Vorgehen der Opposition in Venezuela zielt auf Bürgerkrieg ab
Drehbuch der Destabilisierung
Die Entscheidung ist gefallen. Der Nationale Wahlrat hat die Unterschriftensammlung der Opposition gegen Präsident Hugo Chávez vorerst abgelehnt. In der Hauptstadt Caracas entzündeten sich an der Entscheidung umgehend neue Unruhen, bei denen neun Menschen erschossen wurden. Unterdessen verkünden OppositionsführerInnen unverdrossen, der "Kampf zur Verteidigung der Unterschriften" werde mit allen Mitteln weiter geführt.
Die ZuschauerInnen der vier großen venezolanischen Privatfernsehsender bekommen dieser Tage den Eindruck vermittelt, es fände ein Volksaufstand gegen die Regierung Chávez statt. Allen voran befindet sich Globovision in Dauerliveschaltung. Der lokale Partner für das US-amerikanische Mediennetzwerk CNN erweckt den Eindruck von Straßenkämpfen im gesamten Land. Selbst Bilder von zwei brennenden Müllsäcken oder schlicht herumliegenden Steinen werden mit dramatischer Musik unterlegt, während aggressive OppositionspolitikerInnen von "Diktatur" reden und zu Gewaltaktionen aufrufen. Reporter des Senders stehen an einer völlig ruhigen Auffahrt zur Stadtautobahn und erklären im auffordernden Ton: "Hier gehen die Proteste gegen zwölf Uhr los. Wir bleiben jetzt hier, bis die Blockaden losgehen." Auf Venevision, einem weiteren Sprachrohr des putschistischen Sektors der Opposition, werden am unteren Bildschirmrand fortwährend Botschaften vermeintlicher TV-ZuschauerInnen eingeblendet: "Auf die Straße! Gegen die Diktatur! Blockieren mit jedem Mittel! Schande! Niemand darf zu Hause bleiben!" Dazu erklärt eine hysterische Anruferin: "Die Menschen müssen aufwachen, das Regime lässt im ganzen Land auf offener Straße Menschen füsilieren."
Die Realität auf den Straßen ist eine andere. Regierungskräfte haben niemanden erschossen. Zahlreiche OppositionsvertreterInnen wurden hingegen bei Ausschreitungen Anfang März verhaftet. Als Carlos Melo, Vorsitzender von Bandera Roja (Rote Fahne, BR) von der Nationalgarde kontrolliert wurde, hatte er zwei Sturmgewehre in seinem Fahrzeug. BR ist eine ehemals maoistische Guerilla, die sich in den bewaffneten Stoßtrupp der Opposition verwandelt hat und Teil der "demokratischen Opposition" ist.
Hier geblieben bis Blockadebeginn!
Wie beim Putsch am 11. April 2002 spielen die Massenmedien unter Kontrolle reaktionärer UnternehmerInnen wieder eine zentrale Rolle in der Destabilisierungsstrategie der Opposition. Die virtuelle Realität der Rechten, die im wesentlichen aus den Kreisen besteht, die das Land zuvor 40 Jahre lang ausgeplündert haben, findet starken Widerhall in den internationalen Medien und Presseagenturen. Hier redet niemand davon, dass es die alte Elite war, die die Mehrheit der Bevölkerung jahrzehntelang in Armut gehalten und mit Repression überzogen hat. In Deutschland wurde zwar der preisgekrönte Dokumentarfilm "Chávez, ein Staatsstreich von innen" auf Arte und im ZDF gezeigt, doch Konsequenzen aus der Darstellung des von den Medien inszenierten Putsches hat kaum einE JournalistIn gezogen. Die gleichen PolitikerInnen, die am Putsch beteiligt waren, werden heute wieder widerspruchslos als "demokratische Opposition" bezeichnet. Die gleichen Sender, die den Putsch einst mit organisierten und medial begleiteten, stellen auch heute wieder die Hauptinformationsquelle der internationalen Presse dar.
Im Zusammenspiel mit den verschiedenen Sektoren der Opposition, die außer dem Sturz Chávez' keinerlei politisches Programm hat, richten sich auch dieser Tage die Medien und die US-Regierung regelrecht nach einem Drehbuch der Destabilisierung. So drohen oppositionelle PolitikerInnen über die privaten TV-Stationen mit "Zuständen wie in Haiti". William Lara, Abgeordneter der Chávez-Partei in der Nationalversammlung, erhob in diesem Zusammenhang schwere Vorwürfe gegen die US-Regierung. Das Vorgehen der Opposition, so Lara, entspreche en détail den Richtlinien eines CIA-Handbuchs für Counterinsurgency.
Nach dem Putschversuch vom April 2002, der Sabotage der Erdölproduktion und der Aussperrung der Beschäftigten durch große nationale und transnationale Unternehmen im Dezember 2002/Januar 2003 steuert die Opposition in Venezuela abermals auf einen strategischen Höhepunkt ihrer Aktivitäten zu. Angesichts des Scheiterns der beiden vorherigen Ansätze, Präsident Hugo Chávez aus dem Amt zu treiben, ließ sich die Opposition im Mai 2003 darauf ein, den verfassungsgemäß vorgesehenen Weg eines Referendums gegen Chávez zu gehen. Demnach kann nach der Hälfte der Amtsperiode über den Verbleib des Präsidenten auf dem Posten abgestimmt werden. Um ein Volksbegehren einzuberufen, müssen 20 Prozent der Wahlberechtigten, etwa 2,45 Millionen Personen, dafür unterschreiben. Das genaue Vorgehen legte allerdings der Nationale Wahlrat (CNE) fest, der wiederum neu ernannt werden musste. Während die Opposition einerseits lauthals das Referendum forderte, behinderte sie zugleich die Ernennung des neuen CNE in der Nationalversammlung. Als der Oberste Gerichtshof, der mehrheitlich oppositionell besetzt ist, angesichts der Blockadesituation die Ernennung übernahm, klatschten die Chávez-Gegner Beifall. Als jedoch deutlich wurde, dass der Nationale Wahlrat dennoch keine politischen Entscheidungen zu Gunsten der Opposition treffen würde, begann sie eine Verleumdungskampagne gegen den CNE.
Anfang Dezember letzten Jahres wurden schließlich die Unterschriften gesammelt. Mit ihrer Abgabe beim CNE intensivierte die Opposition ihren Feldzug gegen den Nationalen Wahlrat, scheinbar im Bewusstsein, die notwendige Anzahl nicht erreicht zu haben. Letztlich behauptete die Opposition, 3,4 Millionen Unterschriften übergeben zu haben - tatsächlich waren es nur knapp 3,1 Millionen. Es häuften sich Anzeigen und Berichte, die auf ein massives Fälschungsmanöver hindeuteten. Und während die Regierung von Anfang an betonte, jedwede Entscheidung des CNE anzuerkennen, blieb eine solche Erklärung seitens der Opposition bis heute aus. Ihre VertreterInnen machten klar, sie würden nur eine Entscheidung zu ihren Gunsten anerkennen.
Beifall für den CNE
Die Entscheidung des CNE sollte ursprünglich schon Anfang oder spätestens Mitte Februar fallen, doch die Prüfung der Unterschriften verzögerte sich. Schließlich teilte der CNE seine Entscheidung am 2. März mit: Etwa 370.000 Unterschriften wurden wegen offensichtlicher Fälschungen für ungültig erklärt, fast 900.000 sollen öffentlich überprüft werden. Die Strategie der Opposition ist nun, diese Entscheidung als "Willkür einer Diktatur" auszulegen. Auf den Straßen soll zudem ein Bild weitgehender Instabilität und Unregierbarkeit präsentiert werden, um so den internationalen Druck auf Venezuela zu erhöhen. Die führenden Kräfte der Opposition hoffen, dadurch einen erneuten Militärputsch oder eine US-Intervention hervorzurufen. So demonstrierten Oppositionsgruppen auch vor der US-Botschaft in Caracas mit Schildern wie "1. Hussein; 2. Aristide; 3. Chávez".
Freibier für die Opposition
Vor allem die Option einer US-Militärintervention ist jedoch unwahrscheinlich. Bei aller Polemik und Propaganda dürfte sich auch Washington über die immense Unterstützung in der Bevölkerung für die tief greifenden politischen und sozialen Transformationen in Venezuela unter Chávez bewusst sein. Doch dass die US-Regierung eine bedeutende Rolle in der Destabilisierung Venezuelas einnimmt, ist nicht zu übersehen. Jenseits der direkten Verwicklung in den Putsch vom April 2002 finanziert Washington über das National Endowment for Democracy (NED) verschiedene Oppositionsorganisationen, darunter auch das Privatunternehmen Sumate, das im Zusammenspiel mit anderen Firmen ArbeiterInnen und Angestellte unter Druck setzte, um gegen Chávez zu unterschreiben. Weitere Finanziers der Destabilisierung sind in der EU zu finden, so z.B. in der spanischen Regierung oder in der deutschen christdemokratischen Konrad-Adenauer-Stiftung, die die neu gegründete Partei Primero Justicia ("Zuerst Gerechtigkeit", PJ) unterstützt. PJ war am Putsch beteiligt, PJ-Vertreter "verhafteten" Minister der Chávez-Regierung und zuletzt taten sie sich in der Koordinierung des Angriffes und der Zerstörung eines Gebäudes der Bewegung V. Republik (MVR), der Chávez-Partei hervor, das während einer "friedlichen" Demonstration der Opposition Ende Februar in Brand gesetzt wurde.
Bei den Ausschreitungen Anfang März agierten kleine oppositionelle Gruppen in verschiedenen Teilen der Hauptstadt, vor allem in den wohlhabenden Bezirken El Hatillo, Barutas und Chacao, mit massiver Gewalt und errichteten Straßenblockaden. Die Nationalgarde und die Militärpolizei, die versuchten, die Demonstrationen aufzulösen, wurden mit Steinen, Molotowcocktails und Schusswaffen angegriffen. An den Aktionen beteiligten sich zwar nur wenige Hundert Personen, dennoch waren sie kaum aufzuhalten, denn die Polizei der Hauptstadt Caracas (die einem Oberbürgermeister untersteht, der sich als Chàvez-Anhänger wählen ließ und anschließend zur Opposition überlief) und der drei genannten Bezirke schritt nicht ein. Sie hielt sich entweder zurück, unterstützte die Gewalttäter oder war sogar in zivil an den Ausschreitungen beteiligt. Mehrere Polizeibeamte wurden in flagranti von der Nationalgarde festgenommen. Um für eine entsprechend aggressive Stimmung bei den Blockadeaktionen zu sorgen, hatte zuvor das oppositionelle Privatunternehmen Polar, der größte Bierproduzent Venezuelas, kostenlos Bier an die DemonstrantInnen verteilt. Auffällig war auch, dass zahlreiche Autobahnblockaden mit Polar-LKWs durchgeführt wurden. So konnten kleine Gruppen die Stadt - zumindest in der virtuellen Realität der privaten TV-Sender - ins Chaos stürzen.
Bei den Auseinandersetzungen zwischen Nationalgarde und Militärpolizei auf der einen und oppositionellen DemonstrantInnen sowie oppositionell geführten Polizeieinheiten auf der anderen Seite sind neun Personen ums Leben gekommen. Die meisten Opfer gingen dabei auf das Konto der Opposition oder sie wurden von Heckenschützen erschossen. Dass Menschen durch den Einsatz der Nationalgarde zu Tode gekommen sind, wie die Opposition und die von ihr kontrollierten Medien ständig berichten, entbehrt bislang jeglicher Überprüfung. In einer von den bedeutendsten Menschenrechtsorganisationen Venezuelas unterzeichneten Erklärung wird deshalb eine transparente Untersuchung gefordert. Verurteilt wurde die Beteiligung der oppositionell geführten Polizeieinheiten an den Ausschreitungen. In der Erklärung wird zwar der Einsatz "exzessiver Gewalt" durch die staatlichen Institutionen verurteilt; der Aufruf, auf den Gebrauch von Schusswaffen zu verzichten, richtet sich aber nicht an offizielle Stellen, sondern "an Demonstranten beider Seiten".
Die US-Administration, ebenso wie Spanien und die EU, haben sich inzwischen "besorgt" über die Situation in Venezuela geäußert. Während Washington seiner Hoffnung Ausdruck gibt, dass es in Venezuela zu einem Referendum komme und so ein "demokratischer und friedlicher Weg" der Konfliktlösung eingeschlagen würde, tritt die "demokratische Opposition" vor die Presse und erklärt, die Präsenz der Nationalgarde und Militärpolizei in den Straßen sei ein Beweis dafür, dass es sich in Venezuela um eine Militärdiktatur handele. Ein runder Film, der - nach dem Drehbuch der Destabilisierung gedreht - mit Erfolg der internationalen Presse verkauft wird.