ND-Serie AUSLÄNDER IN DEUTSCHLAND: Die ITALIENER der zweiten Generation haben große Identitätsprobleme
Giovannis Eltern kamen aus dem Mezzogiorno
Giovanni lacht, "Zurück? Wohin denn zurück?", fragt er, "Ich bleibe hier - wo soll ich denn sonst hin?". Giovanni ist 24, in Wiesbaden geboren und besitzt einen italienischen Paß. Seine Eltern kamen Anfang der 60er Jahre aus einem kleinen Dorf in Kalabrien nach Deutschland. Sie wollen nun, nachdem sie das Rentenalter erreicht haben, im nächsten Jahr wieder zurück in ihr Dorf.
Sie waren nach Deutschland gekommen, weil es hier Arbeit gab. In Süditalien hatten Ungelernte damals kaum eine Chance. Als auch noch ein starker Frost die Zitronen- und Orangenplantagen der Gegend zerstörte, packte Gaetano, Giovannis Vater, seine Habseligkeiten und machte sich auf den Weg zu den "tedeschi", den Deutschen. Er fand Arbeit in einer Fabrik in Wiesbaden und holte nach einigen Monaten seine Frau nach.
So wie Giovannis Vater kamen mehr als drei Viertel der italienischen Migranten aus dem "Mezzogiorno", dem landwirtschaftlich geprägten armen Süden. Die ersten größeren Migrationsbewegungen aus Italien nach Deutschland setzten 1955 ein. In den folgenden zehn Jahren wanderten vorwiegend junge Männer aus, die von deutschen Firmen gezielt angeworben wurden. Meist handelte es sich dabei um befristete "Arbeitsaufenthalte".
"Eigentlich wollten meine Eltern gar nicht so lange bleiben, doch dann wurden es doch 30 Jahre", erzählt Giovanni und schildert damit ein typisches Schicksal. Die meisten italienischen Emigranten hatten die Vorstellung, nur so lange in Deutschland zu bleiben, bis sie genügend Geld angespart haben, um sich zu Hause eine kleine Existenz aufzubauen. Vielen wurde dann sehr bald klar, daß die Arbeit, die sie in Deutschland als "Ausländer" bekamen, nicht zum erhofften schnellen Wohlstand führen konnte.
So blieb die Rückkehr nach Italien der Strohhalm, an dem sich die meisten festhielten. Zunächst sollte etwas mehr angespart werden, dann sollten die Kinder ihre Schule und dann die Ausbildung beenden und schließlich mußte man auf die Rente warten. Der Glaube an die Rückkehr blieb als zentrale Lebenslüge bestehen.
Die erste Generation steht vor dem Problem, sich in Italien nicht mehr wohl zu fühlen und Deutschland nie als neues "zu Hause" akzeptiert zu haben. Für ihre Kinder, die zweite Generation, stellt sich das Problem noch krasser. Nach Italien gehen können sie kaum. In Deutschland geboren und aufgewachsen, ist das Italienisch, das sie sprechen, meist dialektgeprägt und umfaßt nur einen geringen Wortschatz aus dem familiären Bereich. Auch ihre Gewohnheiten und Vorstellungen unterscheiden sich meist stark von denen Gleichaltriger in einer süditalienischen Kleinstadt. Dort gelten sie meist als "die Deutschen", während sie für die Deutschen "Italiener" sind. "Nein, Deutscher bin ich nicht", sagt auch Giovanni, "Italiener vielleicht, aber ich wüßte trotzdem nicht, was ich in Italien soll und ich glaube, meine Eltern wissen es auch nicht so richtig. Sie gehen nur zurück weil sie es schon seit zwanzig Jahren allen erzählen".
Im süddeutschen Raum und im Ruhrgebiet existieren zwar keine italienischen Gemeinschaften wie etwa in den USA, jedoch ein Netzwerk italienischer Geschäfte und Institutionen. In Frankfurt am Main etwa, wo ca. 30 000 Italiener leben, finden sich italienische Kneipen, Restaurants, Videotheken, Lebensmittelläden, Buchhändler, Bekleidungsgeschäfte sowie etliche Kultur- und Sportvereine.
Die Kinder können dort italienischen Unterricht besuchen, Erwachsene an der Abendschule den italienischen Hauptschulabschluß nachmachen. Doch der Mikrokosmos hat nicht nur seine guten Seiten, gerade die italienischen Schulen sind sehr ambivalent. Einerseits haben die Kinder dadurch weniger Kontakt zu anderen Kindern und lernen weniger Deutsch, andererseits erhalten viele erst in einer separaten Schule Bildungschancen. Viele italienische Kinder, die auf einer deutschen Schule waren, berichtet eine italienische Lehrerin, fanden sich oft auf einer Sonderschule wieder, da es vielen deutschen Lehrern zu müßig war, sich mit ihren mangelnden Deutschkenntnissen auseinanderzusetzen.
Insgesamt gehören die Italiener - nicht nur, weil Italien Mitglied der EU ist - mittlerweile zu den Ausländern erster Klasse in der BRD. "Als ich klein war, war es viel schlimmer für mich als heute", erinnert sich auch Giovanni, "damals waren wir die Itaker, die Kanaken und Knoblauchfresser, dann waren wir plötzlich besser, weil die Türken den Deutschen noch fremder waren, und heute sind es die Afrikaner, die alles abkriegen".