Ein Film über Venezuela fast ohne Hugo: Dario Azzellini und Oliver Ressler beschreiben die Entwicklung des Sozialismus in Venezuela in ihrem Film „Comuna im Aufbau“

Auf Chávez kommt es nicht an

Der Präsident ist allgegenwärtig. Zumindest wenn man sich von Deutschland aus dem heutigen Venezuela nähert. Die bolivarische Republik ohne Hugo Chávez? Nicht vorstellbar. Was richtig ist – und eines der Probleme des Landes.

Ein Film über Venezuela fast ohne Chávez, der zwar immer in den Köpfen, kaum aber im Bild zu sehen ist, das ist aber vorstellbar. Die beiden Regisseure Dario Azzellini, der auch ein Standardwerk über Venezuela geschrieben hat, und Oliver Ressler beweisen es. Comuna im Aufbau ist bereits ihr dritter Film, der das Entstehen des Sozialismus’ in Venezuela porträtiert. Nachdem beide sich mit Basisbewegungen (Venezuela von unten) und von den Arbeitern kontrollierten Unternehmen beschäftigt haben (Fünf Fabriken), nehmen sie nun den mühsamen Aufbau der Selbstregierungen in den Comunas in den Fokus. Der Aufbau ist schwer, was nicht nur an der in Venezuela allgegenwärtigen Bürokratie liegt, sondern auch an den vielen Diskussionen, an denen alle teilhaben können. Sie bilden den Kern des Films.
Azzellini und Ressler ist ein unaufgeregter und dadurch intensiver Blick auf das heutige Venezuela gelungen. Die Kamera ist dabei, wenn die Menschen an der Basis in einem gut organisierten Consejo Comunal, der kleinsten Organisationseinheit vor Ort, in Caracas diskutieren. Sie filmt die Bauern bei der Errichtung einer hauptsächlich landwirtschaftlich geprägten kommunalen Stadt und verfolgt im Umfeld der Hauptstadt Caracas die Diskussion der Basis über den Aufbau eines sozialistischen Unternehmens.

Die Kamera mischt sich nicht ein, der Zuschauer wird zum stummen Beobachter und nimmt so teil an Prozessen, denen nicht immer leicht zu folgen ist. Durch den bewussten Verzicht auf Interview-Segmente oder Kommentare holen Azzellini und Ressler den Betrachter in das Geschehen hinein. Leider aber holen sie ihn nicht ab. Ohne zumindest rudimentäre Kenntnisse der Entwicklung des bolivarischen Venezuelas bleiben Teile unverständlich. Hilfreich ist die Kenntnis des Spanischen, sind die Untertitel oft wenig kontrastreich und werden teilweise gar weiß auf weiß präsentiert.

Comuna im Aufbau bedeutet Arbeit. Anderthalb Stunden Konzentration, auch wenn längere Einstellungen auf interessante Orte oder auch Schwenks über die unendlich anmutenden Schluchten und Hänge der Hauptstadt für Abwechslung sorgen. Die Arbeit des Betrachters aber lohnt sich. Der intensive Einblick in die Auseinandersetzungen auf dem Weg zu einem Sozialismus, den es noch nirgendwo gab, wie einer der Diskutanten einmal feststellt, stellt eine Gesellschaft, stellt Menschen vor, die in Bewegung sind. Die konkrete Probleme angehen, Milchproduktion, Straßenbau, Müllabfuhr, und die eigene Beschränktheit reflektieren.
Der Film zeigt die Mühsal des revolutionären Prozesses. Er zeigt, dass Chávez den Menschen zwar den Weg weist – am Ende ist der Präsident auf einigen Wandbildern und Plakaten zu sehen –, dass aber offenbar immer mehr Menschen verstehen, dass es nicht auf „Papa Chávez“ oder „Papa Gott“ ankommt. Dafür ist die zurückhaltende Erzählweise von Vorteil. Denn sie rückt die einfachen Menschen in den Mittelpunkt. Und nicht Chávez.


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