Venezolanische Opposition kündigt Lockerung des Generalstreiks an. Kampf um Ölförderung dauert an
Stop and go
Einen Monat nach Beginn des Generalstreiks in Venezuela haben die Gegner von Präsident Hugo Chávez eine Lockerung des landesweiten Ausstandes angekündigt. »Bestimmte Sektoren« wie kleine und mittelständische Unternehmen würden in der kommenden Woche wieder ihre Geschäfte öffnen, verkündete Americo Martin, einer der Anführer der Blockade, am Mittwoch in Caracas gegenüber AFP. Diesen Unternehmen gingen langsam die finanziellen Mittel aus, um den Streik fortzuführen. In der für das Land besonders wichtigen Ölindustrie würden die Streikaktionen jedoch fortgesetzt.
Inzwischen scheint der »Opposition« zu dämmern, daß sie mit ihren Aktionen auch einem Teil ihrer Klientel schadet. Mit der Streikaktion den Rücktritt des Präsidenten zu erreichen, scheint jedoch ausgeschlossen. Auch bei der staatlichen Erdölgesellschaft PDVSA, mit der Venezuela 80 Prozent seiner Exporte bestreitet, scheint die Streikfront zu bröckeln.
In einem Editorial riet selbst die einflußreiche New York Times vor Weihnachten der Opposition, die Proteste beizulegen und gemäß der Verfassung des Landes auf ein Referendum im August hinzuarbeiten. Unter dem Titel »Venezuela am Rande des Abgrunds« erklärte die Zeitung, daß jene politischen Führer, die bereits seien, »das Land zu ruinieren, um nicht einige Monate zu warten, das Vertrauen der Venezolaner nicht verdienten«.
Die Chávez-Gegner bereiten indes erneut eine Demonstration zum Präsidentenpalast Miraflores vor, deren Datum bisher geheimgehalten wird. Dazu sollen Anhänger aus dem gesamten Land zusammengezogen werden. Obwohl Demonstrationen auf der Route zum Palast offiziell verboten wurden, beharrt die Opposition darauf. Der oppositionelle Gouverneur des Bundesstaates Miranda, Eduardo Mendoza, erklärte »wir müssen dorthin, koste es was es wolle und selbst, wenn Blut fließt«.
Noch vor Weihnachten gab der Oberste Gerichtshof Venezuelas ein Urteil bekannt, nach dem allen Dekreten der Regierung Folge zu leisten und die Arbeit im Erdölsektor unverzüglich wiederaufzunehmen sei. Die Opposition wies das Urteil zurück und beharrt auf einen Rücktritt von Chávez. In Folge des Urteils übernahmen Nationalgarde und Armee weitere Erdöltanker und verhafteten die für die Einstellung des Schiffsverkehrs verantwortlichen Kapitäne und Offiziere. Im Erdölunternehmen PDVSA hingegen erfolgten 116 Entlassungen und 26 Neuernennungen in höheren Posten, weitere werden erwartet. Die Opposition fordert nun allerdings auch die Wiedereinstellung aller entlassenen Angestellten des Erdölunternehmens in ihren ursprünglichen Positionen.
Insgesamt reagierten Chávez und das offizielle Venezuela jedoch eher zurückhaltend. Linda Ron, eine Führerin der bolivarianischen Zirkel, forderte daher von der Regierung, dem Urteil des Obersten Gerichtshofes zu folgen und die sich verweigernden Funktionäre der PDVSA zu inhaftieren. »Ich habe nie einen zahmeren Präsidenten als diesen erlebt«, äußerte Ron in einem Fersehinterview. Vor allem in den armen Schichten Venezuelas teilen viele ihre Ansicht und wünschen sich ein härteres Durchgreifen der Regierung.
Die nicht im Streik befindlichen Arbeiter und Angestellten der PDVSA begrüßten die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes und forderten schnellstmögliche »Säuberungen der hohen Ränge des Unternehmens, die es als Rammbock politisch mißbraucht hätten, um eine verfassungsmäßige Regierung stürzen und Produktion und Vertrieb zu sabotieren«. Zusätzlich berichtete der Ombudsmann für Menschenrechtsfragen, Antonio Urribarrí, von zahlreichen Beschwerden, die eingangen seien, da streikunwillige PDVSA-Arbeiter von ihren Vorgesetzen massiv bedroht und unter Druck gesetzt würden.
Der Gouverneur des Bundesstaates Sucre, Ramón Martínez, beschuldigte zudem die Ölmultis Shell, Mobil Oil und Exxon Mobil, an dem Komplott gegen die Chávez-Regierung beteiligt zu sein und ihre Tanker angewiesen zu haben, jedwede Öl- und Treibstofflieferung nach und aus Venezulea zu verweigern. Zudem habe er persönlich der Übernahme eines Tankers durch die Streitkräfte beigewohnt und dabei im einem Computer an Bord Beweise für die Zahlung von Millionensummen seitens des US-amerikanischen State Department an Tankerkapitäne gefunden, damit sich diese dem Streik anschließen. Nach Angaben von Martínez, der als Emissär der Regierung für die Wiederaufnahme der Arbeit der PDVSA im Osten des Landes verantwortlich zeichnet, liegen dort 14 Tanker still, die die Anweisung haben, die Aufnahme von Erdöl oder Treibstoff zu verweigern.
Juan Fernández, Sprecher der streikenden Angestellten des Konzerns, gab am vergangenen Freitag öffentlich zu, die Anlagen des Erdölunternehmens seien vollständig unter Kontrolle des regierungstreuen PDVSA-Direktors und Ex-OPEC-Vorsitzenden Alí Rodríguez. Grund zur Sorge bietet allerdings der zweite Teil der Verlautbarung des Streikführers, in dem er erklärte: »Folglich liegt alles, was nun in den Anlagen geschieht, in der vollen Verantwortung jener, die nun die Führung der PDVSA innehaben.« Vor wenigen Tagen erst war die Aufzeichnung eines Telefonats öffentlich gemacht worden, in der ein oppositioneller Militär und der Kapitän eines Erdöltankers die Möglichkeit besprachen, mehrere hunderttausend Tonnen Erdöl in die Binnengewässer der Lagune von Maracaibo einzuleiten, um so »die Regierung zu beschäftigen«. So weit kam es jedoch nicht, da der Tanker kurze Zeit später von der Armee übernommen und der Kapitän verhaftet wurde.
Alí Rodríguez erklärte, angesichts der massiven Sabotage verzögere sich die Rückkehr zum Normalbetrieb der PDVSA trotz der vollständigen Kontrolle, die nun ausgeübt werde, wahrscheinlich bis zur zweiten Januarhälfte. Die Verluste des Unternehmens lägen bisher bei etwa 1,3 Milliarden Dollar.