Abgeordnete lehnen Neuwahlen ab
Boliviens Präsident auf Schlingerkurs
Boliviens Präsident Carlos Mesa ist mit einem Versuch zur Überwindung der schweren innenpolitischen Krise gescheitert. Der Kongress in La Paz lehnte am Donnerstag den Antrag des Präsidenten auf vorgezogene Neuwahlen ab.
Carlos Mesa ist angeschlagen. Mit vorgezogenen Wahlen wollte der bolivianische Präsident einen Neustart unternehmen und einen Ausweg im Konflikt um die Rohstoffreserven des Landes finden. Doch der bolivianische Kongress lehnte diesen Vorschlag am Donnerstag ab. 119 von 157 anwesenden Abgeordneten - mehr als zwei Drittel – votierten dagegen. Die Initiative des Präsidenten wurde von den meisten Abgeordneten als »nicht gesetzeskonform« angesehen, da Neuwahlen in Bolivien erst nach Ablauf von drei Jahren der Amtszeit eines Präsidenten möglich sind. Mesa trat erst vor etwa einem Jahr, als vormaliger Vizepräsident, die Nachfolge seines aus dem Amt gejagten Vorgängers Gonzalo Sánchez de Lozada an. Er forderte vom Parlament, einen Verfassungsartikel derart zu interpretieren, dass Neuwahlen möglich wären. Der Kongress wollte dem allerdings nicht folgen.
Hatte Mesa zuvor noch angekündigt er werde »endgültig zurücktreten«, sollte sein Antrag abgelehnt werden, erklärte er nach der Abstimmung, er werde »dem Land nicht die Schulter zeigen« und weiter im Amt bleiben. Mesa hatte die Neuwahlen gefordert und mit seinem Rücktritt gedroht, als sich am Dienstagabend abzeichnete, dass der Kongress nicht seinem Vorschlag eines Gesetzes zu fossilen Brennstoffen akzeptieren würde, gemäß dem die transnationalen Öl- und Gasunternehmen 18 Prozent Abgaben auf die Produktion und 32 Prozent Steuern auf ihre Gewinne zahlen müssen.
Das Parlament legte hingegen in der Nacht zum Mittwoch fest, dass die 32 Prozent Steuern auf die Produktion zu zahlen sind, ohne das andere Ausgaben davon abgesetzt werden können. Das kommt faktisch einer Abgabe gleich. Die Verabschiedung des Gesetzes wurde als Sieg für die sozialen Bewegungen und die große Oppositionspartei MAS (Bewegung zum Sozialismus) bezeichnet. Ihr Vorsitzender bezeichnete den Parlamentsbeschluss als einen Vier-Fünftel-Sieg, da sie eigentlich 50 Prozent Abgaben gefordert hatten. Nun muss das Gesetz noch vom Senat bestätigt werden, bevor der Präsident es ratifizieren müsste.
Die MAS, linke Gewerkschaften und soziale Bewegungen fordern allerdings weiterhin 50 Prozent Abgaben und haben die Straßenblockaden, die das Land tagelang nahezu lahm legten, nur vorrübergehend aufgehoben. Sollte das Gesetz nicht gemäß ihren Forderungen geändert werden, wollen sie die Proteste wieder aufnehmen und radikalisieren. Mit dem Verbleib Mesas im Amt ist die politische Krise Boliviens bei weitem nicht gelöst. Der Präsident kann auf keine Mehrheit im Parlament zählen und hat zudem durch den Schlingerkurs der vergangenen zwei Wochen die Sympathien von Mittelschichten und Unternehmern verspielt. Die Unternehmerverbände forderten in den vergangenen zwei Tagen offen seinen Rücktritt.
Viele Medien spekulierten über die Möglichkeit der Übertragung der Macht an einen Militärjunta. Die Vermutungen erhielten zusätzliche Nahrung, nachdem Präsident Mesa am Donnerstag mehrere Gespräche mit dem Generalstab der Armee und der Führung der katholischen Kirche führte, deren Inhalt geheim blieb. In den nächsten Monaten stehen zudem zahlreiche umstrittene Entscheidungen an, darunter die Ratifizierung eines Freihandelsvertrags mit den USA und ein Gesetz, das gemäß den Forderungen der USA-Regierung US-amerikanische Militärs und Zivilisten Immunität im Land verleihen soll. Für Zündstoff ist also weiter gesorgt.