Kommission für Landreform gegründet. Erstes Gut in Polizeibegleitung inspiziert. Boden für 100000 Landlose

Kampf gegen den Großgrundbesitz in Venezuela. Chávez verspricht „Agrarrevolution“.

"Dies ist ein historischer Tag: Das Land soll denen gehören, die es bearbeiten", verkündete der venezolanische Präsident Hugo Chávez vor 10 000 Kleinbauern am Montag in Caracas. Aus Anlaß des 145. Todestages des venezolanischen Bauernführers Ezequiel Zamora erklärte Chávez, daß der Kampf gegen den Großgrundbesitz vordringlich sei. Fünf Prozent aller Landeigentümer verfügten über 80 Prozent des Agrarlandes, während 75 Prozent der Produzenten nur sechs Prozent des Landes in ihren Händen hielten. Eine "Revolution auf dem Land" solle erfolgen: Wenn die Landfrage nicht gelöst werde, verdiene der venezolanische Transformationsprozeß den Namen "Revolution" nicht, meinte der Präsident und unterzeichnete ein Dekret: Eine Kommission für Landreform soll nun die Besitzverhältnisse sowie die brachliegenden Teile großer Landgüter unter die Lupe nehmen. Laut Verfassung kann der Staat Agrarland, das nicht zu 80 Prozent produktiv genutzt wird, enteignen.

Die verschiedenen Landarbeiter- und Kleinbauernorganisationen Venezuelas begrüßten die Offensive im landwirtschaftlichen Bereich - schließlich war seit Dezember 2001, seit Verabschiedung des Landgesetzes, das die in der Verfassung festgeschriebene Abschaffung des Großgrundbesitzes juristisch umsetzten sollte, kein Land enteignet worden. Zwar verteilte das Nationale Landinstitut INTI in den vergangenen zwei Jahren 2,3 Millionen Hektar Boden an Kooperativen, doch handelte es sich dabei vorwiegend um brachliegendes Staatsland. Nun sollen innerhalb von sechs Monaten 100000 landlose Familien enteignetes Agrarland zugeteilt bekommen.

Chávez wies auch darauf hin, daß der Prozeß nicht bei einer Umverteilung stehenbleiben könne. Die Maßnahmen müßten von "produktiven, wissenschaftlichen und technologischen Projekten sowie der Bereitstellung von Maschinen, Fortbildung und Häusern" begleitet werden. Zudem solle die derzeit in Kooperation mit dem Iran anlaufende Produktion von 5000 Traktoren jährlich den kleinen Agrarproduzenten zugute kommen.

Mit der beschleunigten Umverteilung soll auch die Abhängigkeit Venezuelas von Nahrungsmittelimporten reduziert werden. Aktuell importiert der Erdölstaat über 70 Prozent seiner Lebensmittel.

Die von Basisorganisationen lang erwartete Landoffensive war von Chávez im September 2004 angekündigt worden. In den vergangenen Wochen hatte das INTI erklärt, es verfüge über Beweise dafür, daß sich viele der Großgrundbesitzer - trotz gegenteiliger Bekundungen - ausgedehnte Ländereien illegal angeeignet hätten. Das INTI, so der Direktor Eliécer Otaiza, habe bisher 57 Latifundien und 600 brachliegende Landgüter ausgemacht. Im Falle von 20 Latifundien seien bereits Verwaltungsmaßnahmen in die Wege geleitet worden.

Am vergangenen Samstag wurde im Bundesstaat Cojedes mit der Inspektion der 13000 Hektar großen Rinderfarm "El Charcote" der britischen Vestey-Gruppe begonnen. 80 Prozent dieses 200 Kilometer südwestlich von Caracas gelegenen Landgutes waren vor etwa vier Jahren von mehreren hundert Familien besetzt worden - nunmehr inspizierten Staatsbeamte in Begleitung von 200 Soldaten und Polizisten das Gelände. Laut Angaben des INTI und des Landwirtschaftsministeriums könne Vestey keine legalen Besitztitel vorweisen.

Derweil forderte mit der Nationalen Bauernfront Ezequiel Zamora (FNCEZ) einer der größten und aktivsten Bauernverbände die Anerkennung von besetzten Ländereien, eine direkte Beteiligung der Bauernorganisationen sowie gegen Morde an Bauern vorzugehen und bäuerliche Verteidigungsbrigaden aufzubauen. Zudem sollten die "Agrartitel", die die Bauern augenblicklich erhalten, in kollektive Besitztitel umgewandelt werden.

Mobil machen indes die radikalen Teile der Opposition. Der oppositionelle Viehzüchterverband Fedenagas erklärte, die Dekrete zur Landreform würden das verfassungsmäßige Recht auf Eigentum verletzen. Fedenagas werden Verbindungen zu Paramilitärs und Killertrupps nachgesagt, die in den vergangenen Jahren über hundert Landaktivisten, zuletzt Alejandro Márquez im Bundesstaat Barinas am 30. Dezember 2004, ermordeten.


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