Sechs Jahre nach dem Massaker von Acteál agieren Paramilitärs weiter

Blutige Weihnachten in Chiapas

Sechs Jahre nach dem Massaker an 45 Tzotzil-IndianerInnen durch regierungsnahe Paramilitärs in Acteál im Bundesstaat Chiapas bleiben die Hintermänner des Blutbades weitgehend ungestraft. Auch unter der Regierung von Vicente Fox kommt die Aufklärung nur schleppend voran. Bis heute sind Paramilitärs in Chiapas und anderen mexikanischen Bundesstaaten aktiv.

In dem kleinen chiapanekischen Dorf Acteál bot sich ein Bild des Grauens, nachdem Paramilitärs es am 22. Dezember 1997 gestürmt und auf grausame Weise 45 Frauen, Kinder und Männer ermordet hatten, alle Mitglieder einer katholischen Gruppierung, die sich 1993 aus Protest gegen behördliche Willkür gründete: „Sociedad Civil Las Abejas“.

Die bewaffneten Anhänger der damals noch regierenden PRI kamen gegen elf Uhr morgens. Gerade wurde in einer kleinen Holzkapelle Kleidung vom Roten Kreuz verteilt, während einige der sehr religiösen ‘Abejas’- Mitglieder für den Frieden beteten. Auf die Kapelle, in der und um die sich rund 350 Menschen drängten, ging ein Kugelhagel von zwei Seiten nieder.

Auch Tage später waren die Spuren noch gut zu erkennen: Berge von Kleidung in der panikartig verlassenen Kapelle, Einschusslöcher in den Holzplanken und Baumstämmen. Nur die Blutspuren an den Bäumen hatten Militär und Polizei, die den Ort drei Tage lang besetzt und abgeriegelt hielten, zum Teil mit Machetenhieben abgeschält. Doch in einer Mulde am Hang, in der einige vor den Schüssen Zuflucht gesucht hatten, lagen noch blutgetränkte Kleidung und Tüten mit hastig zusammengerafften Sachen. Hier, so berichtete ein Mann, habe er in der Nacht vom 22. auf den 23. September gut dreißig Tote gefunden, die kreuz und quer übereinander lagen. „Ich stand oben an der Kante vor diesem schrecklichen Bild und habe heruntergerufen, ob noch jemand lebt. Eine Frau hatte sich auf ein kleines Mädchen geworfen und es so vor den Kugeln geschützt, und zwei verletzte Frauen habe ich noch aus dem Leichenberg gezogen. Alle anderen waren tot.“

Die meisten Opfer hatten Einschusslöcher im Genick und im Rücken. Sie wurden aus etwa vier Meter Abstand von oben in der Mulde erschossen, in der sie Schutz gesucht hatten. Direkt an der Kante fand man die Patronenhülsen. Neun der Opfer waren Männer, alle anderen Frauen und Kinder, einschließlich eines Neugeborenen. Nachdem die Angreifer etwa eine Stunde lang auf ihre Opfer eingeschossen hatten, verbrachten sie weitere vier Stunden damit, sie mit Macheten zu verstümmeln. Hände und Füße wurden oftmals abgehackt, schwangeren Frauen die Bäuche aufgeschlitzt und vielen der Kinder die Köpfe aufgeschlagen.
Die Polizei griff nicht ein

Die Polizei kam nach eigenen Aussagen erst vier Stunden nach dem Blutbad ins Dorf, zu dem Zeitpunkt also, als die Zeugen aus dem Nachbardorf Polhó vom Ende der Detonationen berichten. Dabei stand sie nachweislich mit Fahrzeugen und Einsatzkräften nur 200 Meter von der kleinen Kirche entfernt auf einer Anhöhe.

Da die Angreifer aus den Nachbargemeinden rekrutiert wurden, konnte die zivile Struktur der Basisgemeinden der EZLN schon zwei Tage später eine Namensliste mit 140 Männern vorlegen, die an dem Massaker beteiligt gewesen sein sollen.

Trotzdem wurden in den vergangenen Jahren nur 88 Zivilisten und 14 Ex-Amtsträger, meist Polizisten, verhaftet. 24 Zivilisten, darunter auch der ehemalige PRI-Bürgermeister der formalen Bezirkshauptstadt Chenalhó, wurden zu 36 Jahren Haft verurteilt. Einige andere wurden freigesprochen, weitere warten noch auf ihr Urteil. Doch abgesehen von den Haftbefehlen gegen zwei flüchtige Direktoren zweier Polizeieinheiten des Bundesstaates Chiapas sind alle anderen Beschuldigten kleine lokale Funktionäre.

Die wahren Hintermänner des Massakers, die in den höchsten Sphären des Militärs, der mexikanischen Zentralregierung und der Regionalregierung in Chiapas zu suchen sind, bleiben unberührt. Und den Opfern und ihren Hinterbliebenen wurde bisher in keinem der Verfahren eine Entschädigung zugestanden.

Gemäß des offiziellen Diskurses handelte es sich beim Massaker in Acteál um einen „Konflikt zwischen unterschiedlichen Gemeinden und Familien“. Die Nationale Presbyterianische Kirche Mexikos, die die Verteidigung der Angeklagten übernommen hat, spricht sogar von einem „klaren Beispiel religiöser Intoleranz“, da die Angreifer größtenteils Protestanten sind. Kein Versuch wird unterlassen, um die Öffentlichkeit weiter in die Irre zu führen und jedes politische Motiv des Massakers klein zu reden. Durch die Entscheidung der Gerichte, alle Anklagen wegen Bildung einer bewaffneten und kriminellen Vereinigung fallen zu lassen, wurden die paramilitärischen Verbände faktisch juristisch als nicht-existent festgeschrieben.
Aufstandsbekämpfungsstrategie des Militärs

Dabei ist der Aufbau paramilitärischer Gruppen seit 1994 Bestandteil einer klar definierten Strategie der mexikanischen Armee zur Aufstandsbekämpfung in der so genannten „Kampagne Chiapas 94“. Diese wurde unter der Federführung von General José Rubén Rivas Pena ausgearbeitet, der sein Handwerk an der School of the Americas (SOA) in Fort Benning im US-Bundesstaat Georgia lernte. Ziel war und ist die „Zerstörung der politisch-militärischen Struktur der EZLN“. Neben militärischen, psychologischen und zivilen Operationen ist unter Kapitel h) explizit der Aufbau paramilitärischer Gruppen vorgesehen. Militärs übernahmen danach die Beratung, Ausbildung und Unterstützung bereits bestehender „Selbstverteidigungsgruppen“ und anderer paramilitärischer Verbände. Dort wo keine antizapatistischen Kräfte vorhanden waren, kam der Armee die Aufgabe zu sie zu erschaffen.

Das Ziel ist einerseits, die Guerilla von ihrer Basis zu trennen und OppositionsaktivistInnen einzuschüchtern. Andererseits soll die Armee im Lichte der Öffentlichkeit als neutrale Instanz präsentiert werden, die beide „Extreme“, also Paramilitärs und Guerilla, bekämpft. Das Militär übernimmt die Rolle, heimlich gewisse Sektoren der Zivilbevölkerung zu organisieren: Viehzüchter, Unternehmer und andere, die ein ökonomisches Interesse an der Aufrechterhaltung der Machtverhältnisse haben. Diese sind Teil der Unterstützungsstrukturen für die verdeckten Armeeoperationen.
Paramilitärs in Guerrero und Oaxaca

Nach dem Massaker von Acteál kamen zahlreiche internationale Menschenrechtsdelegationen nach Chiapas. Der damaligen PRI-Regierung gefiel das ebenso wenig wie der darauf folgenden Regierung von Vicente Fox, die beide den BeobachterInnen viele Steine in den Weg legten und auch etliche aus Mexiko auswiesen. Massaker wie das von Acteál blieben seitdem aus. Der paramilitärische Terror durch einzelne Überfälle und Hinterhalte, Vertreibungen und Raub, geht jedoch weiter, und die über zehn bekannten Paramilitärgruppen agieren ungestört.

Paramilitärische Aktivitäten bleiben aber nicht auf Chiapas beschränkt. Ähnlich gehen auch in Guerrero, Oaxaca, Michoacan, Veracruz und anderen Bundesstaaten bewaffnete Gruppen, vermischt mit Militär und Polizei, gegen die Bevölkerung vor. In Guerrero, wo bereits Ende der 60er Jahre eine lokale Guerilla entstanden war, sind in den letzten Jahren mehrere hundert Menschen von Militärs und Paramilitärs umgebracht worden. Besonders betroffen ist die Pazifikküste von Guerrero, nördlich des eher als Urlaubsziel bekannten Acapulco. Ähnlich ist die Situation auch in Oaxaca, wo in Konfliktregionen Gruppen von bewaffneten Zivilisten mit zivil gekleideten Polizisten unterwegs sind, um die Bevölkerung einzuschüchtern.

Daran hat sich auch unter der im Jahr 2000 gewählten Regierung des international als Demokraten gefeierten Vicente Fox nichts geändert. Menschenrechtsgruppen sehen die Verantwortung für die paramilitärischen Gruppen nach wie vor ganz klar bei der Zentralregierung. Edgar Cortez vom Menschenrechtszentrum Miguel Augustín Pro wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass im Jahr 2002 sogar „das Büro für Sonderermittlungen zu illegalen bewaffneten Gruppen, das bei der Generalstaatsanwaltschaft der Republik (PGR) angesiedelt war, geschlossen wurde, ohne dass ein Resultat der Ermittlungen öffentlich gemacht worden sei.“


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