Ein Film gegen die Desinformation: Dario Azzellinis und Oliver Resslers Film „Comuna im Aufbau“

Richtung Kommune

Diktatur, Zensur, Armut, Unterdrückung von Studierendenprotesten: Die Berichterstattung der deutschen Medien über Venezuela unter Chávez ist laut Dario Azzellini »die größte Desinforma­tionskampagne seit Vietnam«. In den vergangenen zwanzig Jahren verbrachte der Journalist und Dokumentarfilmer ebensoviel Zeit in Lateinamerika wie in Europa. Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Berichterstattung über Venezuela und Kolumbien. »Comuna im Aufbau« ist der dritte Film, den Azzellini gemeinsam mit Oliver Ressler über den bolivarianischen Prozeß dreht. Die Filmemacher wenden sich den basisdemokratischen Ansätzen zu, die seit der venezolanischen Verfassungsänderung 1999 und insbesondere nach dem Scheitern des rechten Putschversuchs 2002 entstanden sind und entstehen.

In der venezolanischen Verfassung wird das Recht auf die Organisierung kommunaler Räte eingeräumt, die staatliche Gelder für kommunale Infrastrukturprojekte erhalten. Die kommunalen Räte der Nachbarschaften sollen sich über Sprecher in Comunas organisieren, diese wiederum in kommunalen Städten. »Comuna im Aufbau« verfolgt die Umsetzung dieses theoretischen Ansatzes in der Praxis anhand von drei Beispielen in Stadt, Land und oppositionell regiertem Gebiet. Jeweils eine Woche haben die Filmemacher die Diskussionsprozesse in den Versammlungen der Comunas begleitet und gefilmt, ohne Kommentare und ohne Interviews. Schnell wird deutlich, was Selbstermächtigung auf kleinster Ebene in Gebieten bedeutet, in denen menschliche Grundbedürfnisse wie Wohnen, Gesundheit oder Ernährung noch nie erfüllt wurden. Doch die Erfolge dieser Projekte zeigen Wirkung. Reparierte Häuser und Ernährungszentren veranlassen andere Nachbarschaften, sich zu organisieren. »Wir gehen jetzt in Richtung Kommune«, berichtet die Sprecherin des kommunalen Rats.

Beobachten wir hier die Auflösung des sozialistischen Staates durch eine Selbstermächtigung von unten? Im Film wird deutlich, daß die parallele Existenz von Basisstrukturen und staatlichen Institutionen zumindest Widersprüche hervorbringt. In zwei Comunas herrscht bereits Unmut über die starren bürokratischen Strukturen des Staates. Der von der Bezirksverwaltung geschickte Koordinator der kommunalen Räte plant die Route der Müllabfuhr falsch, die staatliche Telekommunikationsgesellschaft CANTV kümmert sich nicht um die Festnetzanschlüsse armer Barrios, die Finanzierung von Projekten wird nicht vom Ministerium bewilligt. »Wird diese Bürokratie denn niemals aufhören?«, beschwert sich ein Mitglied der Versammlung. Man ruft zur Selbstorganisation auf: »Doch, aber es hängt von uns ab.«

Auf dem Land gibt es andere Probleme als in der Stadt: Die ländlichen Produkte wie Milcherzeugnisse müssen verteilt werden, dafür werden ausgebaute Straßen und Milchtanks benötigt. Es wird bereits eine eigene Miliz organisiert. Trotz der fortgeschrittenen Organisierung kämpfen die ländlichen Kommunen mit der sinkenden Beteiligung an den Versammlungen. Die Wege sind weit, die Arbeit auf den Höfen muß verrichtet werden. »Wenn ein Jahr 365 Tage hat, wie viele Tage sind wir dann bereit, in den sozialen Kampf zu investieren?«, fragt der Sprecher der Versammlung. Man einigt sich auf zwanzig.

Wie schon in »Fünf Fabriken« und »Venezuela von unten« verhüllt der Film die Begeisterung der Filmemacher für den bolivarianischen Prozeß nicht und hält mit Kritik stark zurück. Ob die Darstellung deshalb zu einseitig ist, werden die Opfer der deutschen Medienpropaganda wohl nicht beurteilen können.


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