In Venezuela ist Rassismus noch tief verankert. Direkte Auswirkungen auf politische Auseinandersetzungen
Hautfarbe als Makel
Ein Blick in die Reihen einer Demonstration zur Unterstützung der Regierung von Hugo Chávez genügt, um festzustellen, daß die »Bolivarianische Revolution« in Venezuela vorwiegend von den unteren sozialen Schichten der Bevölkerung getragen wird. Bei Mobilisierungen der »Chavistas« machen die Armen aus dem Westen von Caracas stets den größten Anteil aus. Die Mehrheit von ihnen ist dunkelhäutig oder schwarz. Die Gegenprobe bestätigt: Die Proteste der Opposition im Osten der Hauptstadt werden vorwiegend von gutgekleideten Weißen veranstaltet – auch wenn an diesen Demonstrationen der eine oder andere Schwarze teilnimmt, der vielleicht im rechtsdominierten Gewerkschaftsdachverband CTV Karriere machen konnte. Zumeist gilt, daß die einzigen Schwarzen bei den Oppositionsaufmärschen am Straßenrand Cola verkaufen.
Auch in Venezuela hat die Hautfarbe erheblichen Einfluß auf den ökonomischen und sozialen Status. Wird dieser strukturelle Rassismus aber thematisiert, leugnen die meisten Venezolaner unabhängig vom politischen Lager die Existenz von Diskriminierung gegenüber Schwarzen und Mestizen. Und dies, obwohl die fast ausschließlich von der Opposition kontrollierten Massenmedien in ihrer Propaganda gegen Chávez und dessen Anhänger häufig Träger rassistischer Stereotype sind.
Das »Netzwerk Afrovenezolanischer Organisationen«, Dachorganisation der vergleichsweise kleinen Schwarzenbewegung in Venezuela, hat eine Liste mit mehr als 1000 rassistischen Kommentaren zusammengestellt, die von Mitte 2002 bis Ende 2003 in venezolanischen Medien veröffentlicht wurden. Und auch Außenminister Roy Chaderton warf vor der 33. Generalversammlung der Organisation Amerikanischer Staaten im vergangenen Juni in der Debatte um die politische Auseinandersetzung in Venezuela die Frage auf, »ob es nicht Aufmerksamkeit erregen sollte, wenn die privaten Medien hochrangige Regierungsvertreter mit dunkler Haut ohne jede Scham als Affen, Makaken oder Schimpansen bezeichnen«. Eben diese Beschimpfungen mußten sich im Januar die Teilnehmer einer Delegation der US-amerikanischen Schwarzenorganisation »TransAfrica Forum« gefallen lassen. Der offene Rassismus der Oberschicht wird auch daran deutlich, daß in Nachbarschaftsversammlungen in wohlhabenden Vierteln und bei Vorschlägen der Opposition für »Schutzmaßnahmen gegen chavistische Angriffe« die andere Hautfarbe als Hauptmerkmal Verdächtiger gilt.
Um diese Form der Diskriminierung effektiv bekämpfen zu können, so Jesús »Chucho« García, Präsident des Afrovenezolanischen Netzwerks, müsse sie erst einmal als Rassismus benannt werden. Doch während in dem ursprünglichen Entwurf für die neue Verfassung von 1999 die afrovenezolanische Bevölkerung als nationale Minderheit anerkannt wurde, fiel dies in der fertigen Verfassung wieder heraus, obwohl in der eigens gewählten verfassungsgebenden Versammlung eine große linke Mehrheit mit zahlreichen afrovenezolanischen Abgeordneten existierte. García führt dies auf einen auch in der Linken existierenden Rassismus zurück. Dieser äußere sich darin, die Ausgrenzung Farbiger in der politischen Debatte zu ignorieren.
Die Probleme dauern an, auch wenn Präsident Hugo Chávez immer wieder sein schwarzes und indigenes Erbe betont, das auch das Erbe Venezuelas sei. Immerhin sind Anführer von Aufständen von Indigenas und Schwarzen gegen Kolonialismus und Sklaverei als Nationalhelden anerkannt. Der 12. Oktober, der Tag der Landung von Kolumbus in Lateinamerika, gemeinhin als »Día de la Raza« (Tag der Rasse, gemeint ist das Mestizentum) gefeiert, wurde in Venezuela in einen »Tag des indigenen Widerstandes« umbenannt.
Auch wegen dieser Maßnahmen steht die Bewegung der Afrovenezolaner mehrheitlich auf der Seite des Bolivarianischen Prozesses. Allerdings bestehen die Organisationen auf politische Autonomie und halten sich auch mit Kritik an der Regierung nicht zurück. Dies betraf bisher drei wesentliche Punkte:. einerseits die ungenügende Integration afrovenezolanischer Elemente in die Lehrpläne, die Integration in die nächste Volkszählung und schließlich die Umsetzung des Durban-Plans gegen Rassismus, der die Beseitigung von Rassismus im Bereich von Erziehung, Justiz, öffentlicher Verwaltung und anderen Bereichen der Administration betrifft. Venezuela habe das Abkommen zwar unterschrieben, sei jedoch mit der Umsetzung im Rückstand.