Chávez in Führung. Zweifel linker Basisorganisationen an elektronischem Wahlverfahren
Endspurt zum Referendum
Das riesige Plakat füllt die gesamte Hauswand. Darauf zu sehen ist im Bildausschnitt der Torso einer jungen Frau, die sich gerade die Hose aufknöpft. »¡Si, claro!«, Ja, natürlich! steht daneben in großen Buchstaben zu lesen. Was wie die Werbung eines Sexshops anmutet, ist der Versuch der venezolanischen Opposition, der Bevölkerung ein »Ja« zum Rücktritt des Präsidenten Hugo Chávez im Referendum am Sonntag abzuringen. Das »Nein zur Vergangenheit, Nein zur Repression!« der Chávez-Anhänger wirkt ob seiner inhaltlichen Aussage überzeugender.
So weisen auch die letzten acht Umfragen, darunter zwei von US-Instituten und diverse von Instituten, die der Opposition nahestehen, Chávez als eindeutigen Sieger aus. Das Unternehmen North American Opinion Research sieht Chávez sogar mit 63 Prozent der Stimmen vorn. Die Opposition liegt hingegen in allen Umfragen unter 40 Prozent. Und obwohl der Anteil derer, die gegen den Rücktritt des Präsidenten stimmen wollen, in den letzten Wochen angestiegen ist, geben sich Oppositionssprecher überzeugt, das Referendum zu gewinnen. Sie setzen auf den Effekt der »heimlichen Stimme«: Viele Wähler würden an den Urnen doch gegen Chávez stimmen, auch wenn sie sich vorher nicht getraut hätten, dies zuzugeben. Diese These wurde selbst von dem oppositionellen venezolanischen Meinungsforschungsinstitut Datanalisis verworfen.
Sollte Chávez das Referendum wider Erwarten verlieren, müßten innerhalb von 30 Tagen Neuwahlen ausgeschrieben werden. Der Wahlsieger würde allerdings nur die aktuelle Legislaturperiode bis Januar 2007 zu Ende führen. Chávez hat bereits angekündigt, für diesen Fall erneut kandidieren zu wollen.
Samuel Moncada, der Sprecher des »Comando Maisanta«, die von Chávez ins Leben gerufene Koordinationsgruppe für die Kampagne gegen seine Abwahl, erklärte gegenüber der mexikanischen Tageszeitung La Jornada, mittlerweile »dankbar« für das Referendum zu sein. Es ermögliche den Chávez-Anhängern, die breite Unterstützung für die Regierung zu verdeutlichen. »Unser Ziel ist es, mit einem riesigen Vorsprung zu gewinnen«, so Moncada, Dekan der Geschichtsfakultät der Zentraluniversität Venezuelas. Ein »knapper Sieg« sei daher »fast so schlecht wie eine Niederlage«.
Bis auf kleinere Provokationen der Opposition geht es bisher fast verdächtig ruhig zu. Allerdings bestehen massive Sorgen, ein Wahlbetrug könne bevorstehen. Zwar wiederholt der Nationale Wahlrat, das elektronische Wahlverfahren habe in Tests einwandfrei funktioniert und lasse keine Möglichkeit eines Wahlbetrugs zu. Doch ist es genau dieses Wahlverfahren, das die linken Basisorganisationen beunruhigt.
Abgestimmt wird an Bildschirmen des Konsortiums SBC. Das US-venezolanische Unternehmen Smartmatic stellt die Hard- und Software. Die nationale, von transnationalen Unternehmen kontrollierte, Telefongesellschaft Cantv übernimmt die Sendung der Daten an den Wahlrat. Die Möglichkeiten des Betrugs sind also zahlreich – auch wenn zusätzlich ein Papierausdruck der Stimme erfolgen soll, um im Streitfall eine manuelle Zählung nachzuholen. Zusätzliche Aufregung verursachte die Nachricht, daß viele der nach den Sabotageaktionen Ende 2002 entlassenen Mitarbeiter des staatlichen Erdölunternehmens PdVSA von Cantv eingestellt wurden. So forderte das Comando Maisanta am Mittwoch vom Wahlrat elf Mitarbeiter von Cantv auszutauschen, weil sie als Aktivisten der Opposition bekannt seien.
Präsident Chávez erklärte zu möglichen Betrugsmanövern der Telefongesellschaft bereits Anfang August, er halte ein Dekret für eine Intervention von Polizei und Armee in den Cantv-Räumen bereit, falls das Unternehmen den Verlauf des Referendums zu beeinflussen versuchen sollte. Große Teile der Basis trauen der Ruhe dennoch nicht. Schon Tage vor dem Referendum fanden in Venezuela Demonstrationen gegen Cantv und einen möglichen Betrug am Sonntag statt.
* Siehe auch Interview mit Maria Bencomo