Kuba im Wandel?
Eine Reportage zu den Veränderung im kubanischen Alltag sowie den Auswirkungen und Zwängen ökonomischer Freiheiten und den Folgen auf die Errungenschaften der kubanischen Revolution. Widersprüche treten ans Tageslicht, doch die räume für Debatten und Praxen lassen hoffen.
«Was hat sich denn im vergangenen Jahr verändert?», frage ich den Taxifahrer auf dem Weg vom Flughafen von Havanna zu meiner Unterkunft. «Gar nichts», antwortet dieser wortkarg, drückt auf dem CD-Player der Autoanlage herum und wechselt die Musik. Offensichtlich ist er nicht zum Reden aufgelegt, denn allein schon das Taxi überrascht: Wir sitzen in einem schwarzen Neuwagen mit Schiebetüren und ich muss den Taxifahrer bitten, die Klimaanlage herunter zu drehen, da es im Wagen zu kalt ist. Ein Blick nach draussen zeigt weitere Veränderungen: Auf den Strassen herrscht für kubanische Verhältnisse regelrechter Autoverkehr. Neuwagen machen ein gefühltes Drittel des Fuhrparks aus. Und auf den Strassen von Miramar, etwas ausserhalb von Havanna, sehe ich im Vorbeifahren sofort zahlreiche kleine Restaurants und Läden, die letztes Jahr noch nicht da waren.
Revolutionär sein heisst, Häretiker zu sein.
Ich bin für das «10. Internationale Arbeitstreffen emanzipatorischer Paradgimen» nach Kuba gekommen. Eine Konferenz, die von linken regierungsunabhängigen Basiskräften organisiert wird und alle zwei Jahre stattfindet. Ich betrete den zentralen Versammlungssaal in dem Gewerkschaftshaus, das für die Konferenz zur Verfügung gestellt wurde. An den Wänden hängen Transparente und Fahnen. Auf einem lila Transparent verkündet eine Basisorganisation aus Nicaragua ihre Solidarität mit Kuba, auf einem handgeschriebenen Plakat steht «Revolutionär sein heisst, Häretiker sein». «Solidarität mit den chilenischen Studierenden» verkündet ein anderes Plakat, wieder ein anderes drückt Solidarität mit dem venezolanischen Präsidenten Chávez aus. Diverse Plakate und Transparente verkünden feministische Positionen. Andere wiederum Solidarität mit den Zapatistas aus dem mexikanischen Chiapas, das weltbekannte Motiv des Graffiti-Künstlers Bansky mit dem Blumen werfenden Vermummten Demonstranten ist zu sehen. Dazwischen hängen die Fahnen der brasilianischen Landlosenorganisation MST, der ehemaligen salvadorianischen Guerilla und heutigen Regierungspartei FMLN und die Fahnen der internationalen Landarbeiterorganisation «Via Campesina» sowie diverser Basisorganisationen aus Lateinamerika und ein grosses blaues Transparent mit der Aufschrift «Block G8». Am Ausgang des Saals und draussen stehen Tische auf denen linke Bücher und Zeitschriften, DVDs, Postkarten, Aufkleber und mit Parolen bedruckte T-Shirts feilgeboten werden. Es sieht aus wie auf jedem linken Basiskongress in Lateinamerika. Für die kubanischen Teilnehmer und Teilnehmerinnen ist das aber keineswegs gewöhnlich.
Selbstverwaltung statt Bürokratie
Nach einleitenden Stellungnahmen diverser kubanischer und internationaler Gäste und einer kurzen Debatte teilt sich die Konferenz in kleinere thematische Diskussionsrunden. In meiner Runde geht es um Volksmacht und Partizipation. Eine Redeleitung achtet darauf, dass niemand länger als drei Minuten spricht, um so allen eine Beteiligung zu ermöglichen. AktivistInnen aus dem Umfeld der Zapatistas in Mexiko, von den Nazca-Indianern in Kolumbien und aus Basisräten aus Venezuela nennen ihrer Ansicht nach
notwendige Elemente für einen partizipativen Sozialismus: lokale Selbstverwaltung, Arbeiterkontrolle, demokratische Partizipation an Entscheidungen, die Erarbeitung von eigenen Lösungen auf der Grundlage der eigenen Kultur und Erfahrungen für bestehende
Probleme und vieles mehr. Die Diskussion kommt in Gang und die kubanischen Teilnehmer und Teilnehmerinnen schalten sich in die Diskussion ein. Pablo, Mitte 60, eine ansehnliche Karriere im kubanischen Verwaltungsapparat hinter sich, wie ich später erfahre, greift die Frage der Arbeiterkontrolle auf. Er betont, wie wichtig es sei, dies gerade jetzt auf Kuba zu diskutieren und umzusetzen. «Unser grosses Problem ist die Bürokratisierung auf Kuba, wir brauchen mehr Selbstverwaltung». «Eigentlich haben wir ja verschiedene Ebenen, auf denen eine direkte Einflussnahme der Bevölkerung auf ihre Belange stattfinden soll, aber es funktioniert kaum. Anstatt zu garantieren, dass die Meinung der Bevölkerung in die Regierungsinstanzen getragen wird, geschieht – wenn überhaupt etwas geschieht – eher das Gegenteil», so Esther, eine Akademikerin Mitte 50 aus Havanna. Pablo fügt hinzu:
«Staat und Revolution sind eigentlich ein Widerspruch, auch wenn wir in absehbarer Zeit nicht auf den Staat verzichten können angesichts der internationalen Verhältnisse, daher stellt sich die zentrale Frage, wie wir mit diesem Widerspruch umgehen, damit
er nicht die Revolution zunichte macht». Aus marxistischer Sicht eine banale Feststellung, doch für Kuba und jeden anderen parteiorientierten Staatssozialismus eine bis vor kurzem noch unaussprechliche Erkenntnis. Doch auch der kubanische Staatsapparat
ist weit davon entfernt so unbeweglich zu sein, wie von aussen häufig dargestellt.
Einkaufsbummel in der Altstadt
In der Altstadt treffe ich Osvaldo, er hat vor Jahren durch Heirat einen ecuadorianischen Pass erhalten. Er nutzt den Pass nur um hin und wieder im Ausland Textilien zu kaufen und sie dann in Kuba wieder zu verkaufen. «Soll ich nach Ecuador oder nach Panama
fliegen?», fragt er mich. «Wo ist es denn billiger? », frage ich zurück. «Ich glaube Panama, aber da ist es auch gefährlicher», antwortet Osvaldo. Händler wie Osvaldo sind mittlerweile fester Bestandteil des Stadtbildes. Beim Spaziergang durch Havanna sind kleine Geschäfte, Lebensmittelhändler mit Karren und Strassenstände mit Büchern, Wasserhähnen, Technikausrüstung und sogar kopierten Filme, TVSerien und Musik-CD’s. Besonders viele Händler verkaufen importierte Kleidung und Modeaccessoires.
Im touristischen Stadtzentrum Havannas sind noch mehr Läden, Bars und Restaurants zu finden, Kleine Märkte mit Souvenirs, Gemälde, alte Revolutionsdevotionalien und Kunsthandwerk eröffnen auf kleinen Plätzen und in grösseren Gebäuden. Die Jugend
im Stadtbild Havannas sieht nicht anders als in anderen karibischen Metropolen aus. Kleine Piercings im Gesicht, in der Unterlippe, Oberlippe, Augenbraue oder Nase sind bei Teenagern gerade besonders angesagt.
Auf einigen Wänden sind Graffitis und vor allem mit Sprühschablonen erstellte Bilder zu sehen. Eine Gruppe schick gekleideter junger KubanerInnen schaut sich in einem Schaufenster eine Tafel mit etwa 80 verschiedenen Kontaktlinsentypen an, welche die
Augenfarbe und die Pupillenform verändern. Zwei etwa 15jährige HipHopper laufen rappend die Strasse entlang und auf einem zentralen Platz sitzt eine Gruppe von Reggae-Fans mit langen Dreadlock-Frisuren rund um einen Brunnen. Am Wochenende sind
die Touristencafés im Zentrum mindestens zur Hälfte mit Kubanern gefüllt. Ebenso einige der Restaurants. Das war vor einigen Jahren noch nicht der Fall. Zunächst war es für Einheimische lange Verboten, viele der Touristenorte zu frequentieren und später war es zu teuer. Mittlerweile stehen alle Orte allen offen und jede Kubanerin und jeder Kubaner kann auch den konvertiblen Peso annehmen und ausgeben.
Soziale Ungleichheit wächst rasant
«Es hat sich viel geändert, aber für mich ist alles gleich geblieben», stellt Daniela nüchtert fest. Sie arbeitet als Ärztin in einer Klinik, ist 45 Jahre alt und lebt mit ihrem Ehemann und ihrer Mutter. «Meine Arbeit ist die gleiche, mein Schichtplan ist gleich geblieben und mein Gehalt ist unverändert. Ich sehe das ständig neue Geschäfte und Restaurants eröffnen, ich kann mir aber nichts davon leisten». Daniela ist bedingt durch ihre Arbeit immer wieder mal im Ausland, sie reist zu Kongressen und Konferenzen, kürzlich war sie in Frankfurt. So wie vielen anderen KubanerInnen käme es auch ihr niemals in den Sinn, nicht nach Kuba zurückzukehren. Grundsätzlich halte ich Sozialismus für die richtige Gesellschaftsform. Und auch wenn ich finde, dass einiges in Kuba anders laufen müsste, um weiter in Richtung Sozialismus zu gehen, ich will nicht woanders leben. Und ich will auch keinen anderen Beruf ausüben, ich finde es wichtig und richtig Ärztin zu sein», so Daniela. Doch so wie viele andere hochqualifizierte, staatliche Angestellte fragt sich auch Daniela insgeheim, was sie denn falsch gemacht hat, wenn Privilegien nun käuflich sind und Engagement für die Gesellschaft den Zugang eher behindert. Die sozialen Unterschiede wachsen rasant zwischen Stadt und Land, zwischen Selbstständigen und Angestellten, zwischen Berufen mit Kontakt zu Touristen und solchen ohne. So ziehen es manche hoch ausgebildeten AkademikerInnen nun doch lieber vor ein eigenes Geschäft aufzubauen, anstatt in ihrem Beruf zu arbeiten. «Ich weiss nicht, ob diese ganze Öffnung für die Privatwirtschaft gut ist», gibt Malev zu bedenken. Malev, Brite mit asiatischen Eltern, ist erst seit wenigen Wochen in Havanna. Er ist seiner kubanischen Freundin Niuska zurück nach Kuba gefolgt, die er während ihres Studiums in Barcelona kennengelernt hatte. «Einerseits besteht nun auch hier Zugang zu vielen Gütern, die für uns schon lange zum Alltag gehören, andererseits spaltet dies die Gesellschaft. Kurzfristig blieb Kuba vielleicht nichts anderes übrig, aber langfristig . ..», Die Bedenken sind Malev ins Gesicht geschrieben.
Reisefreiheit für Kuba
Am Tag meines Abflugs aus Kuba tritt die neue Reiseregelung in Kraft. Nun können alle Kubaner und Kubanerinnen einen Pass erhalten und Reisen, wenn sie die Konditionen der Länder erfüllen, in die sie Reisen wollen. Ein Antrag bei kubanischen Behörden
muss zwar nach wie vor gestellt werden, doch sollen laut offizieller Angaben bis auf wenige Ausnahmen (wichtige Angehörige von Forschungseinrichtungen und Militär) alle reisen dürfen. Eine Woche später geht der von Venezuela initiierte lateinamerikanische
Gemeinschaftssender «TeleSUR» in Kuba über Antenne auf Sendung – als erster offiziell zu empfangender Auslandssender. Das Kuba sich gerade rasant verändert, steht ausser Frage. Die Räume für Debatten und Praxen um einen anderen, partizipativen und demokratischen Sozialismus, lassen hoffen.