500000 demonstrierten in Venezuela für Chávez. Anschlag auf Verhandlungssitz
Solidarität und Bomben
Am Freitag vergangener Woche einigten sich in Venezuela Vertreter des linken Regierungsbündnisses »Fünfte Republik« und Delegierte der Opposition auf den Zeitpunkt für ein Referendum über die Präsidentschaft des amtierenden Staatschefs Hugo Chávez. Am Sonntag demonstrierte eine halbe Million Menschen für die nach dem Freiheitskämpfer Simón Bolívar benannte »Bolivarianische Revolution« des ehemaligen Militärs. Zwischen den beiden Ereignissen detonierte am Sonnabend in der Hauptstadt eine Bombe. Bei der Explosion wurde das Gebäude zerstört, in denen sich Regierung und Opposition am Vortag geeinigt hatten. Ein normales Wochenende in Venezuela.
Seit vor einem Jahr ein Putschversuch rechtsextremer Militärs von der Bevölkerung niedergeschlagen wurde, hat in dem südamerikanischen Land eine ambivalente Entwicklung eingesetzt. Einerseits konnten sich die linke Regierung und gemäßigte Teile der Opposition in Verhandlungen in den strittigen Fragen weitgehend einig werden. Die rechtsextremen Führer der Opposition hingegen haben sich durch gewaltsame Aussperrungen, getragen von dem mittelständischen Gewerkschaftsverband CTV, und durch die Sabotage der Erdölindustrie diskreditiert. Bei den Chávez-Gegnern findet die Losung »Weder mit der Regierung, noch mit der Opposition« immer mehr Anhänger. CTV-Vorsitzender Carlos Ortega und der Vorsitzende des Unternehmerverbandes, Carlos Fernández, beide Multimillionäre und Führer der vergangenen Proteste, haben sich mittlerweile ins Ausland abgesetzt. Seit die Anführer des gescheiterten Putsches ins Exil geschickt wurden, nimmt zugleich der Terror bewaffneter Gruppen zu. Die Explosion am Sonnabend ist nur ein weiterer Zwischenfall in einer Reihe von Terroranschlägen.
Die Regierung versucht trotz der wiederholten Übergriffe, Ruhe zu bewahren. Ein Jahr nach dem Putschversuch ist allen Beteiligten klar, welche Bedeutung eine friedliche Lösung des politischen Konfliktes hat. »Als ich in der Nacht vom 12. zum 13. April 2002 von den Putschisten entführt wurde, dachte ich einen Moment lang, daß Veränderungen auf demokratischem Weg nicht möglich sind«, erklärte Chávez in einer Pressekonferenz am Wochenende. Am nächsten Morgen aber sei der Gedanke nur eine flüchtige Idee gewesen. »Zum Glück«, sagte Chávez, »denn sonst müßten wir in die Berge gehen.«
Zum ersten Jahrestag der dramatischen Apriltage fand in Caracas am vergangenen Wochenende ein »Internationales Solidaritätstreffen mit der Bolivarianischen Revolution« statt. Vier Tage lang debattierten Vertreter aus einem so breitem Spektrum, wie es dem der Bewegung gegen die neoliberale Globalisierung entspricht. Zahlreiche Intellektuelle bewiesen ihre Solidarität mit dem Prozeß. Zu den Gästen zählten neben dem pakistanischen Autoren Tariq Alí auch Ignacio Ramonet, der Herausgeber der linksliberalen Tageszeitung Le Monde Diplomatique, der französische Bauernführer Jose Bové und der bolivianische Sozialist Evo Morales. Schon am ersten Tag des Kongresses wurden die Erwartungen von zehntausend Teilnehmern aus dem In- und Ausland weit übertroffen. Allerdings gab es auch Kritik der Basisorganisationen. Von ihnen wurde bemängelt, daß das politisch für Venezuela bedeutende Ereignis auf einige Nobelhotels und Gebäude in der Innenstadt konzentriert blieb. Die Basisbewegung, die Chávez wieder an die Macht brachte, hätte gerne auch Veranstaltungen in ihren Stadtteilen gesehen.
Die Unterstützung für »ihren« Präsidenten ist dennoch ungebrochen, auch wenn es manchmal mit der »Revolution« nicht so einfach ist. Zwar wurden eine der progressivsten Verfassungen der Welt von 80 Prozent der Bevölkerung in einer Volksabstimmung angenommen und zahlreiche Gesetze und Programme zugunsten der Armen, Frauen und indigenen Bewohner verabschiedet, doch ist die Justiz nach wie vor in den Händen der ehemals herrschenden Schichten. So entschied der Oberste Gerichtshof mit elf zu neun Stimmen, daß es im vergangenen Jahr gar keinen Putsch gegeben habe. Chávez sei nicht gefangen, sondern »in Schutz« genommen worden, und die Militärs hätten in einem Machtvakuum »von guten Absichten geschwängert« gehandelt. Die Verfahren bezüglich der 19 Toten vom ersten Putschtag, die entgegen der Behauptungen der Opposition fast alle zu den Anhängern des Präsidenten gehören, stocken. Ein Staatsanwalt, der in einem Fall die Verantwortung der von der rechten Opposition geführten Stadtpolizei von Caracas nachwies, entkam nur knapp einem Mordanschlag.
Entscheidend für die Regierung wird der Kampf auf ökonomischem Gebiet sein. Allein von 1999 bis Ende 2002 betrug die Kapitalflucht aus Venezuela 32 Milliarden Dollar. Die Sabotage der staatlichen Erdölindustrie im vergangenen Dezember und Januar, die international als Streik vermittelt wurde, hinterließ Einnahmeausfälle von sieben Milliarden Dollar. Eine Erholung der Wirtschaft wird es wohl frühestens im zweiten Halbjahr 2003 geben.
Die Opposition hingegen wähnt sich durch den Krieg gegen Irak im Aufwind. Auf allen TV-Kanälen, bis auf das staatliche Fernsehen, läuft bereits seit zwei Woche eine aggressive Kampagne »Jetzt holen wir dich«, lautet die Botschaft an Chávez. Das wird allerdings nicht ganz einfach werden. Obwohl die Opposition de facto alle großen Fernsehsender und Zeitungen kontrolliert, nahmen an der Demonstration zur Feier des Jahrestages des Putsches nur wenige hundert Menschen teil. Andernorts wurden zwei Fahrzeuge in Brand gesteckt. An der Demonstration zum Jahrestag von Chávez Rückkehr am Sonntag hingegen nahm etwa eine halbe Million Menschen teil, und dies, obwohl viele Einwohner Caracas die Hauptstadt angesichts der Osterfeiertage bereits verlassen hatten.
Die regierungsnahen Kräfte sind sich daher sicher, daß Chávez die Volksabstimmung über seinen weiteren Verbleib zur Hälfte seiner Amtszeit im August diesen Jahres gewinnen wird. Chávez wurde 2000 nach Verabschiedung der neuen Verfassung als Präsident wiedergewählt. Seit seiner ersten Wahl zum Präsidenten 1998 wurden er und sein politisches Projekt schließlich in sieben Wahlen und Abstimmungen bestätigt. Einen weiteren Urnengang würde die Opposition in Anbetracht ihres Ansehens in der Bevölkerung sicher verlieren.
Die Gegner des amtierenden Präsidenten aber hoffen auf eine Abstimmung mit leeren Mägen. Daher tut die Opposition alles, um die wirtschaftliche Situation weiter zu verschlechtern und die Volksabstimmung inmitten einer starken Rezession durchzuführen. Zusätzlich wird ein Klima der Angst geschürt. Die von der Opposition kontrollierten privaten TV-Kanäle trichtern den Zuschauern ohne Unterlaß ein, daß Venezuela auf dem Weg zum »Castro-Kommunismus« sei. Indes lautet eine trotzige Losung von Millionen »Ohne Arbeit und mit Hunger bleibe ich mit Chávez«.