FMLN-Vertreter kritisiert die wirtschaftlichen Prämissen der Regierung in El Salvador/Weltbankgelder erreichen nicht die richtige Adresse
Politisches Kalkül statt Wiederaufbau
JW sprach mit Mauricio Chávez, Vertreter der »Kommision für Wiederaufbau und Entwicklung« der nationalen Befreiungsfront FMLN in El Salvador.
Was wird mit dem »Plan für nationalen Wiederaufbau« bezweckt, auf den sich im März 1992 die FMLN und die Regierung El Salvadors mit dem Beratungsgremium der Weltbank geeinigt haben?
Vorrangiges Ziel dieses Plans ist die Befriedigung der Grundbedürfnisse der am meisten von dem Konflikt Betroffenen: Flüchtlinge, Ausgewiesene oder Vertriebene, Umgesiedelte und die ehemaligen Kämpfer beider Seiten. :Die Geberländernder sagten 800 Millionen US-Dollar zu. Der Plan sollte einen Impuls zur sozia1en und wirtschaftlichen Entwicklung der ehemaligen Konfliktgebiete geben.. Dies schloß umfangreiche Investitionen, Partizipationsmöglichkeiten für die Bevölkerung, Landumverteilung und landwirtschaftliche wie technische Fortbildung ein. Der Plan wurde auf fünf Jahre angelegt, mit einer substantiellen Investition im ersten Jahr Wir mußten jedoch nach dem ersten Jahr feststellen, daß das Investitionsniveau sehr gering ist und die Regierungspolitik nicht den Prioritäten des Plans entsprochen hat.
Welche Schwerpunkte setzt die Regierung, welche die FMLN?
Der Regierung geht es um die Steigerung der Produktivität im agro-industriellen Sektor: große Straßen, Elektrifizierungsprojekte, Modernisierung von Häfen und Flughäfen usw. Dagegen legt die FMLN mehr Wert auf soziale und produktive Investitionen, die es der Bevölkerung ermöglichen, über das bloße Subsistenzniveau hinauszukommen; die Volksorganisationen der Basis sollen der Motor der ökonomischen Entwicklung des Landes werden. Vor allem in der Landwirtschaft werden wir kollektive Formen bevorzugen, schon allein aus Gründen der ökonomischen Realisierbarkeit
An welche Organisationen gehen die Gelder?
Die Regierung behauptet, daß NROs (Nicht-Regierungs¬organisationen) den Großteil bekommen, doch die NROs, die über Jahre auch im Krieg präsent waren und Entwicklungspläne für die Gebiete haben, sahen bisher kein Geld.
Wieviele Leute werden Land bekommen und wann?
Im Oktober 1992 wurde mit Regierung und UNO ein Landvergabeverfahren festgelegt, das drei Phasen umfaßt und Mitte 1993 beendet sein sollte. Bisher wurde jedoch nur ein Meiner Teil der staatliche Grundstücke vergeben und die gesamte Landvergabe wird sich vorraussichtlich bis in das Jahr 1994 hinein verzögern. Insgesamt profitieren davon 25000 Zivilisten, 15000 ehemalige Armeeangehörige und ca. 7500 Ex-Guerrilleros. Die Großgrundbesitzer, Privatwirtschaft und Armee üben Druck aus, damit an FMLN-Angehörige kein Privatland verkauft wird oder sie verlangen schwindelerregende Preise. Wir werden im Rahmen der mit den Vereinten Nationen getroffenen Abkommen verhandeln und eine Lösung finden, die auf die speziellen Zahlungsumstände für Ex-Guerrilleros eingeht, und die Preise des freien Marktes berücksichtigt.
In dieser Übergangsphase wird die Regierung kaum ihre neoliberale Wirtschaftspolitik verändern - wie wird die Arbeit der FMLN aussehen?
Wir wollen einerseits regionale Projekte entwerfen und ausführen, andererseits eine ökonomische Struktur des Volkes aufbauen, ‘die, auch wenn sie auf kurze Sicht nicht mit dem privatkapitalistischen Sektor konkurrieren kann, ihren Einfluß auf den Kampf um die politische Macht haben wird (1994 werden allgemeine Wahlen stattfinden - d. A.). Die Fragen der Bevölkerung sind einfach: hat es ARENA (die rechtsextreme Regierungspartei – d.A.) geschafft, die Lebensbedingungen zu verbessern oder nicht? Sie haben es nicht geschafft. Laut neuesten Umfragen bewerten 83% der Bevölkerung die ökonomische Situation des Landes genauso oder schlechter als vor der ARENA-Regierung. Die nächste Frage ist dann: Kann die FMLN eine Alternative anbieten? Der Blick der Leute wird sich auf die Gebiete richten, in denen die FMLN gekämpft hat - daher versucht ARENA alles, um diese Projekte zum Scheitern zu bringen.
Wer arbeitet auf Regierungsseite im »Plan für nationalen Wiederaufbau«?
Die Leitung hat Norma Dowe, die frühere Direktorin von GONARA, einem Aufstandsbekämpfungsprojekt, das versuchte, mit geheimdienstlicher und zivil-militärischer Arbeit in den Konfliktgebieten die soziale Basis der FMLN zu untergraben. Die Zusammenarbeit mit ihnen hat uns deutlich gezeigt, daß sie ARENA und die neoliberalen Wirtschaftskonzepte stärken wollen und klare politische Intentionen haben. Den Plan verstehen sie als soziale Kompensation.
Der nationale Wiederaufbau funktioniert also nicht?
Nein, das wird auch daran deutlich, daß wir in zehn Monaten nur das Wiedereingliederungsprogramm für ehemalige Guerrilleros mit der Regierung diskutiert haben, weiter nichts.