Radio Insurgente der EZLN geht auf Sendung
Rebellisches Radio aus Chiapas
Seit einiger Zeit ist in Chiapas das erste zapatistische Radio, Radio Insurgente, auf Sendung gegangen. Neben Informationsprogrammen und Musik, werden in diesem auch die Grundsätze der zapatistischen Ordnung in den autonomen Gemeinden übermittelt. Besonders die indigen Landbevölkerung in Chiapas soll mit dem Programm, das teilweise in Maya-Sprachen ist, angesprochen werden. Seit August 2003 gibt es auch den Versuch über Langwelle und Internet, den Rest der Welt zu erreichen.
Mit einem Hahnenschrei beginnt um 6:00 Uhr die Morgensendung des zapatistischen Senders Radio Insurgente – La voz de los sin voz (Aufständisches Radio – Die Stimme der Stimmlosen), das bereits seit einigen Monaten von mehreren UKW-Sendern auf der Frequenz 97,9 FM in Chiapas sendet: „Von irgendeinem Ort im Urwald, im Südosten Mexikos“, wie es die Senderansage immer wieder verkündet. „Denn uninformiert sein ist wie unbewaffnet sein – deshalb höre Radio Insurgente.“ Am frühen Morgen, wenn für die meisten chiapanekischen Indianer der Tag beginnt, tönt aus fast allen ärmlichen Hütten der zapatistische Sender, der nicht nur auf Spanisch, sondern vornehmlich in den zwei meistgesprochenen Maya-Sprachen sendet.
Ein Radio ist in dieser mexikanischen Region mit mehrheitlich indianischer Bevölkerung von unschätzbarem Wert. Aufgrund ihrer langjährigen Marginalisierung können etwa die Hälfte der Männer und rund zwei Drittel der Frauen nicht lesen und schreiben. Viele, vor allem die Frauen, sprechen ohnehin kaum oder nur schlechtes Spanisch. Doch auch spanischsprachige Sender sind in der Berglandschaft selten. Meist dreht man völlig im Leeren, wenn man im Radio einen Sender sucht.
Neben mexikanischen Corridos und Boleros, Revolutionsliedern lateinamerikanischer KünstlerInnen und selbst eingespielten Liedern der zahlreichen Musikgruppen aus den zapatistischen Basisgemeinden sind im Radio auch mal die Beastie Boys, Rage Against the Machine und vor allem Manu Chao zu hören. Am Nachmittag werden ausführliche Nachrichtenblöcke gesendet. Lokale, nationale und internationale Meldungen, in genau dieser Reihenfolge. Und die Nachrichten werden gehört. Vor einigen Jahren fast undenkbar, finden sich heute in den Dorfgemeinschaften Personen, die über den Irak-Krieg diskutieren, vom US-Druck auf Kuba wissen und stolz auf das Radio verweisen.
Aufklärung für Frauen...
In speziellen Aufrufen wenden sich die RadiomacherInnen, zum Großteil Frauen, an die indianische Landbevölkerung, StudentInnen, SympathisantInnen und immer wieder an die Frauen: „Hallo Frau! Träumst du von einer schönen Zukunft? Wir hier sagen dir, du hast das Recht, deinen Partner auszusuchen, und niemand kann dich mit Gewalt zur Hochzeit zwingen. So legt es das Revolutionäre Frauengesetz der EZLN fest.“
Das Gesetz wurde im Jahr vor dem Aufstand vom 1.1.1994 von den zapatistischen Frauen verabschiedet und gilt seitdem im gesamten zapatistischen Territorium. Mehrere sich abwechselnde Frauenstimmen erklären im Radio die einzelnen Rechte: „Du hast ein Recht darauf zur Schule zu gehen, von deinem Mann respektvoll behandelt zu werden, dich auszuruhen und zu vergnügen. Du hast ein Recht darauf von deinem Mann zu fordern, dass er dich in der Küche, mit der Wäsche und den Kindern unterstützt. Du hast das Recht deinem Mann ‘nein’ zu sagen, wenn du müde bist, dir oder du keine Lust hast. Du hast ein Recht darauf zu entscheiden wie viele Kinder du willst. Wenn du dich schützen willst, dann frage deine nächste lokale Verantwortliche für Gesundheit.“
Es folgt ein emphatischer Aufruf: „Frau! Es gibt viele Gründe, als Frau stolz zu sein. Unsere Würde als Frauen ist die gleiche wie die der Männer, verteidige sie!“ Und im Anschluss ein revolutionäres Frauenlied, in dem selbige aufgefordert werden sich dem Kampf anzuschließen. Dabei treffen die Sängerinnen musikalisch nicht immer den richtigen Ton, doch die Botschaft kommt an, vor allem bei den Frauen.
...wie für Männer
Eine Männerstimme hingegen wendet sich regelmäßig an die männlichen Zuhörer und macht ihnen klar: „Genosse Bauer, denke immer daran, dass Frauen die gleichen Rechte haben wie du selbst. Sie haben das Recht als Personen respektiert zu werden. Wenn du eine Frau schlägst, begehst du ein Verbrechen. Wenn du eine Frau zwingst etwas zu tun, das sie nicht will, dann verweigerst du ihr die Achtung. Wenn du ein guter Mann und ein guter Ehemann sein willst, denke immer daran!“
Doch der Sender spricht nicht nur die eigenen Basis an, ganz im Gegenteil. Soldaten und Paramilitärs werden direkt angesprochen und zum Desertieren aufgefordert: „Soldat, der du aus dem Volk kommst, hör zu! Du bist genauso wie wir, genauso arm. Wenn du aufhörst Soldat zu sein, dann gewinnst du ein würdiges Leben. Hör auf gegen deine eigenen Leute zu kämpfen, gegen deine eigene Familie und deine Nachbarn. Lass dich nicht mehr von der Regierung für ein paar Centavos kaufen. Verweigere die Befehle einer Regierung, die nur den Reichen dient und die Armen ärmer werden lässt.“
Und das Programm scheint Erfolg zu haben. Aus zahlreichen wohlgesinnten Zuschriften von Soldaten an das Radio wird deutlich, wie viele von ihnen Radio Insurgente hören.
Die aufständische Stimme weltweit
Ab dem 9. August, rechtzeitig zur Verkündung neuer Verwaltungsformen und einer umfassenderen Autonomie in den Gebieten der EZLN, sollte Radio Insurgente eigentlich wöchentlich eine „intergalaktische“ Sendung in den Äther schicken. Auf der Langwelle sollten die Botschaften der Zapatisten auf dem ganzen Kontinent und bei günstigen Bedingungen auch in Europa zu hören sein. Doch die Störmanöver der Regierung sabotierten die Ausstrahlung der Premiere mit Subcomandante Marcos als DJ und Sprecher. Die Ausstrahlung erfolgte schließlich zwei Tage später. Ein Livestream findet sich auf Indymedia Chiapas
Gut gelaunt und spitzfindig kommentierte Marcos in der ersten Sendung die von ihm ausgewählte Musik und die internationale Politik. Er grüßte die EZLN-Basis und die bewaffneten Verbände, sprach über Globalisierung und das kaltfeuchte Wetter in den Bergen von Chiapas, wo gerade tiefste Regenzeit herrschte. Dazwischen legte er immer wieder Cumbias auf und spielt auch einen Blues von BB King: „There must be a better world somewhere.“
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