Interview mit Dario Azzellini:
VENEZUELA »Wir haben es mit einer ganz klassischen, imperialistischen Regime-Change-Politik zu tun«
Der Politikwissenschafter DARIO AZZELLINI hat mehrere Bücher über die politischen Entwicklungen in Venezuela veröffentlicht. Schwerpunkt seiner Forschung sind Prozesse sozialer Transformation. Er ist Gründungsmitglied des 2011 gegründeten Internetarchivs workerscontrol.net, das Texte zum Thema ArbeiterInnenselbstverwaltung sammelt. Für die Volksstimme hat RAINER HACKAUF mit Azzellini über die aktuelle Lage in Venezuela gesprochen.
Der Putschversuch gegen den amtierenden Präsidenten Nicolás Maduro scheint ins Stocken geraten. Ein falscher Eindruck?
DARIO AZZELLINI: Der Putschversuch ist völlig gescheitert. Es gab weder die vielleicht erhofften, massenhaften Desertionen aus dem Militär, noch gab es einen erhofften Volksaufstand. Von »der« rechten Opposition zu reden, ist jedoch falsch, da die Opposition selber gespalten ist. Juan Guiado hat nicht einmal die Unterstützung des maßgeblichen Teils des Oppositionslagers, sondern wird auch hier scharf kritisiert. Aus diesen Gründen setzt Guiado nun vollständig auf internationale Unterstützung. Militärisch setzt er auf die Provokation durch die USA, politisch setzt er auf die EU. Die EU macht sich zum willfährigen Helfer dieses Regierungssturzes. Und das gegen das geltende Völkerrecht, gegen fast alle internationalen Institutionen und gegen geltende diplomatische Praxis.
Wie sieht die Lage in Venezuela aktuell aus?
DARIO AZZELLINI: Das internationale Engagement durch USA und EU hat dazu geführt, dass es zu einem Solidaritätseffekt in Venezuela gekommen ist. Das heißt, viele, die kritisch gegenüber Maduro eingestellt sind, haben sich in den letzten Wochen dafür ausgesprochen, die Souveränität der aktuellen Regierung anzuerkennen. Eine Einmischung von außen lehnen sie klar ab. Die Situation im Land selbst kann als angespannte Ruhe bezeichnet werden. Die meisten Menschen in Venezuela gehen ihren Alltagsgeschäften nach. Die Versorgungssituation schwankt immer wieder. Das hat stark mit der Blockade situation zu tun, aber auch den Beschlagnahmungen von Kapital, womit es für die Regierung schwierig ist, Medikamente und Nahrungsmittel zu beschaffen.
Die USA machen aus ihren Interessen kaum Hehl. So sprach etwa der US-Sicherheitsberater John Bolton kürzlich in einem Interview von der anstrebenswerten »Übernahme des venezolanischen Öls durch US-Firmen«. Warum engagiert sich die EU aber in dem Konflikt so stark?
DARIO AZZELLINI: Das ist eine gute Frage. Bei der USA ist es klar. Diese haben den Nahen- und Mittleren Osten als Einflussgebiet faktisch aufgegeben, dafür wollen sie Lateinamerika und das Karibik-Becken wieder unter ihre Kontrolle bringen. All das, um ihre strategische Position zu behalten.
Was sich die EU erhofft, ist mir nicht ganz klar. Wobei man hier differenzieren muss. Die EU unterstützt die gemäßigten Positionen von Uruguay und Mexiko bei den internationalen Verhandlungen. Vorgeprescht sind die alten imperialen Kernstaaten Spanien, Frankreich, Großbritannien und Deutschland. Dabei zeigen die Erfahrungen aus dem Irak oder vergleichbaren Kriegssituationen doch eigentlich, es wird nichts abfallen. Die USA werden, so sie sich durchsetzen, keinen einzigen Krümel vom Kuchen an EU-Staaten abgeben.
Was aber noch viel schlimmer ist, wir bewegen uns weiter auf einen Dritten Weltkrieg zu. Das klingt jetzt sehr drastisch. Aber wir müssen uns vor Augen halten, dass wir aktuell vor einer völligen Neuordnung der Welt stehen. China und Russland, die sehr große Investitionen in Venezuela gemacht haben, werden zudem nicht einfach hinnehmen, wenn die USA dort intervenieren. Venezuela ist schließlich eines der rohstoffreichsten Länder der Welt. China und Russland werden als Ausgleich in anderen Ländern der Welt intervenieren. Wir bewegen uns also auf einen Multifronten-Weltkrieg zu.
Von internationalen UnterstützerInnen der Maduro-Regierung wird oft der Vergleich zu den Konflikten in Syrien und der Ukraine gezogen. Sind die Situationen vergleichbar?
DARIO AZZELLINI: Das kommt auf die Ebene des Vergleichs an. Wenn es darum geht, dass letztendlich geostrategische Interessen im Mittelpunkt stehen und nicht humanitäre oder demokratische Werte, dann kann man die Situationen vergleichen. Auf allen anderen Ebenen aber nicht. Es gibt in Venezuela – bis auf die paar von Kolumbien oder den USA aus finanzierten, paramilitärischen Grüppchen – keine bewaffneten Einheiten. Es gibt keinen bewaffneten Volksaufstand gegen die Regierung, nur kleinere terroristische Akte. Es gibt auch keinen Krieg der Regierung gegen die eigene Bevölkerung, wie in Syrien. Wir haben es in Venezuela mit einer ganz klassischen, imperialistischen US-Regime-Change-Politik gegen eine Regierung zu tun, die aber eigentlich internationale Legitimität hat.
In Venezuela gibt es auch eine linke Opposition, die auch sehr kritisch gegenüber der Maduro-Regierung ist. Wie sind deren Positionen?
DARIO AZZELLINI: Hier gilt es zu differenzieren. Der Großteil der Basisorganisationen, der »Comunas«, der lokalen Selbstverwaltungsstrukturen stecken ja tatsächlich in Konflikten mit der Regierung. Vor allem weil in den letzten Jahren die verschiedenen Formen der Partizipation immer mehr eingeschränkt wurden. Zugleich wenden sich diese Organisationen klar gegen Interventionen aus dem Ausland. Einfach weil sie davon ausgehen, dass sie unter anderen Regierungen keine besseren Chancen haben, ihr Kämpfe voranzutreiben.
Daneben gibt es ein paar Intellektuelle, die gerne im Ausland herumgereicht werden. Deren Aufrufe und Petitionen werden zwar im Ausland in Teilen der Linken diskutiert, sind aber in Venezuela faktisch unbedeutend. Auch die Forderung nach umfassenden Wahlen aller Institutionen aus dieser Ecke ist absurd. In einer Situation der massiven Blockaden und Drohungen von außen an freie Wahlen zu glauben, hat mit der Realität wenig zu tun.
Dann gibt es noch einen weiteren Flügel der linken Opposition. Dieser besteht aus ehemaligen Chavistas und ist sehr kritisch gegenüber der Maduro-Regierung. Er setzt auf eine Art Volksabstimmung zur Bestätigung aller existierenden Institutionen und in Folge auf eine Regierung der nationalen Einheit. So soll einer Intervention von außen der Boden entzogen werden. Dieser Ansatz geht davon aus, dass Linke und Rechte gleiche Interessen haben. Das halte ich für problematisch. Zudem sind solche linken Etappen-Experimente im 20. Jahrhundert immer wieder gescheitert.
Stichwort »gelebter Internationalismus«, wie sollen sich Linke verhalten?
DARIO AZZELLINI: Es braucht eine klare Haltung von Linken im Ausland. Erstens ist der Konflikt eine interne Angelegenheit von Venezuela – jede Einmischung von außen muss unterbleiben. Das umfasst auch die Forderung von Linken in Europa nach Neuwahlen in Venezuela. Und zweitens, die wichtigste Forderung muss sich an die eigenen Regierungen richten. Nämlich die Blockadepolitik sowie die völkerrechtswidrige Anerkennung von Guidano sofort zu beenden.
Wie sähe eine interne Lösung des Konflikts aus?
DARIO AZZELLINI: Ab 2012 wurden in Venezuela massiv Betriebe besetzt mit der Forderung nach ArbeiterInnenkontrolle. Auch aktuell gibt es Kämpfe von Basisorganisationen, den »Comunas«, die staatliche Ländereien besetzen, um die Produktion voranzutreiben. Diese Kämpfe gegen die Regierung müssten ausgeweitet und vertieft werden, um eine Linke zu stärken. Eine Intervention von außen wird das Gegenteil bringen.
FOTO CC 2.0 SOCIALIST APPEAL / FLICKR / Hände weg von Venezuela (28 Jänner 2019, London) / Volksstimme.at
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