 16 Milliarden US-Dollar kosten. Im Juli 2001 verkündete Horacio Jarquín, der Vizekoordinator der Comisión del Gran Canal: »Eine Wasserstraße durch Nicaragua ist möglich, rentabel und wird von der Kommission bereits internationalen Anlegern vorgestellt.« Mit dem Bau könne man bereits im Jahr 2004 beginnen und das Projekt könne acht Jahre später fertig gestellt sein.
Für die Umwelt hätte jedes der interozeanischen Großprojekte gravierende Folgen. Für eine Bahnlinie müsste eine etwa 500 Meter breite Trasse durch das Land geschlagen werden, für einen Kanal wäre sie sogar noch breiter. Betroffen wären Nicaraguas letzte Urwaldgebiete, die Häfen lägen nicht weit entfernt von den Korallenriffs der Karibik und vor den Pazifikstränden. »Ein solches Megaprojekt wird das Antlitz Nicaraguas verändern«, meint auch der CINN-Vertreter Evenor Taboada.
Den indianischen Bevölkerungsgruppen der Atlantikküste droht durch die geplante Ausbeutung von Rohstoffen eine weitere Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen. Immer mehr Unternehmer erheben bereits jetzt Anspruch auf die Ländereien der Rama-Indianer an der Atlantikküste rund um Monkey Point. Sie berufen sich dabei auf Landtitel, die Präsident José Santos Zelaya zu Beginn des 20. Jahrhunderts vergab, um die Hispanisierung voranzutreiben.
Indianische Organisationen fordern nun von der Regierung, diese Titel zu annullieren, da sie im Widerspruch zur Verfassung und zur Autonomie-Gesetzgebung der Atlantikküste stehen, die den indianischen Gemeinden ein kollektives Recht auf historisch genutzte Ländereien zusprechen. Doch die Geschäftsinteressen sind bereits spürbar. Seit November 2000 wurden die Rama-Indianer mehrfach von bewaffneten Männer angegriffen, zahlreiche Rama wurden vertrieben