Der Dokumentarfilm Comuna im Aufbau zeigt eindrücklich, dass die spannendsten Entwicklungen in Venezuela jenseits der Regierung stattfinden
Die andere Realität Venezuelas
Nachbarinnen und Nachbarn organisieren sich, legen die Prioritäten im Viertel fest und verabschieden auf basisdemokratischen Versammlungen Projekte. Das Geld dafür kommt von der Regierung. Wie es verwendet wird, beschließen die BürgerInnen selbst. Während medial meist die verkürzte Sichtweise vom omnipräsenten und prinzipiell allein entscheidenden Hugo Chávez bedient wird, zeigen Dario Azzellini und Oliver Ressler in ihrem neuen Film Comuna im Aufbau eine gänzlich andere Entwicklung auf. Wie in den beiden Vorgängerfilmen Venezuela von unten (2004) und 5 Fabriken (2006) steht hier die Basis des bolivarianischen Prozesses im Fokus.
Thema des Films sind die Kommunalen Räte, die im Rahmen der angestrebten „partizipativen und protagonistischen“ Demokratie in Venezuela seit 2006 neben den bestehenden Institutionen gegründet werden können. Mittlerweile haben sich weit über 30.000 Räte registrieren lassen. Statt BürgermeisterInnen und FunktionärInnen, die häufig nicht einmal die Viertel kennen, über deren Belange sie entscheiden, legen die BewohnerInnen auf Versammlungen selbst ihre Bedürfnisse fest. Mehrere Räte können sich zu einer Kommune, mehrere Kommunen zu einer Kommunalen Stadt zusammenschließen. Der Film spürt diesen verschiedenen Ebenen in der Hauptstadt Caracas und dem ländlich geprägten Flächenstaat Barinas im Südwesten des Landes exemplarisch nach. Es zeigt sich, dass das Tempo der Entwicklungen überall unterschiedlich, die Probleme jedoch ähnliche sind. Im Mittelpunkt steht die Beziehung zum bürokratischen Staat und der Regierung, die gleichsam von Kooperation und Konflikt geprägt ist.
„Auch wenn wir heute ganz sicher die offiziellen Organe brauchen, müssen wir morgen auf Grund unserer Entwicklung unabhängig sein“, beschreibt ein Teilnehmer auf der Versammlung der Kommunalen Stadt in Barinas das ambivalente Verhältnis. Dabei kommen in dem Film nicht einmal jene FunktionärInnen zu Wort, die ihren Einfluss durch die Kommunalen Räte bedroht sehen. Die staatlichen Angestellten, die auf Versammlungen sprechen, sind meist jung und scheinen selbst gegen die Trägheit im Staatsapparat anzukämpfen.
Praktisch nur als äußerer Gegner ist hingegen die Opposition präsent. Dabei stellt sich unwillkürlich die Frage nach den Partizipationsmöglichkeiten derer, die sich offen gegen die Regierung stellen. Auch wenn ein Versammlungsteilnehmer in dem Film betont, dass der Kommunale Rat allen offen stehe, bleiben Zweifel, ob Oppositionelle diese Form der Basisdemokratie überhaupt nutzen würden. Dabei könnte gerade diese konkrete Arbeit in der Nachbarschaft eine Brücke darstellen, um die Polarisierung zumindest ansatzweise zu verringern. Azzellini und Ressler verzichten nicht nur wie gewohnt auf einordnende Off-Stimmen, sondern im Gegensatz zu den Vorgängerfilmen auch weitgehend auf Frontalinterviews. Die ProtagonistInnen werden auf mitunter zähen Versammlungen oder im Gespräch untereinander gezeigt. Der Film mag dadurch einige Längen besitzen, macht aber auch deutlich, wie mühsam sich Basispartizipation in der Praxis darstellt.
Comuna im Aufbau gibt einen sehenswerten Einblick in die Erprobung partizipatorischer Praktiken, in denen die Möglichkeit einer demokratischeren Gesellschaft sichtbar wird. Das Beispiel der Kommunalen Räte zeigt, dass staatliche Funktionäre dabei zwar Unterstützung leisten können. Die Impulse gehen aber letztlich von der Basis aus.
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