Dokumentarfilm über Aufbruch und Probleme in fünf Fabriken Venezuelas
Arbeiterkontrolle im Praxistext
Die Perspektive ist dieselbe wie bei »Venezuela von unten«. Auch bei ihrem zweiten Dokumentarfilm über Venezuela werfen Dario Azzellini und Oliver Ressler einen Blick auf die Prozesse an der Basis der bolivarianischen Revolution und nehmen fünf selbst verwaltete Fabriken unter die Lupe.
Der Mann sieht aus wie ein etwas jüngerer Fidel Castro. Auch seine marxistische Rhetorik kann es mit der des kubanischen Staatschefs aufnehmen. Statt der kubanischen Revolution steht der bekannte venezolanische Marxist Carlos Lanz jedoch seit Anfang 2005 als Direktor der selbstverwalteten Aluminiumhütte Alcasa in Venezuela vor. Vorgestellt wird er in dem Film »Fünf Fabriken«.
Die Koproduktion des Berliner Filmemachers Dario Azzellini und des Wiener Künstlers Oliver Ressler nimmt den Zuschauer gleich mit in die venezolanische Arbeitswelt. Fünf Großunternehmen in unterschiedlichen Regionen des Landes werden vorgestellt: neben der Aluminiumhütte, ein Textilunternehmen, eine Tomatenfabrik, eine Kakaofabrik und eine Papierfabrik. Sie waren alle von ihren vormaligen Besitzern aufgegeben und die Arbeiter entlassen worden. Sie haben sich entschlossen, die Fabriken zu besetzen und die Produktion wieder in Gang zu bringen. Das ist ihnen in den gezeigten Fällen mit einigem Erfolg gelungen. Darauf sind die Interviewpartner auch sehr stolz. So betont eine Arbeiterin aus der Papierfabrik, dass die Besetzung das Werk der Belegschaft gewesen sei. Die Regierung hat die Fabriken später unterstützt und auch günstige Kredite vergeben. Das weiß die Belegschaft zu würdigen, betont aber eindeutig ihre Unabhängigkeit. Die in den fünf Fabriken an ihren Produktionsorten aufgenommenen Protagonisten berichten über alternative Organisationsweisen und das Experimentieren von Modellen von Arbeiterkontrolle. Auch die Schwierigkeiten der Selbstverwaltung werden dabei ebenso ehrlich geschildert und analysiert. So sieht der Marxist Carlos Lanz in einem rein gewerkschaftlichen Bewusstsein der Belegschaften eine große Gefahr für den weiteren Ausbau der Arbeiterkontrolle in Venezuela. Die Situation in den fünf Fabriken ist unterschiedlich. Doch gemeinsam ist die Suche nach besseren Produktions- und Lebensmodellen. Dabei stehen nicht nur konkrete Verbesserungen für die Arbeiter im Vordergrund. Aury Arocha, Laboranalystin der Ketchup-Fabrik »Tomates Guárico« betont: Der Unterschied zwischen Unternehmen sozialer Produktion (EPS) und kapitalistischen Unternehmen besteht darin, dass die EPS für die Gemeinschaft, das heißt im Sinne der Gesellschaft arbeiten.« Hier wurde eine Gelegenheit verpasst, noch einmal genauer nachzufragen. Wie sind die konkreten Arbeitsbedingungen ausgestaltet und wer hat darüber entschieden? Wer bestimmt über das Arbeitstempo und die Löhne? Carlos Lanz, aber auch andere Interviewpartner betonen mehrmals, dass Venezuela weiterhin ein kapitalistisches Land ist und deshalb auch noch Ausbeutungsverhältnisse weiterexistieren. »Das Alte ist noch nicht abgeschlossen. Das Neue ist noch im Entstehen«, erklärt ein Interviewter poetisch. Der Film zeigt die Mühen der Ebene im venezolanischen Umgestaltungsprozess und entlässt den Zuschauer mit der Frage, wann solche Debatten auch wieder bei uns in der betrieblichen Auseinandersetzung auf die Tagesordnung kommen.