Entscheidend ist, ob jemand aktiv wird

Im ND-Interview äußert sich Andrew Walde beim DGB zuständig für den Ost-Nachwuchs über Struktur und Marschrichtung der Gewerkschaftsjugend

Gewerkschaften? Das ist doch nix für Jugendliche. Oder etwa doch? Zumindest gibt es beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) extra Strukturen für den Nachwuchs. Andrew Walde, 33 Jahre alt, ist Leiter des Referats "Neue Länder Abteilung Jugend" beim DGB-Bundesvorstand. Mit ihm sprach unser Mitarbeiter Dario Azzellini.

Wieviele Mitglieder hat denn die DGB-Jugend?

Über eine Million. Es kann ja jeder, der in einem abhängigen Arbeitsverhältnis steht, Mitglied der Gewerkschaften werden. In der DGB-Jugend wird man nicht extra Mitglied, sondern man ist es, wenn man in einer der 16 DGB-Einzelgewerkschaften organisiert ist und ein bestimmtes Alter nicht überschreitet.

Marschrichtung festgelegt?

Das ist aber alles nicht so entscheidend und nur formal. Interessant ist, ob jemand aktiv wird oder nicht. Eine Zahl lässt sich nicht genau festlegen, ich könnte jetzt sagen "wir haben 100 000 "Aktive", das wäre aber aus der Luft gegriffen.

Für wen arbeitet ihr dann?

Ein Jugendvertreter vertritt nach Gesetz alle Jugendlichen und Auszubildenden in einem Betrieb.

Die DGB-Jugend hatte ja erst vor kurzem einen Kongreß. Was kam dabei raus?

Die Bundesjugendkonferenz ist ein satzungsgemäßes Organ der DGB-Jugend und tagt mindestens alle vier Jahre. Sie legt die grobe Marschrichtung für die nächsten vier Jahre fest. Die Bundesjugendkonferenz hat in erster Linie über die Zukunft der DGB-Jugend geredet. Also, welche Struktur soll die Gewerkschaft haben? Angesichts des Mitgliederschwundes muß die Frage bald gelöst werden. Die Jugend ist ja auch nicht mehr wie vor 20 Jahren, die Gewerkschaften müssen da flexibler werden.

Aber was wurde denn nun als "Marschrichtung" festgelegt?


Eine Öffnung. Wir haben in Ostdeutschland das "Initiativprogramm zum Aufbau von Jugendarbeit" gefahren, das Freiheiten hatte wie kaum ein anderes Programm bisher. Gewerkschaften und jugendliche Mitglieder sind sich darüber einig, daß es eines der Felder ist in diesem Vereinigungsprozeß, wo die Westler mal was von den Ostlern lernen können. Es wurden Einrichtungen eröffnet, die gewerkschaftliche Jugendarbeit in ganz anderen Bereichen machen als bisher: Jugendcafés, offene Jugendeinrichtungen, sogar DGB-Vertreter, die mal mit Streetworkern auf die Reise gehen, oder wie unser Potsdamer Kollege, der durch die Jugendclubs tingelt und einerseits Angebote macht, andererseits aber auch das Ohr an den Leuten dran hat.

Das hatte es bisher nicht gegeben. Zum einen aus finanziellen Gründen, zum anderen, weil die Gewerkschaften bisher nicht so richtig einsahen, warum ein DGB-Jugendvertreter sich so sehr in die direkte Arbeit mit Jugendlichen reinhängen soll, die nicht einmal Mitglied sind. Da hat in den letzten Jahren ein Umdenkungsprozeß stattgefunden.

Hat die Konferenz auch eine politische Orientierung beschlossen oder nur strukturelle Veränderungen?

Es wurde über verschiedene Sachen diskutiert. Beispielsweise über UNO-Blauhelmeinsätze, da gab es eine längere Diskussion und verschiedenste Positionen, aber es wurde kein Beschluß gefaßt. Abgelehnt wurden nur Kampfeinsätze. Das ist auch nicht so bedeutend, denn wenn die DGB-Jugend etwas beschließt, wird das vielleicht irgendwo abgedruckt, aber hat keine Wirkung auf die Mitglieder vor Ort.

Hat die Gewerkschaft keine Basis?

So würde ich das nicht sagen. Auf dem Kongreß sitzen Vertreter, die schon eine große Vielfalt an Meinungen repräsentieren, eben das Spektrum, welches in der Gewerkschaft vertreten ist.
Politik ist Ergebnis vieler Kompromisse

Wenn sich da eine Position durchsetzt, dann ist das was anderes als ein Aufruf zu einer Demonstration.

Aber wie erklärst Du einem Jugendlichen im Osten, der keine Lehrstelle findet, daß die Gewerkschaft, wie in Kassel, zu einer Demo für die Kali-Fusion, also die Schließung von Bischofferode, aufruft? Daß sich Arbeitgeber, Regierung und Gewerkschaften im Endeffekt immer einig sind?

Gewerkschaftliche Politik ist das Ergebnis vieler Kompromisse. Das mag man als Linker zwar bedauerlich finden, macht es aber möglich, die Bürgerlichen nicht zu verlieren. Das Ergebnis von Bischofferode ist von der zuständigen Gewerkschaft ausgehandelt worden, und die zuständigen Kollegen sind demokratisch legitimiert gewesen. Insofern ist es ein Ergebnis von demokratischen Prozessen. Daß allerdings die Betroffenen dieser Entscheidung nicht so beteiligt sind, wie sie es eigentlich müssen, bringt diese Kompromißsuche einfach mit sich. Es sind immer Leute mit Ergebnissen unzufrieden. Aus Interessenkonflikten eine Lösung zu machen, ist ein Kunststück, welches die Gewerkschaften bewerkstelligen müssen.

Anscheinend ist es nicht möglich, alle Interessen zu vereinen. Bedeutet das nicht, daß das Modell der Einheitsgewerkschaft gescheitert ist?

Ich kenne kein besseres.

Aber es verwundert auch nicht, wenn Menschen kein Vertrauen mehr in die Gewerkschaften haben und immer mehr Arbeitskämpfe ohne den DGB geführt werden.
Ich finde das zwar nicht begrüßenswert, aber legitim. Gewerkschaften sind bürokratische Organisationen und brauchen oft den Anstoß von außen. Ich sehe darin aber nicht den Untergang der Gewerkschaften