Metropolenrassistischer Konsens
Immer mehr Regionen der Welt befinden sich in einem permanenten Kriegszustand. Die Akteure haben sich dabei ausdifferenziert: Nicht nur staatliche Armeen, auch Warlords, Söldner, Paramilitärs und private Kriegsunternehmen kämpfen um Einflussnahme und Ressourcen. Häufig wird dieses unübersichtliche Szenario mit dem Schlagwort „Neue Kriege“ belegt, als Ursachen werden „Schwache Staaten“ oder „Chaos“ genannt. In dem Sammelband „Das Unternehmen Krieg“ von Dario Azzellini und Boris Kanzleiter wird dieser verschleiernde Diskurs widerlegt. Viele „neue“ Elemente in der Kriegführung gab es schon vorher. Außerdem verfolge die Unterscheidung zwischen alten und neuen Kriegen ein bestimmtes Interesse: „Dabei legitimiert der Diskurs der ‚neuen Kriege' den völkerrechtlich regulierten und von souveränen Nationalstaaten geführten ‚richtigen Krieg' als ultima ratio des Versuchs, das von den ‚falschen Kriegen' erzeugte Grauen aus der Welt zu schaffen“, stellt Thomas Seibert in einem einführenden Artikel über die „Neue Kriegsordnung“ fest.
Die Herausgeber wollen über die „Neuen Kriege“ informieren und zur Diskussion anregen, nicht zuletzt innerhalb der Antikriegsbewegung. Da die Grenzen zwischen Krieg und Frieden immer mehr verwischten, seien „komplexere Antworten (...) als die Forderung nach dem Ende von Bombardierungen“ erforderlich: „Es geht vielmehr um die Kritik einer Neuen Kriegsordnung, die ein Ausdruck gegenwärtiger Entwicklungstendenzen des Kapitalismus ist.“
In dem Sammelband wird in zwölf Einzelstudien detailliert nachgewiesen, wie in Folge der neoliberalen Durchdringung der Welt die Kriegführung privatisiert wird. Private Military Companies (PMCs) übernehmen Logistik, Transport und Versorgung, bieten Ausbildung und Beratung an oder kämpfen als „qualifizierte Gewaltdienstleis-ter“ an vorderster Front. Für die auftraggebenden Regierungen bietet dieses Outsourcing zwei fundamentale Vorteile: Kostenersparnis und die Auslagerung politisch brisanter militärischer Aufgaben.
Die Struktur der PMCs ist netzwerkartig, Subunternehmen arbeiten zusammen mit lokalen Eliten und transnationalen Konzernen: „Kriegswirtschaften sind keine lokal isolierten Phänomene, sondern eng in die Waren- und Kapitalströme der Weltwirtschaft integriert.“ Berührungsängste zu Kriegsverbrechern und Warlords gibt es nicht.
Bisweilen sind die kriegerischen Konflikte ideologisch und/oder religiös verbrämt, aber meist ist das ökonomische Interesse an Kupfer im Kongo, Erdöl in Kolumbien, Schlafmohn in Afghanistan oder Erdgas in Indonesien – um nur einige Beispiele zu nennen – Grund genug für das Kriegsunternehmen. Leidtragende ist immer die Bevölkerung in den profitträchtigen Regionen. Krieg wird zum Selbstzweck, Friedensdialoge sind den Kriegsakteuren schnurzegal. Im Gegenteil - eine Aufrechterhaltung des Konfliktzustandes sichert die ungehemmte Ausbeutung.
Drei der zwölf Analysen widmen sich lateinamerikanischen Ländern. In dem Text zu Kolumbien schildert Dario Azzellini, wie das ressourcenreiche Land zu einem Versuchslabor für privatisierte Kriegführung geworden ist. In dem Kapitel über Chiapas analysiert Azzellini die paramilitärische Durchdringung des mexicanischen Bundesstaates. Der These von „ethnischen Konflikten“ zwischen indigenen Gemeinden wird dankenswerterweise eine Absage erteilt. Aufschlussreich ist die Erwähnung des „Chiapas 2000“ Plans, in dem die Aufstandsbekämpfungsstrategie der Regierung Fox gegen die EZLN dargestellt wird. Der Beitrag zu Guatemala behandelt geschlechtsspezifische Gewalt während des jahrzehntelangen bewaffneten Konflikts: „Wie in vielen Konfliktgebieten wurden die Frauen als ‚Kriegsbeute', aber auch als ‚Köder' betrachtet. (...) Sie zu vergewaltigen war eine Form sie zu besiegen, ihren Willen zu brechen und sie zur ‚Verräterin' an ihrem ermordeten, entführten oder verfolgten Mann zu machen.“ So bringt die Autorin Matilde Gonzales einen Jahrtausende alten Kriegsmechanismus auf den Punkt. Andere Fallstudien behandeln Krieg und Kriegsökonomie in der Türkei, der Demokratischen Republik Kongo, im ehemaligen Jugoslawien, in Angola, Afghanistan und Indonesien.
Die Lektüre ist auf jeden Fall aufschlussreich, da mag auch das bei einzelnen Kapiteln etwas schlampige Lektorat verziehen werden. Bisweilen schleichen sich angesichts der geballten Faktenflut über die Gewaltökonomien Ohnmachtsgefühle ein. Schließlich entwirft auch das Resümee von Boris Kanzleiter düstere Aussichten: „So präsentiert sich ein Panorama künftiger Konflikte, in dem in den von neoliberaler Globalisierung und Krieg verwüsteten Ruinen der ‚schwachen Staaten' Rumpfregierungen mit regulären Streitkräften und der Unterstützung von PMCs gegen Akteure privater Gewalt wie Warlords kämpfen, die ihrerseits von PMCs unterstützt werden. Das Peacekeeping zur Eindämmung der Destabilisierung, die unerwünschte Flüchtlingsbewegungen in Gang setzt (...), wird ebenfalls zunehmend von PMCs übernommen (...).“ Immerhin wird in dem Beitrag von Thomas Seibert die Richtung angedeutet, an der sich Kritik und praktischer Widerstand orientieren sollten: „Den sozialen Bewegungen und politischen Linken in den Triadenstaaten ist deshalb die Aufgabe gestellt, den nicht zuletzt vom Diskurs der ‚neuen Kriege' gefestigten metropolenrassistischen Konsens zu sprengen, nach dem ausgerechnet der globale Norden für die Durchsetzung von Demokratie, Menschenrecht und Zivilität zu sorgen habe.“