Für Venezuelas Opposition ist das Referendum gegen Chávez nur ein Baustein in der Strategie

Das Drehbuch der Destabilisierung

Die Entscheidung ist gefallen. Inmitten der seit Tagen aufgeheizten Stimmung in Venezuela hat der Nationale Wahlrat die Unterschriftensammlung der Opposition gegen Präsident Hugo Chávez vorerst abgelehnt. In der Hauptstadt Caracas entzündeten sich an der Entscheidung umgehend neue Unruhen, bei denen ein Mensch erschossen wurde.

Die Zuschauer der vier großen venezolanischen Privatfernsehsender bekommen dieser Tage den Eindruck vermittelt, es fände ein Volksaufstand gegen die Regierung Chávez statt. Allen voran befindet sich »Globovision« in Dauerliveschaltung. Der lokale Nachrichtenlieferant für CNN erweckt den Eindruck von Straßenkämpfen im gesamten Land. Selbst Bilder von zwei brennenden Müllsäcken oder schlicht herum liegenden Steinen werden mit dramatischer Musik unterlegt, während aggressive Oppositionspolitiker von einer vermeintlichen Diktatur reden und zu Gewaltaktionen aufrufen. Reporter des Senders stehen an einer völlig ruhigen Auffahrt zur Stadtautobahn und erklären im auffordernden Ton: »Hier gehen die Proteste gegen 12 Uhr los, wir bleiben jetzt hier bis die Blockaden wieder losgehen.«

Auf »Venevision«, einem weiteren Sprachrohr des putschistischen Sektors der Opposition, werden am unteren Bildschirmrand laufend Botschaften vermeintlicher TV-Zuschauer eingeblendet: »Auf die Straße! Gegen die Diktatur. Blockieren mit jedem Mittel. Schande! Niemand darf zu Hause bleiben!«. Dazu erklärt eine hysterische Anruferin: »Die Menschen müssen aufwachen, das Regime lässt im ganzen Land auf der Straße Menschen füsilieren.«

Medien mobilisieren gegen Hugo Chávez

Die Realität auf der Straße ist eine andere. Regierungskräfte haben niemanden erschossen, während zahlreiche Oppositionsvertreter bei Ausschreitungen verhaftet wurden und Carlos Melo, Vorsitzender von der »Roten Fahne« (BR), der Nationalgarde mit zwei Sturmgewehren in seinem Fahrzeug in die Hände fiel. BR ist eine ehemals maoistische Guerilla, die sich in den bewaffneten Stoßtrupp der Opposition verwandelt hat und Teil der »demokratischen Opposition« ist. Doch so wie beim Putsch am 11.April 2002 spielen die Massenmedien unter Kontrolle reaktionärer Unternehmer wieder eine zentrale Rolle in der Destabilisierungsstrategie der Opposition.

Doch die virtuelle Realität der Opposition, die im wesentlichen aus den Kreisen besteht, die das Land und die Bevölkerung zuvor 40 Jahre lang regiert und ausgeplündert haben, findet ihren Widerhall in den internationalen Medien und Presseagenturen. So wurde zwar der Dokumentarfilm »Chávez, ein Staatsstreich von innen« auf Arte und im ZDF gezeigt, er gewann unzählige Preise, doch Konsequenzen aus der Darstellung des von den Medien virtuell inszenierten Putsches hat trotzdem kaum ein Journalist gezogen. Die gleichen Politiker, die am Putsch beteiligt waren, werden heute wieder widerspruchslos als »demokratische Opposition« bezeichnet und die gleichen Sender, die den Putsch mitorganisierten und medial begleiteten, stellen wieder die Hauptinformationsquelle der internationalen Presse dar. Im Zusammenspiel mit den verschiedenen Sektoren der Opposition, die außer dem Sturz Chávez keinerlei politisches Programm hat, richten sich auch dieser Tage die Medien und die US-Regierung nach einem Drehbuch der Destabilisierung. So drohen oppositionelle Politiker über private TV-Stationen mit »Zuständen wie in Haiti«.

Nach dem Putschversuch vom April 2002 und der Sabotage der Erdölproduktion und Aussperrung der Beschäftigten durch große nationale und transnationale Unternehmen im Dezember 2002/Januar 2003, handelt es sich im Augenblick erneut um einen strategischen Kulminationspunkt der Aktivitäten der Opposition. Angesichts des Scheiterns der beiden vorherigen Ansätze, Chávez aus dem Amt zu jagen, ließ sich die Opposition im Mai 2003 darauf ein, den verfassungsgemäß vorgesehenen Weg eines Referendums gegen Chávez zu gehen.

Um ein Referendum einzuberufen, müssen 20 Prozent der Wahlberechtigten, etwa 2,45 Millionen Personen, unterschreiben. Das genaue Vorgehen legte allerdings der Nationale Wahlrat (CNE) fest, der wiederum neu ernannt werden musste. Während die Opposition einerseits lauthals das Referendum forderte, behinderte sie zugleich die Ernennung des neuen CNE in der Nationalversammlung. Als der Oberste Gerichtshof, der mehrheitlich oppositionell besetzt ist, angesichts der Blockadesituation die Ernennung übernahm, klatschte die Opposition Beifall.

Die Freude hielt nicht lange an. Als deutlich wurde, dass der CNE dennoch keine politischen Entscheidungen zugunsten der Opposition treffen würde, begann diese eine Verleumdungskampagne gegen den CNE. Anfang Dezember wurden schließlich die Unterschriften gesammelt. Mit der Abgabe derselben beim CNE intensivierte die Opposition ihre Kampagne gegen den Wahlrat. Letztlich behauptete die Opposition, 3,4 Millionen Unterschriften abgegeben zu haben. Es häuften sich Anzeigen und Berichte, die auf ein massives Fälschungsmanöver hindeuteten.

Und während die Regierung von Anfang an erklärte, jedwede Entscheidung des CNE anzuerkennen, blieb eine solche Erklärung seitens der Opposition bis heute aus. Vertreter der Opposition erklärten, sie würden nur eine Entscheidung zu ihren Gunsten anerkennen. Die Entscheidung des CNE sollte ursprünglich schon Anfang oder spätestens Mitte Februar fallen, doch die Prüfung der Unterschriften verzögerte sich und so fiel die Entscheidung erst am 2.März.

Die Strategie der Opposition ist nun, diese Entscheidung als Willkür einer Diktatur zu präsentieren. Auf den Straßen soll ein Bild weitgehender Instabilität und Unregierbarkeit präsentiert werden, um so den internationalen Druck auf Venezuela zu erhöhen. Die führenden Sektoren der Opposition hoffen dadurch, einen erneuten Militärputsch oder eine US-Intervention hervorzurufen. Dafür demonstrierten sie auch vor der USA-Botschaft in Caracas mit Schildern wie »1. Hussein; 2. Aristide; 3. Chávez«. Beides scheint allerdings im Augenblick unwahrscheinlich. Vor allem die Option der US-Militärintervention.

Die USA mischen munter mit

Bei aller Polemik und Propaganda dürfte sich auch Washington über immense Unterstützung der tief greifenden politischen und sozialen Transformationen unter Chávez bewusst sein. Doch das die US-Regierung eine bedeutende Rolle im Drehbuch der Destabilisierung Venezuelas einnimmt, ist nicht zu übersehen. Begleitet waren die letzten Monate von einem sich stets wiederholenden Muster öffentlicher Erklärungen aus USA-Regierungskreisen. Zunächst erscheint ein Artikel in der USA-Presse, in dem ein USA-Regierungsmitarbeiter erklärt, Venezuela unterstütze den internationalen Terrorismus von Al Qaida bis zur kolumbianischen FARC. Es folgt eine Beschwerde seitens der venezolanischen Regierung und im Anschluss eine Richtigstellung eines höheren USA-Regierungsbeamten, es gäbe dafür keine Hinweise.

Jenseits der Verwicklung in den Putsch vom April 2002 finanziert die USA-Regierung über die Stiftung National Endowment for Democracy (NED) verschiedene Oppositionsorganisationen, darunter auch das Privatunternehmen Sumate. Sumate setzte im Zusammenspiel mit Unternehmern Arbeiter und Angestellte unter Druck, um gegen Chávez zu unterschreiben. Weitere Finanziers des Drehbuchs sind in der EU zu finden, so zum Beispiel in der spanischen Regierung oder in der deutschen christdemokratischen Konrad-Adenauer-Stiftung, die die neu gegründete Partei »»Zuerst Gerechtigkeit« (PJ) finanziell unterstützt. PJ war am Putsch beteiligt, PJ-Vertreter »verhafteten« Minister der Chávez-Regierung.

Zugleich agieren kleine oppositionelle Gruppen in verschiedenen Teilen der Hauptstadt, vor allem in den wohlhabenden Bezirken El Hatillo, Barutas und Chacao, mit massiver Gewalt und organisieren Straßenblockaden. Die Nationalgarde und die Militärpolizei wird mit Steinen, Molotowcocktails und Schusswaffen angegriffen. Am Dienstagmorgen tauchten auch drei Leichen von Bewohnern aus Armenvierteln auf, die Folterspuren aufwiesen. Vor Ort wird die Polizei der Hauptstadt der Morde verdächtigt. Zugleich tritt die »demokratische Opposition« vor die Presse und erklärt die Präsenz der Nationalgarde und Militärpolizei in den Straßen sei ein Beweis dafür, dass es sich in Venezuela um eine Militärdiktatur handele. Ein runder Film nach einem Drehbuch der Destabilisierung, der mit Erfolg der internationalen Presse verkauft wird.
(ND 04.03.04)


Links zu diesem Artikel: