Ob Einheit oder nicht, gefeiert wurde in Berlin mäßig. Und auch ein bisschen demonstriert
Würstchen & Trachten
In Berlin feiert die Industrie von ABB über Daimler-Benz bis Volkswagen unter dem aufrechten Motto „Das Land sind wir. Alle!“ gleich drei Tage lang die Wiedervereinigung. Sie hat ja auch allen Grund dazu. Bereits am Sonnabend begann vor dem Reichstag ein Multi-Kulti-Volksfest mit kulinarischen Spezialitäten aus aller Welt. Es wurde auch richtig multikulturell. Viele Touristengruppen waren anwesend, und auch die meisten Menschen hinter den Ständen waren Ausländer. Den Höhepunkt des Festes stellte am Sonntag der Festumzug der Bundesländer dar. Trachtengruppen, Fahnenschwenker und geschmückte Wagen wurden etwa von hunderttausend Jubelberlinerinnen bei ihrem Zug durch die Stadt bedacht. Abends fand das große VW-Rockfestival statt, doch statt Ignacio Lopez sang Elton John.
Das dreitägige Volksfest bot eine bunte Mischung aus Miniaturtrabis, Vereinigungsschnickschnack, Restbestände der NVA und Roten Armee sowie alles andere, was sich zu Geld machen lässt, von Kakteen bis Duftseife. In sicherer Entfernung wachten Wasserwerfer, Räumpanzer und Sondereinheiten der Berliner Polizei über den ordnungsgemäßen Ablauf des Ganzen. Der Andrang war trotz des ausgesprochenen Hanges der Berliner zu Volksfesten eher mäßig. Die meisten kamen aus Neugier. Ob es etwas zu feiern gäbe? Nee, wat denn? - war die Antwort. Befürchtete Deutschtümelei war auf der marktwirtschaftlichen Werbeveranstaltung zwischen Big-Band der Bundeswehr, „Zigeuner“-Musik und Latino Sound kaum zu finden. Für viele war es bloß „ein weiterer Feiertag“.
Streng kontrolliert wurde jedoch die kleine Demonstration mit etwa 1 500 Teilnehmern, die gegen 14 Uhr am Checkpoint-Charlie ihren Anfang nahm und sich gegen IWF, Weltbank und alles Böse richtete. Währenddessen fand auf dem Rosa-Luxemburg-Platz das Einheizfest der PDS statt. Wem oder was eingeheizt werden sollte, blieb allerdings unklar. Doch das schien auf dem Ost-Stelldichein zwischen Halberstädter Bockwürsten sowie Strickwaren aus Apolda und Mühlhausen auch relativ egal zu sein. Französischer Landwein mit PDS-Etikett und „garantiert mehr als fünf Prozent“ wurde verkauft. Cuba si konkurrierte mit einem Reisebüro, während aus den Lautsprecherboxen „volle Granate Renate, Renate“ und weitere Bierzelttaugliche Schunkelschlager über den Platz dröhnten. Das Musikprogramm schien zumindest nicht gemeinsam mit den auf dem Fest zahlreich vertretenen Frauengruppen in und um die PDS ausgewählt zu sein.
Auf der Bühne wechselten sich am Vormittag noch verschiedene Kabarettisten ab, ohne jedoch die Gags zu wechseln. Das dröge Wahlkabarett mit Witzen über Kohl wurde schließlich am Mittag von einer Samba-Gruppe abgelöst, bevor es zur Diskussionsrunde mit PDS-Spitzenkandidaten kam. Der Andrang zum Einheizfest war gewaltig. Das Wahlkampfmotto der PDS „Veränderung beginnt mit Opposition“ muß der Basis allerdings noch klarer gemacht werden. Gerade unter den Älteren herrschte eher die Auffassung, Hauptsache mitmachen