Entgegen den Katastrophenmeldungen der Medien stabilisiert sich die Versorgungssituation
Der virtuelle Notstand
Die aktuelle Venezuela-Berichterstattung vermittelt den Eindruck, dass das Land vor einer Katastrophe steht und der Sturz der Regierung Chávez nur noch eine Frage der Zeit ist. Dies ist das Bild, welches von den venezolanischen Medien verbreitet wird, die bis auf wenige Ausnahmen in den Händen der Opposition sind. Dem aktuellem Generalstreik, von dem auch die nationale Erdölgesellschaft PDVSA betroffen ist, steht jedoch der Widerstand großer Teile der armen Bevölkerung entgegen, die sich dem verordneten Ausstand widersetzen und einen Machtwechsel mit allen Mitteln verhindern wollen.
Während die venezolanischen Medien, die mehrheitlich von der rechten Opposition kontrolliert werden, das Bild eines sich nähernden Kollapses des Landes zeichnen, normalisiert sich die Versorgungs- und Produktionssituation im Land zunehmend. Die Fernsehanstalten schrecken bei ihren Manipulationen vor nichts zurück. Ein Video, dass die privaten TV-Anstalten als Beweis für die Verantwortung der Regierung für die drei Toten eines Schussaffenanschlags am Samstag zeigten, erwies sich als Fälschung. Die Aufzeichnung sollte den Schützen mit hohen Vertretern des Regierungsbündnisses zeigen. Der betreffende Schütze reiste jedoch erst nach dem Aufnahmezeitpunkt nach Venezuela ein.
Derweil ließ der zweifache venezolanische Präsident Carlos Andres Perez, der für die Niederschlagung der Armutsrevolte 1989 mit Tausenden von Toten verantwortlich war und im Hintergrund die Fäden zieht, aus dem Exil wissen, es sei “keine friedliche Lösung mehr möglich, (...) ein militärischer Ausgang ist der einzig Mögliche”. Tatsächlich setzt die Opposition mittlerweile alles auf eine Zuspitzung der Situation, damit die so genannte “demokratische Charta” der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Kraft tritt Gemäß dieser kann eine militärische Intervention zur “Wiederherstellung der Demokratie” gutgeheißen werden. Der Präsident der OAS, der ehemalige kolumbianische Präsident César Gaviria, der sich als vermeintlicher Vermittler zwischen Regierung und Opposition seit Ende November in Venezuela aufhält, hat sich am Montag offen auf die Seite der Putschisten geschlagen. In einer von privaten TV-Anstalten ausgestrahlten Rede forderte er die Polizei zum Einschreiten gegen die chavistischen DemonstrantInnen auf. In diesem Kontext kündigten die Abgeordneten der Opposition auch an, nicht mehr an den Sitzungen der Nationalversammlung teilzunehmen.
Mediale Inszenierungen gegen die “bolivarianische Revolution”
Angesichts der medialen Inszenierung eines Notstandes und offenen Aufrufen putschistischer Militärs zur Gewalt gegen Chávez und seiner AnhängerInnen über die oppositionellen TV-Sender, führen AnhängerInnen der “bolivarianischen Revolution” seit Montag Kundgebungen vor allen Oppositionsmedien durch und fordern diese auf, “die Wahrheit zu erzählen”. Von Chávez hingegen wollen sie, dass er diesen Sendern die Lizenzen entzieht. Den privaten TV-Sendern zufolge sollen Chavisten auch einen Sender der Opposition verwüstet haben. Fraglich ist nur, warum es von der Aktion keinerlei Fernsehaufnahmen gibt, sondern nur von den bereits verwüsteten Anlagen. Die Opposition führte auch eine Kundgebung vor der staatlichen Fernsehanstalt VTV durch, von der aus mehrere Schüsse auf das Gebäude abgegeben wurden. Anschließend versammelten sich Tausende von Chávez-Anhängern vor dem Sender, um ihn zu schützen.
Aktiv am Streik beteiligen sich vor allem transnationale Konzerne und Ketten wie Wendy’s und Mc Donald’s, sowie einige Banken. Die Milchabfüllanlage des italienischen Konzerns Parmalat wurde von ArbeiterInnen und Cha¬visten besetzt und wieder in Betrieb genommen, nachdem angelieferte Milch nicht abgenommen und die Arbeit eingestellt worden war. Ebenso erging es in den vergangenen Tagen zahlreichen anderen Fabriken, darunter auch die Abfüllanlage von Pepsi Cola.
Die Oberklasse bestreikt sich selbst
Der Streik konzentriert sich ohnehin nahezu vollständig auf die Hauptstadt und ist vom ersten Tag an eindeutig fehlgeschlagen. Flughäfen, Häfen, kleine und mittlere Betriebe sowie Geschäfte haben – bis auf einige große Einkaufszentren und Läden in reichen Stadtteilen – regulär geöffnet. Die oberen Klassen bestreiken also nur sich selbst. Ebenso arbeiteten auch der Nahverkehr und die Überlandbusse reibungslos. Die U-Bahn in Caracas funktioniert weiterhin regulär. Francisco Torrealba, Vorsitzender der Metroarbeiter-Gewerkschaft von Caracas (Sitramenca) kündigte an, es habe nur zwei kurzzeitige Unterbrechungen bei zwei Linien auf Grund von Sabotageakten gegeben.
Ebenso ist die Lebensmittelversorgung vollständig sicher gestellt. Dieses widerspricht den Meldungen der Presse, die versucht, durch Berichte über Versorgungsengpässe, Panikstimmung zu erzeugen. Selbst der Großmarkt von Caracas ist geöffnet und hat sich nie dem Streik angeschlossen. Auch die Universitäten in den verschiedenen Provinzstädten Venezuelas funktionieren normal. In der Universität von Caracas (UCV), wo in den vergangenen Tagen immer wieder linke StudentInnen und ProfessorInnen von oppositionellen Organisationen bedroht wurden, beschloss der Universitätsrat ebenfalls den Betrieb weiterhin aufrecht zu erhalten. Außerdem gelang es die oppositionellen Provokateure vom Universitätsgelände zu werfen. Der Orinoco, die wichtigste Wasserstrasse des Landes, ist ohne Probleme navigierbar, da die Wasserpolizei und die dortigen Marineeinheiten loyal zur Regierung stehen. In verschiedenen Regionen und Städten versuchen oppositionelle Bürgermeister und Gouverneure mit bisher wenig Erfolg Geschäfte und Unternehmen zum Streik zu zwingen und setzen Polizeieinheiten gegen die regierungstreue Bevölkerung ein.
Wenn Arbeitgeber streiken
Die Blockade innerhalb der Erdölgesellschaft PDVSA ist ebenfalls kein Arbeiterausstand, sondern eine Arbeitsverweigerung der Unternehmenseliten, die das Unternehmen durch ihre enormen Gehälter und die maßlose Korruption zum unprodukivsten Erdölunternehmen der Welt gemacht haben. Im Ausstand befinden sich die Unternehmensleitung, einige Kapitäne der Öltanker, Ingenieure und Teile des oberen Verwaltungsapparats. Da diese auch aktive Sabotage der computergesteuerten Anlagen betreiben, sind die Folgen teilweise beträchtlich. Die Treibstoffversorgung im Land ist jedoch gewährleistet. Während die transnationalen Erdölkonzerne Mobil Oil, Shell und BP ihr Tankstellennetz geschlossen haben, funktionieren die Tankstellen der staatlichen PDV, die den Großteil betreibt, ohne Ausnahme. In Caracas, wo sich das Zentrum der oppositionellen Proteste befindet, werden die Tankstellen von der Nationalgarde bewacht, während sie außerhalb der Hauptstadt ohnehin in Betrieb sind.
Seit Ende der ersten Streikwoche, als die Armee, unterstützt von Tausenden von Menschen, die Kontrolle über die Erdölraffinerien und Exportzentren übernommen hat, normalisiert sich langsam wider die Situation. Auch dies widerspricht den Pressemeldungen, nach denen ein Kollaps kurz bevor stehen würde. Gesucht wird aber vor allem hoch qualifiziertes Personal, das für die Saboteure einspringen kann. Die Raffinerie in Yagua wird, wie viele andere auch, von 6.000 Menschen geschützt, während die Tanklaster der PDVSA für die Benzinversorgung im Land abgefüllt werden und ausfahren. Andere Subunternehmen, die mit der gleichen Aufgabe betraut sind, verboten ihren Fahrern jedoch zur Arbeit zu gehen und stellen ihre Tanklaster nicht zur Verfügung. Bei Zuwiderhandlung droht Entlassung.
Die Vereinigung der Seeleute der kolumbianischen Handelsmarine und Fischereiflotte Unimpescol bot mittlerweile der Regierung Chávez ihre Unterstützung an, um die streikenden Kapitäne und Offiziere der Tanker und Handelsschiffe zu ersetzen. Bisher haben auch schon drei Kapitäne aus dem Ausland ihren Dienst auf venezolanischen Tankern angetreten. Bis auf die Kapitäne der Öltanker streikt allerdings niemand auf den Schiffen, in einigen Fällen ”meuterte” sogar die Besatzung gegen den eigenen, die Arbeit verweigernden Kapitän. Die Gewerkschaft der Tanklasterfahrer kündigte an, die Versorgung der Hauptstadt sei zu hundert Prozent sicher gestellt, da 120 Fahrer regulär ihren Dienst leisten würden.
Brennende Milchtransporter und Schüsse auf Minister
Indes nehmen terroristische Aktionen der vermeintlich demokratischen Opposition stetig zu. Anwohner meldeten, dass oppositionelle Miltärs von der Plaza Altamira auf ein vorbeifahrendes Auto geschossen hätten. Oppositionelle haben einen Milchtransporter verbrannt, andere wurden angehalten und die Milch abgelassen. Auf das Auto des Ministers für Land und Landwirtschaft wurde mehrmals geschossen, die Karosserie an der Stelle, an der er normalerweise sitzt, durchsiebt. Doch er hatte den Wagen wenige Minuten vorher verlassen. Ebenso wurden auf sein Büro im Ministerium mehrere Salven abgegeben wobei zwei Personen verletzt wurden. Im Nationalen Institut für Fluss- und Kanalschifffahrt brach – wahrscheinlich durch Brandstiftung – ein Feuer aus. Und als am Dienstagmorgen Unbekannte das Feuer auf den Personaleingang des Erziehungsministerium eröffneten, kam ein Angehöriger der Nationalgarde ums Leben, der sich in einem Auto davor befand.
Die Plaza Altamira, auf der sich seit Wochen die am Putsch beteiligten Militärs, unterstützt von einigen Hundert AnhängerInnen, sammeln, war am Montagabend leer. Die Galionsfiguren der Ultrarechten, vom Gewerkschafter Carlos Ortega bis zu den putschistischen Generälen, haben seit einigen Tagen keine öffentlichen Auftritte mehr gehabt. So wird bereits spekuliert, sie würden versuchen, das Land zu verlassen. Allein das Gerücht führte dazu, dass sich hunderte AnhängerInnen der “bolivarianischen Revolution” zum Flughafen von Caracas begaben um dies zu verhindern. Nach einer Woche tätlicher Angriffe und Einschüchterungen gegen Chavez-Anhänger in den besser gestellten Stadtvierteln, scheint sich das Blatt so weit gewendet zu haben, dass es heute auch in nobleren Gegenden wie San Antonio de Los Altos zu Kundgebungen für die Regierung kam.
Wenn Chávez stürzt, gibt es Bürgerkrieg
Die Reaktion der Bevölkerung ist diesmal wesentlicher stärker und organisierter, als sie es noch beim vergangenen Putsch im April gewesen war. Zugleich hat die Kampagne der Opposition stets offenere rechtsradikale und rassistische Ausprägungen. Doch die Armen sind diesmal zu allem entschlossen, nachdem ihre Wohngebiete in den Slums auf den Hängen rund um Caracastagelang Ziel von bewaffneten Angriffen der Opposition waren. Sie begannen zu Zehntausenden in die Hauptstadt zu kommen, um “ihre Regierung” zu verteidigen, . “Wir wollten sehen, wie weit sie gehen”, so ein Demonstrant, “aber wenn sie Chávez stürzen, entfesseln sie einen Bürgerkrieg”.
Präsident Hugo Chávez hat indes zur allgemeinen Mobilisierung der Bevölkerung gegen den erneuten Putschversuch aufgerufen. Im ganzen Land sind Millionen von Men¬schen unterwegs, sie demonstrieren ihre Unterstützung für die Regierung, besetzen Fabriken, schützen Institutionen und versuchen eine Eskalation zu verhindern. Dennoch ist keine Entspannung zu vermelden, denn es ist unklar, welchen Trumpf die Opposition noch aus dem Ärmel zieht. Sie haben alles auf eine Karte gesetzt und scheinbar verloren. Das kann auch zu extremen Verzweiflungstaten führen.