Antioligarchische Volksfront fordert Nationalisierung der Gasvorkommen - Situation spitzt sich weiter zu

Generalstreik in Bolivien

Der bolivianische Gewerkschaftsverband COB (Central Obrera Boliviana) hat ab dem heutigen Dienstag zu einem auf 48 Stunden befristeten Generalstreik aufgerufen. Gefordert wird die Nationalisierung der Gasvorkommen. Die Entscheidung für den Streik fiel Freitag Nacht auf einer Versammlung der COB. Zuvor hatte die Gewerkschaft gemeinsam mit der von Evo Morales geführten Partei Bewegung zum Sozialismus (MAS) und anderen politischen Organisationen die Bildung einer ”Antioligarchischen Volksfront“ beschlossen. Der Streik soll durch Aktionen auf der Straße begleitet werden.

Der Konflikt entzündete sich am Vorhaben des Präsidenten Carlos Mesa, ein neues Brennstoffgesetz zu verabschieden, das von den transnationalen Gaskonzernen 18 Prozent Abgaben und 32 Prozent Steuern erheben will. MAS, COB, die Nachbarschaftsvereine von El Alto, die Indigenabewegung Pachutik unter der Führung von Felipe Quispe und weitere Bewegungen fordern hingegen 50 Prozent Abgaben und eine staatliche Kontrolle über die Rohstoffe. Augenscheinlich kein Unterschied, ist die Differenz tatsächlich groß, da die Abgaben direkt auf geförderte Brennstoffmengen erhoben werden und diese leicht zu überprüfen sind.

Bereits seit Montag letzter Woche blockieren verschiedene Bauernorganisationen und MAS-Anhänger wichtige Verbindungsstraßen des Landes. Am Wochenende gönnten die Blockierer der Regierung eine Atempause und hoben zahlreichen Straßenblockaden auf. Nur die zentrale Region um Cochabamba blieb unpassierbar.

Präsident Carlos Mesa versuchte am vergangenen Donnerstag selbst, seine Anhänger zu mobilisieren und rief sie dazu auf, gegen die Blockaden vorzugehen. Gleichzeitig kündigte er ein juristisches Durchgreifen an. Doch das Echo blieb gering. In La Paz versammelten sich etwa 5.000 Menschen, meist Staatsbedienstete, die für die Kundgebung frei bekommen hatten. Im restlichen Land ging kaum jemand für den Präsidenten auf die Straße. In der zweitgrößten Stadt des Landes, Santa Cruz, waren es gerade 300 Menschen, die Mesa unterstützen. Auf der Kundgebung in La Paz kam es schnell zu einer rassistischen Stimmung und die Unterstützer der Regierung forderten ”Hängt die Indios“ und skandierten ”Die Stinkfüße müssen weg“.

Mesa, lange Zeit eher ruhig und zurückhaltend, betreibt nun ein gefährliches Spiel. Zwar entschuldigte er sich bei Evo Morales für Aussprüche, die der rassistischen Mobilisierung den Boden bereiteten, doch droht das repressive Vorgehen die Krise noch weiter zuzuspitzen und provoziert schwere Zusammenstöße. Morales kündigte bereits an, weder die MAS noch die weiteren Bewegungen würden an einer von Menschenrechtsorganisationen einberufenen ”Sozialkonferenz“ mit Beteiligung der Regierung und Parlamentsabgeordneten teilnehmen, sollte die Regierung versuchen, die Blockaden militärisch zu räumen.

Mesa hatte bis Ende Februar teilweise mit Unterstützung der MAS regiert. Doch durch sein Beharren auf die Vergünstigungen für transnationale Konzerne vollzog er den politischen Bruch mit der MAS und entzog sich seine Basis. Nach einer Woche heftiger Proteste kündigte Mesa am vorletzten Sonntag in einer Fernsehansprache seinen Rücktritt an und entwarf ein Horrorszenario, sollte den Wünschen der Konzerne nicht Folge geleistet werden. Tatsächlich handelte es sich bei der Ankündigung um ein geschicktes Manöver der extrem schwachen Regierung, die nicht die volle Unterstützung der bürgerlichen und rechten parlamentarischen Kräfte genoß und sich stetig wachsenden sozialen Bewegungen gegenüber sieht. Der Rücktritt des Präsidenten muß in Bolivien vom Parlament bestätigt werden.

Das Rücktrittsangebot und das entworfene Szenario zeigten Wirkung und innerhalb von 48 Stunden einigten sich die bürgerlichen und rechten Parteien MIR, NFR und MNR auf einen ”nationalen Pakt“ zum Verbleib Mesas im Amt und stimmten gegen seinen Rücktritt. Unterstützt wurde das Vorgehen auch vom Militär, der Polizei, der Kirche, den Patronatsverbänden und den Massenmedien, die zugunsten Mesas Verbleibs Druck ausübten. Entscheidend für das Schließen der Reihen um Mesa dürfte wohl die Angst vor den protestierenden Massen gewesen sein, diese hatten vor einem Jahr auch Mesas Vorgänger, Gonzalo Sánchez de Lozada, aus dem Amt gejagt. Bereits heute wird der Kokabauerngewerkschafter und Vorsitzende der MAS, Evo Morales, als nächster Präsident Boliviens gehandelt.

Teil des Paktes ist auch die rasche Verabschiedung eines Gesetzes über die Ausbeutung fossiler Brennstoffe, das Mesas Wünschen, und damit auch denen der transnationalen Konzerne, entspricht. Mesa, der sich in seiner bisherigen Präsidentschaft im Schlingerkurs von Krise zu Krise gerettet hatte, schlug sich nun eindeutig auf die Seite der neoliberal orientierten nationalen Eliten. Der Gesetzesvorschlag von Mesa mißachtet laut Evo Morales auch das Ergebnis einer Volksabstimmung zum Thema, die erst vor wenigen Monaten unter seiner Präsidentschaft abgehalten wurde. Zudem wurde die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung vereinbart und die Möglichkeit der Einführung regionaler Autonomien. Mit ersterem soll eine neue Verfassung verabschiedet werden, bevor Evo Morales an die Macht kommt, während Letzteres der kürzlich erhobenen Forderung der Oberschichten der boomenden Stadt Santa Cruz entspricht.

Allerdings könnte Mesa schnell das gleiche Schicksal wie seinem Vorgänger blühen, wenn sich die Proteste wieder in eine Revolte verwandeln. So drohten bereits am Samstag die Nachbarschaftsvereine von El Alto, sie würden nach La Paz marschieren, um das ”wenig repräsentative und korrupte Parlament zu schließen“. Boliviens drittgrößte Stadt, die durch den Zuzug verarmter Landbevölkerung zur Metropole wurde, liegt unweit der Hauptstadt.


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