"So viele Arten von Haar"

Surinam

Nachdem im Juli dieses Jahres in Kourou die zivile Regierung Shankar mit dem Dschungelkommando der Maroons unter der Führung von Ronnie Brunswijks ein Friedensabkommen aushandelte, sah es zunächst danach aus, als würde es tatsächlich zu einer Einstellung der Kämpfe in Ost-Surinam kommen. Durch dieses Abkommen sollte den Maroons eine strukturelle Hilfe in Höhe von ca. 11 Millionen surinamesichen Gulden zugutekommen und die bewaffneten Mitglieder des Dschungelkommandos in die Reihen der Landespolizei eingegliedert werden.
Nicht nur das Militär hat sich inzwischen erneut gegen das Abkommen ausgesprochen, sondern es bildete sich zudem eine bewaffnete Widerstandsbewegung der IndianerInnen in West-Surinam, die sich durch das Abkommen benachteiligt sehen.

Gegen den 1980 durch einen Militärputsch an die Macht gekommenen Desi Bouterse bildete sich Ende 1986 unter der Führung des ehemaligen Leibwächters von Bouterse, Ronnie Brunswijk eine schwarze Guerillabewegung, bekannt unter dem Namen Dschungelkommando, die von Stützpunkten an der Grenze zum benachbarten Französisch-Guayana aus operierte. Berichten zufolge soll Brunswijk von surinamesischen ExilpolitikerInnen und Geschäftsleuten in den Niederlanden finanziell unterstützt worden sein, nicht zuletzt bestand auch ein Interesse Frankreichs, die Region zu befrieden. Die französische Raketenbasis Kourou liegt in der Nähe zur Grenze zu Surinam. Es bleibt zugleich die Frage, inwieweit Bouterse seinerseits von Libyen unterstützt wurde und von MBB Kriegsmaterial bekam.

Nachdem sich die ökonomische und politische Situation verschlechterte – schon 1982 stellte die ehemalige Kolonialmacht Holland die Entwicklungshilfe für Surinam ein – muß Bouterse ein Referendum zulassen. Er bekommt nur spärliche 15% und überlässt die Regierungsgewalt der DFK (Bündnis der ehemaligen Opposition) unter dem Hindu Ramsewak Shankar.

Geteiltes Land
Hintergrund der jetzigen Situation ist die demographische Spaltung Surinams. Während die Küstenregion um die Hauptstadt Paramaribo von einem Vielvölkergemisch bewohnt wird, ist das westliche Binnenland vor allem von Maroons besiedelt. Das Abkommen von Kourou schreibt einen Waffenstillstand zwischen der Armee und der Guerilla der Maroons fest, die Entwicklung des (östlichen) Binnenlandes und die Aufnahme des Dschungelkommandos in die Polizeikräfte.
Dagegen wenden sich nun die IndianerInnen: Ausgerechnet auf ihrem Gebiet sollen die traditionell mit ihnen verfeindeten Maroons Polizeiaufgaben übernehmen. Anfang September beginnen die IndianerInnen mit ihren Aktionen: sie kapern ein Flugzeug, ein Fährboot, ein Schiff und besetzen strategische Punkte in West-Surinam. Bei dies Aktionen kam es bereits zu Todesopfern. Der Name der Gruppe – Toekayana Amazonia – verweist auf eine indianische Gottheit, die sich in einer Königsschlange manifestiert, Krankheiten heilt und böse Geister bekämpft. Sie fordern die Verbesserung der Situation der IndianerInnen, die Zurücknahme der Erklärung von Kourou, den Rücktritt der zivilen Regierung und deren Ersetzung durch eine „Regierung der Nationalen Einheit“ – eine alte Forderung der Armee unter Desi Bouterse.

Das Militär – immer dabei
Tatsächlich ist die Armee nach wie vor der politische Machtfaktor in Surinam. In der modifizierten surinamesischen Verfassung ist weiterhin festgelegt, dass die Streitkräfte „die militärische Avantgarde des Volkes“ sind und dass es zu ihren Aufgaben gehört, die Souveränität und Unabhängigkeit des Landes zu verteidigen. Schon beim Inkrafttreten der Verfassung wurde damit gerechnet, dass diese Bestimmungen eines Tages zu Spannungen zwischen den Militärs und einer künftigen Zivilregierung führen könnten. Seitdem Präsident Shankar im vergangenen Jahr sein Amt antrat, hat es Differenzen zwischen Regierung und Militärs gegeben. So forderte Bouterse noch am Tag des Abkommens die Entwaffnung des Dschungelkommandos unter Aufsicht internationaler militärischer VertreterInnen und des Roten Kreuzes.

Der Konflikt – „weiße“ Politik
Die derzeitige Übereinstimmung der Positionen Bouterses und der Toekayana-Guerilla erklärt sich damit. Dass die ethnische Minderheit der IndianerInnen traditionell fester in den surinamesischen Staat eingebunden ist als die Maroons. So rief Bouterse vor dem Kampf gegen das Kommando von Brunswijk eine indianische Spezialeinheit ins Leben, die Delta-Force. Der Armeechef meint, dass die Indianer viel besser für den Dschungelkrieg geeignet seien, als die Stadtkreolen oder die Hindustanis aus den Reisfeldern. Eric Schelts von der Indianervereinigung „Waitono“: „Eine Menge Indianer sind in die Armee eingetreten und waren aktiv beteiligt am Kampf gegen das Dschungelkommando“. Schon länger machten die Indianer einen Teil der bewaffneten Volksmilizen aus, die Patrouillen- und Wachdienst ausführten.
Es ist nicht das erste Mal in der surinamesischen Geschichte, dass Indianer in einem Krieg gegen Maroons eingesetzt wurden. Nach einem langen Krieg schloß 1686 der niederländische Gouverneur mit den IndianerInnen einen Friedensvertrag. Von dieser Zeit an waren sie jedenfalls befreit von Sklaverei und begannen die Niederlande, Schiffsladungen mit schwarzen SklavInnen aus Afrika hinüberzuverfrachten. Viele schwarze SklavInnen flohen aus den Plantagen in die Regenwälder. Sie gründeten im Binnenland ihre Gemeinschaften in Gebieten, die die IndianerInnen als ihr Terrain betrachteten. Im kolonialen Krieg gegen die maroons halfen IndianerInnen der Kolonialmacht bei der Gefangennahme und Ermordung geflohener SklavInnen.
Indizien dafür, dass auch Bouterse die IndianerInnen nicht anders als zwei Jahrhunderte zuvor die Niederlande in seinen Kampf gegen die Maroons einspannt, sind die Äußerungen des Kommandanten Matto von den Toekayanas, der die „Terroristen und Söldner im Osten des Landes“ aufforderte, ihre Feindseligkeiten gegen Surinam zu beenden und ihre ausländischen Basen abzustoßen – wie es auch Bouterse gesagt haben könnte. Der surinamesische Menschenrechtsaktivist Stanley Rensch meldete schon zwei Wochen vor dem Toekayna-Aufstand, dass die Armee Waffen in den Dörfern der IndianerInnen verteilte und schon Mitte August ein militärisches Trainingsprogramm von der Armee für IndianerInnen veranstalte worden war.

Eine Stellungnahme der Sprecherin von Tunasarapa Surinam, einer Stiftung für das „autochtone Volk von Surinam“ in Amsterdam Els Wolff lässt offen, ob das Militär tatsächlich direkt an den Aktionen der Toerkayanas beteiligt ist: „Diese Indianer kämpfen weder für Bouterse noch für Brunswijk. Damit löst Du nicht die Probleme der Indianer. Menschen die das behaupten gebrauchen ihren Verstand nicht. Die Waffen hätten die Indianer vorher haben sollen, aber woher sie kommen, weiß ich auch nicht.“

Guerilla gegen Guerilla
Die Aktionen der IndianerInnen und die Ankündigung ihres Kommandanten Thomas, der Krieg werde noch zehn bis fünfzehn Jahre weitergehen, wenn die Regierung nicht auf ihre Bedingungen eingehe, üben inzwischen soviel Druck auf die Regierung aus, dass sie den Forderungen der IndianerInnen nachkam, und den Parlamentspräsidenten Lachmon zu Vermittlungsgesprächen zu den IndianerInnen schickte. Lachmon bot ein Referendum über das Abkommen von Kourou an und versprach, dass dieses Abkommen nicht in Kraft treten werde, wenn 70% der SurinamesInnen dagegen stimmen würden.

Dadurch sieht sich aber auch Brunswijk verstärkt Kritik aus den eigenen Reihen ausgesetzt: erst wurde ein Abkommen geschlossen und von Regierung und Parlament ratifiziert, nun wird plötzlich dieses Abkommen wieder abhängig gemacht von einem Referendum. Auch die im Abkommen ausgehandelte Unterstützung für das östliche Binnenland ist dort bisher nicht angekommen. Dies wäre eine mögliche Erklärung für die Besetzung des Bauxitdorfes Moengo durch eine neue radikale Maroon-Bewegung, die „Union für nationale Befreiung und Demokratie“, die dieses Aktion als Unterstützung des Regierungsprogramms und des Kourou-Ankommens versteht.  Bei der „Rück“-Eroberung des Dorfes durch die Toekayanas kamen 20 Menschen ums Leben.

Lichtblicke?
Die bürgerkriegsähnlichen Zustände und die Unterbrechung der Zufahrtswege zur Hauptstadt Paramaribo durch Toekayaba-Angriffe machen die Situation für die Zivilbevölkerung immer unerträglicher. Die ReisbäuerInnen und die Gewerkschaften im nordwestlichen Grenzland drohten mit der Einstellung der Reisproduktion und einem Generalstreik, wenn die Regierung nicht sofort Gespräche mit allen Gruppen des Landes unter Einbeziehung der IndianerInnen aufnehme.

Anfang November konnten sich Ronnie Brunswijk und Armeechef Bouterse auf ein Treffen in den nächsten Wochen verständigen. Der niederländische Journalist Siep van der Werf, der für die Zeitschrift „Alerta“ arbeitet, äußerte gegenüber LN die Hoffnung, dass es angesichts der Forderung der Gewerkschaft nach einem Dialog aller funktionalen Gruppen und des eventuellen Treffens der beiden Hauptexponenten des Konflikts nun die Möglichkeit einer friedlichen Lösung der ethnischen Probleme Surinams gebe.

Die Vielschichtigkeit der ethnischen und politischen Konflikte in Surinam und der Informationsmangel in der BRD machen freilich eine endgültige Bewertung der derzeitigen Lage für uns fast unmöglich.

 

Kasten 1
Fläche:                         163.265 qkm
80% der Fläche bestehen aus tropischem Regenwald, landwirtschaftliche genutzt wird nur ein schmaler Küstenstreifen.
EinwohnerInnen:           380.000 (Schätzung von ’88), über 200.000 leben in den Niederlanden. Ca. 70% der Gesamtbevölkerung wohnen im Umkreis der Hauptstadt Paramaribo ca. 10% in Nieuw Nickerie mit Vororten.
Ethnische                     32% KreolInnen, 37% InderInnen, 15% JavanerInnen, 10% Maroons
Gliederung:                   (im Busch lebende Nachkommen entlaufener SklavInnen, 2% ChinesInnen, 2% EuropäerInnen, 3% IndianerInnen.
Religiöse Glieder.:        37% Christinnen, 33% Hindus, 22% Moslems
Sprache:                      Obwohl Niederländisch die Staatssprache ist, wird sie nur von 40% der Bevölkerung gesprochen. 78% sprechen Sranang (eine Art karibisches Englisch), hinzu kommen Dialekte und Sprachen der einzelnen ethnischen Gruppen.
Wirtschaftsstruktur:      Kennzeichnend ist die externe Abhängigkeit und das sektorale Ungleichgewicht. Externer kapitalistischer Sektor: traditionelle Plantagenwirtschaft und Bauxitproduktion, -verarbeitung. Bauxit bzw. Aluminium und Alumina bilden über 80% der Ausfuhren, Die Bauxitproduktion und -verarbeitung ist in den Fängen von Subunternehmen des US-Konzern ALCOA (SURALCO) und den niederländischen Multis Shell (Billiton).
                                    Interner kapitalistischer Sektor: Kleinindustrie, Handels- und Dienstleistungsbetriebe. Dazu kommt die nichtkapitalistische Landwirtschaft der indischen und javanischen ReisbäuerInnen (Reisanteil am Agrarexport: über 50% – 74% der Bevölkerung besitzen 26,5% der Nutzfläche)
Soziale Oberschicht:     Management der Bauxitindustrie, Teile der holzverarbeitenden Industrie und Finanzsektor werden von der weißen Minderheit kontrolliert. Den Kreolen, weniger den Kreolinnen, kommen Positionen in der Staatsbürokratie zu, während die Inder und Javaner (die –innen fallen auch hier nicht ins Gewicht) in Handel und Landwirtschaft überwiegen.
Hist. Überblick:            1667 von den Niederlanden Großbritannien gegen New York (damals Nieuw Amsterdam) abgetauscht, wurde Surinam durch die Verschleppung und Versklavung von SchwarzafrikanerInnen als Zuckerlieferant aufgebaut. 1863 Aufhebung der Sklaverei; 1873-1947 „GastarbeiterInnen“ (LohnsklavInnen) aus Asien werden vom Kapital und der (Kolonial-)HERRschenden Klasse ins Land geholt. 1949 und 1951 erste allgemeine Wahlen, Nationale Partei Surinams (NPS) gewinnt (kreolisch-protestantische Ausrichtung). 1954 Königreichstatut mit interner Verwaltungsautonomie.
1955-67 wegen ethnischer Spannungen große Koalition mit der Vereinigten Reformpartei (VHP, hinduistische Ausrichtung). Ab ’67 verschiedene Regierungen der NPS oder VHP. 25.11.1975 Unabhängigkeit von den Niederlanden unter NPS-Regierung und gegen den Willen der indischen Parteien. Niederlande garantieren über 10-15 Jahre jährliche Zahlungen in Höhe von 3 Milliarden Gulden. 25.2.80 Staatsstreich von 16 Unteroffizieren wegen Handlungsunfähigkeit und Korruption in der neuen Regierung. 1.5.80 neue Zivilregierung, jedoch Uneinigkeit über den politischen Kurs bei den Militärs. 13.8.80 Oberst Desi Bouterse reißt die Macht an sich: Verhaftungen von fortschrittlichen Militärs, Ausnahmezustand, Auflösung des Parlaments, Verbot der politischen Parteien und Annullierung der Grundrechte. 1982 15 linke und rechte Oppositionelle werden von Militärs gefoltert und ermordet. Die Niederlande stellen die Finanzhilfe ein. Machtpolitiker Bouterse hält seine Interessen maßgeblich durch Repression aufrecht.

 

Kasten 2

R. Dobru, Wan Bon – Ein Baum (1965)

Ein Baum
So viele Blätter
Ein Fluß
So viele Arme
Alle unterwegs zu einem Meer
Ein Kopf
So viele Gedanken
Gedanken um ein und dasselbe Heil
Ein Gott
Verschieden angebetet
Aber ein einziger Vater
Ein Surinam
So viele Arten von Haar
So viele Hautfarben
So viele Sprachen
Ein Volk

(Dobru, ein Kreole, gilt als bedeutendster Dichter Surinams; Übersetzung aus dem Niederländischen von Jens Andermann)