Hugo Chávez gewinnt Wahl um Wahl und arbeitet weiter mit Erfolg daran, die Demokratie an der Basis zu verankern.

Lokale Räte-Republik Venezuela

Sein neuerlicher Wahlsieg hat es gezeigt: Besonders bei den ärmeren Teilen der Bevölkerung wächst die Zustimmung zu Hugo Chávez, seit 1999 Präsident Venezuelas, weil gerade die »kleinen Leute« von den zahlreichen Sozialprogrammen der Regierung und den Möglichkeiten zur direkten Teilhabe an staatlichen Entscheidungen profitieren.

Las Quintas – ein Kiez im Armenstadtteil Artigas in Venezuelas Hauptstadt Caracas.

An einem kleinen Tisch vor dem Gemeindezentrum von Las Quintas sitzt Gustavo González, ein stämmiger Mann in tiefrotem T-Shirt. Auf meine Frage, wie die Wahlen hier gelaufen sind, aus denen Präsident Hugo Chávez vor wenigen Wochen erneut als klarer Gewinner hervorging, grinst der 51-Jährige übers ganze Gesicht. »Hier hat Chávez überall doppelt so viele Stimmen bekommen wie der Oppositionskandidat Manuel Rosales.«

Las Quintas gehört nicht zu Artigas Elendsvierteln – kleine Häuschen stehen geordnet nebeneinander –, doch seine Bewohner sind schon seit vielen Jahren verarmt. Als Venezuela zu Beginn der 80er Jahre in eine tiefe Krise stürzte, blieb den meisten nur ihr Hausbesitz. González, von Beruf Elektriker, hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, in seinem Haushalt leben acht Personen von umgerechnet zusammen 1000 Euro im Monat.

»Misión Sucre« – Bildung für alle


Die linke Chávez-Regierung konnte in Las Quintas bei den Wahlen Anfang Dezember wohl auch deshalb so stark punkten, weil viele der Kiezbewohner von den Sozialprogrammen profitieren, die schon in der letzten Amtsperiode umgesetzt wurden. Gustavo González studiert seit zwei Jahren Verwaltungswissenschaften im Rahmen der »Misión Sucre«, eines der zahlreichen Bildungsprogramme. Durch Einrichtung dezentraler Studienmöglichkeiten sollen mit der »Misión Sucre« alle Einwohner des Landes zumindest die Chance auf eine universitäre Ausbildung erhalten. Das Programm zeigt Erfolg: An die 250 000 Personen haben sich mittlerweile eingeschrieben.

In seiner freien Zeit engagiert sich Gustavo González im »Consejo Comunal«, dem »Lokalen Rat« von Las Quintas. Solche Räte werden in städtischen Gegenden für kleine Kieze von jeweils bis zu 200 Familien gewählt. Ihr Zweck ist es, dass sich Stadtteilbewohner aktiv in kommunale Belange einmischen können, von denen sie betroffen sind. Dabei geht es zum Beispiel um infrastrukturelle Maßnahmen: Soll eine neue Straße oder ein neuer Basketballplatz gebaut werden? Eine Einrichtung zu mehr partizipativer Demokratie also – eine weitere Errungenschaft der Chávez-Regierung. »Niemand kann hier etwas machen, ohne uns vorher zu fragen«, betont González. Auch die Stadtverwaltung müsse sich mit dem Rat abstimmen, könne nicht über ihn hinweg entscheiden.

Erst im April dieses Jahres wurden die Lokalen Räte gesetzlich abgesegnet. Anders als ihre Vorgänger, die »Lokalen Räte öffentlicher Planung«, können sie Gelder für kommunale Projekte nun direkt bei staatlichen Institutionen beantragen. Die Planungsräte dagegen waren vom Finanzierungswillen der Bürgermeister abhängig gewesen. Da aber viele der Gemeindeoberhäupter in den Basisorganisationen eine Bedrohung für die eigene Machtposition sahen, waren die Gelder meist spärlich geflossen. Ein weiterer Unterschied zum alten Rätekonzept: So genannte Gemeindebanken dürfen nun gegründet werden, die Geld vom Staat erhalten und Kleinkredite von umgerechnet bis zu 11 000 Euro vergeben, mit sehr günstigen Rückzahlungsbedingungen und niedrigen Zinssätzen.

Gustavo González ist einer der vier Personen im Rat, die von der Basis mit der Handhabe der Gemeindebank betraut wurden. Einen der bisher vergebenen Kredite bekam Xiomara Thomas. Mit den 30 Millionen Bolivar, umgerechnet etwa 11 000 Euro, richtete sie in ihrem Wohnzimmer eine Nähwerkstatt ein, in der sie nun vorwiegend Gardinen und Bettwäsche anfertigt – zu solidarischen Preisen für die Nachbarschaft. Am Ende kommt das investierte Geld wieder allen zugute.

González erhebt sich und führt uns ins Innere des kleinen zweistöckigen Gemeindezentrums. »Das war früher eine Polizeistation«, erzählt er. Weil die beiden Polizisten, die dort arbeiteten, aber nicht besonders vertrauenswürdig gewesen seien, »haben wir das Gebäude besetzt und die Polizisten rausgeschmissen«. Seiner Einschätzung stimmt auch Pilar Haydé Pacheco zu, die wir im ersten Stock treffen. Die 63-Jährige ist Sprecherin der Kommission für Sicherheit im Lokalen Rat von Las Quintas. »Die Polizei, die vorher hier war, wollten wir nicht mehr«, sagt sie. »Da sind ja die Kriminellen in unserem Stadtteil vertrauenswürdiger.«

Immer stehe die Tür des Gemeindezentrums offen, doch noch nie sei etwas gestohlen worden. Im Rest des Stadtteils sieht es mit der Sicherheit nicht ganz so rosig aus, auch wenn die Situation viel entspannter ist, als die im Ausland über Caracas und Venezuela verbreiteten Horrormeldungen vermuten lassen. »Wir wollen schon wieder Polizisten hier haben, allerdings werden wir bestimmen, welche und was sie hier machen sollen«, erzählt Pilar Haydé Pacheco über die Pläne des Rates. »Außerdem werden wir die Eingangstür für die Wache auf die andere Seite des Gebäudes verlegen. Die ist immer erleuchtet und viele Nachbarn können sie sehen. Das ist wichtig, die Polizei muss immer durch die Bevölkerung kontrolliert werden«, fügt sie selbstbewusst hinzu.

Gesundheitsprogramm mit 25 000 Ärzten

Inzwischen hat die Stadtverwaltung dem Lokalen Rat auch offiziell das Gebäude zur Nutzung als Gemeindezentrum überlassen. Auf einem Tisch in einer Ecke des Raumes zeigt ein Modell aus Pappe und Papier, wie das Zentrum zukünftig aussehen soll. Im unteren Stockwerk sollen die Polizei und kostenlose Gemeindeärzte untergebracht werden, im oberen ein Seminarraum, Büros für die Lokalen Räte und die Gemeindebank sowie ein Basisradio. Die Finanzierung für den Umbau wurde vom Staat bereits zugesagt.

Als wir den Block verlassen, zeigt Pilar Haydé Pacheco auf ein flaches Gebäude im Hof. »Hier sind unsere Ärzte, zwei Zahnärzte und ein Allgemeinmediziner «, erklärt sie. »Alles kostenlos.« Sie sind Teil des Gesundheitsprogramms »Misión Barrio Adentro«. 25 000 Ärzte, vier Fünftel davon aus Kuba, arbeiten im Rahmen dieses Programms, mit dem das Ziel verfolgt wird, für die Bevölkerung im ganzen Land Zugang zu kostenloser Gesundheitsversorgung zu schaffen. Nicht nur Allgemeinmediziner werden dafür eingesetzt, inzwischen gibt es auch Poli- und Spezialkliniken, Diagnostik- und Rehabilitationszentren. Jährlich werden außerdem Zehntausende zu aufwendigeren chirurgischen Eingriffen und Kuren von der venezolanischen Regierung nach Kuba geflogen. Auch dies völlig kostenlos.

Unterstützt werden die Ärzte von einem lokalen Gesundheitskomitee, in dem sich auch José López engagiert. Der 47-Jährige ist gleichzeitig einer der Sprecher des Lokalen Rats und wie zwei weitere Aktivisten darin ein »ni-ni«, ein »Weder-noch«, wie in Venezuela jene genannt werden, die weder für Chávez noch für die Opposition sind. »Ich war vorher das, was man wohl einen völlig Desinteressierten an allem nennen kann«, lacht er. »Mein Leben hat sich völlig verändert.« Als er dem Lokalen Rat beitrat, hat sich bei ihm eine Art Schalter umgelegt: Er begann, einen Sinn darin zu sehen, sich aktiv für die Belange seiner Nachbarschaft einzusetzen, und nun macht es ihm sogar Spaß. Ob er von den überzeugten Chávez-Anhängern akzeptiert werde? »Na klar«, antwortet er, die Basis habe ihn ja in den Lokalen Rat gewählt, obwohl fast alle von ihnen Chavistas seien. »Wir versuchen die Parteipolitik herauszuhalten, für die Belange der Nachbarschaft zu arbeiten und solidarisch zu sein.« Die Lokalen Räte stünden allen offen, nur die »richtig harten « Oppositionellen machten nicht mit. »Sie wollen nicht für die Gemeinschaft arbeiten und sind so verbissen, dass sie nicht einmal die Vorteile sehen«, sagt López. »Ich bin kein Chávez-Anhänger, sehe allerdings die guten Seiten. Und ich sehe immer mehr gute Seiten«, er lacht, »vielleicht werde ich ja eines Tages auch noch Chavista, wie so viele andere.«