Filmkritik: Comuna im Aufbau
Nein, über die Straße Calle Asuncion könne die Müllabfuhr nicht fahren, dort stünden immer parkende Autos, wird dem Vertreter des Distriktes von mehreren Mitgliedern der kommunalen Räte energisch mitgeteilt, als dieser die Route vorträgt. Dann berät man sich, vor einer Schultafel im Klassenraum stehend, über die für den Stadtteil günstigste Wegstrecke. Die Vertreter verschiedener Consejos Comunales bringen ihr lokales Wissen ein, um eine möglichst praktikable Lösung zu erzielen.
Die Consejos Comunales sind die kleinsten, aus 200-400 Familien bestehenden, Einheiten politischer Assoziationen, die in Venezuela die breite Bewegung zur Veränderung und langfristigen Überwindung des Staates von unten tragen. Ihnen ist der neue Film von Dario Azzelini und Oliver Ressler gewidmet, die damit nach »Venezuela von unten« und »Fünf Fabriken« ihren dritten filmischen Annäherungsversuch unternehmen, die Entwicklung in Venezuela in einer adäquaten Perspektive zu beleuchten. Eine Perspektive, in der die konstituierte Macht, Staat und Institutionen und deren vor allem in europäischen Medien omnipräsenter Kopf Hugo Chávez, nur am Rande vorkommen. Bildlich wird Chávez nur als stummes, im fahlen Licht eines Sonnenuntergangs aufgenommenes Konterfei an einer Häuserwand inszeniert, manchmal erkennt man sein Gesicht auch neben anderen revolutionären lateinamerikanischen Säulenheiligen im Hintergrund auf Plakaten.
Im Vordergrund verbleibt dramaturgisch wie bildpolitisch immer die diskutierende und agierende Bewegung. Diese wiederum wird nicht als geschlossene, konfliktfreie Macht dargestellt, sondern im steten Diskussionsprozess und Austausch über die Fragen, die ihren Alltag betreffen: Welche Hütten müssen am dringendsten zu lebenswerten Häusern umgebaut werden, welche Straßen, Rohre oder Telekommunikationskabel müssen repariert oder neu verlegt werden, und wo fehlt es an Ärzten, Universitäten etc.
Es sind sehr konkrete Gegenstände der Infrastruktur, des Zusammenlebens, die hier – auffällig häufig von Frauen – problematisiert und in die Hand genommen werden. Die Kamera folgt den Frauen, wie sie auf Rundgängen ihren Stadtteil inspizieren und später dem Rat Bericht erstatten.
Und vor allem dort – an den Versammlungsorten der Räte –, wo Gedanken von Selbstorganisation, Partizipation und Lebendigkeit der konstituierenden Macht am sichtbarsten werden, hält sich die Kamera am liebsten auf. Sie liefert damit den bildlichen Unterbau für die Bevorzugung der von unten kommenden Veränderung des Systems, die seit 2006 auch offizielle Politik ist. »Man sollte die Versammlungen auf der Straße abhalten, damit allen klar wird, was Partizipation des Einzelnen bedeutet«, schlägt eine Teilnehmerin eines Rates vor, und die Dimension der hier möglichen Demokratisierung von Politik wird sehr eindrücklich vor Augen geführt.
Verhandelt werden in den »kommunalen Räten«, die sich zu comunas und diese zu »kommunalen Städten« zusammenschließen können, aber auch Wertefragen. Es geht nicht nur darum, wie auf pragmatischem Wege selbst Lösungen gefunden werden können, die dann, direkt vom Staat finanziert, im besten Fall zeitnah ihrer Realisierung zugehen. Es sind auch Einübungen in solidarisches und kollektives Bewusstsein, z.B. wie viele Tage des Jahres man dem »social struggle« widmen will und wie viele nur dem eigenen Vorankommen.
Mit dem berühmten Befreiungspädagogen Paolo Freire wird ein »feeling of togetherness« beschworen, das am Ende des Suchprozesses stehen soll. Auch Frustration über langsame bürokratische Vorgänge, Stillstand und Uneinigkeit sind Teil dieser Suchbewegung, doch das scheint allen bewusst zu sein und wird vom Film nicht verschwiegen.
Dass kraft der organisierten Bevölkerung eine tief gehende Transformation des Staates möglich ist, die in der hiesigen Fokussierung auf die konstituierte Macht kaum wahrgenommen wird, zeigt dieser sehr gelungene, wenn auch nicht ganz voraussetzungslose, genau beobachtende Film.
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