Leere Versprechen über Wohlstand und Frieden
Magere Bilanz nach einem Jahr Fox
Am 1. Dezember vor einem Jahr übernahm Vicente Fox als erster Kandidat der Opposition nach mehr als 70 Jahren die Präsidentschaft in Mexiko. Der versprochene Wohlstand und Frieden ist ausgeblieben.
Vicente Fox beendete mit seinem Wahlsieg die Dauerherrschaft der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI). Der ehemalige Coca-Cola-Manager weckte große Hoffnungen. Wirtschaftswachstum, Wohlstand und Frieden, so sein Programm. Auf dem Gipfel lateinamerikanischer Staaten vor Wochenfrist in Peru äußerte er zwar, es fehle nur noch die Unterschrift des Zapatistischen Befreiungsheeres (EZLN) unter ein Friedensabkommen, doch mit der Realität hat dies wenig gemein.
Während zehntausende Flüchtlinge immer noch darauf warten, in ihre Gemeinden zurückzukehren, haben Polizei, Militär und Paramilitärs immer noch freie Hand. Mitte November, keine vier Jahre nach dem Massaker in der chiapanekischen Gemeinde Acteál, das 45 Menschen das Leben kostete, wurden sogar zwei der hauptverantwortlichen Paramilitärführer aus dem Gefängnis entlassen. Da das von der Fox-Regierung verabschiedete Autonomiegesetz sowohl den Forderungen der indianischen Gemeinden wie auch vorherigen Vereinbarungen mit der EZLN widerspricht, zapatistische Gefangene weiterhin inhaftiert sind und keine Entmilitarisierung, sondern lediglich eine Umstrukturierung der Truppen erfolgt ist, herrscht seit Monaten Funkstille zwischen EZLN und Regierung.
Die Menschenrechtssituation hat sich nach verschiedenen Berichten im ersten Jahr der Fox-Regierung erheblich verschlechtert. In der zweiten Novemberhälfte präsentierte Amnesty International der Öffentlichkeit einen umfassenden Bericht über die Straflosigkeit in Mexiko, in dem schwere Vorwürfe gegen die Regierung erhoben wurden. Im Fall der im Oktober ermordeten Menschenrechtsanwältin Digna Ochoa gibt es keine neuen Erkenntnisse. Das Menschenrechtszentrum Miguel Augustín Pro, in dem die Anwältin bis vor kurzem arbeitete, geht von einer Tatbeteiligung der Armee aus, doch die Staatsanwaltschaft versucht, ein politisches Tatmotiv auszuschließen, und verkündete, eine mögliche Spur seien interne Meinungsunterschiede innerhalb der Menschenrechtsorganisation. Fox hält den Fall gar für ein »gewöhnliches Verbrechen« und verkündete, Mexiko sei »beispielhaft in der Wahrung der Menschenrechte«.
Die allgemeine Unzufriedenheit mit Fox ist deutlich, seine konservative Partei PAN verzeichnete in allen regionalen und lokalen Wahlen des vergangenen Jahres massive Stimmenverluste. PAN-Senator Carlos Medina Plascencia kritisierte, die errungene Präsidentschaft »vergiftet die Partei«, sie habe »die Gesellschaft vergessen« und mit den Prinzipien gebrochen, die zu ihrer Gründung führten. Dem eigenen Präsidenten wirft die PAN »Erpressung« vor und verkündete ihre Ablehnung gegenüber der von der Fox-Regierung zur Abstimmung vorgelegten Steuerreform. Auch ein weiteres der großen Versprechen blieb bisher unerfüllt. Hatte Fox zu Beginn eine Verfassungs- und Staatsreform zu einem Hauptanliegen gemacht, liegen der seit neun Monaten arbeitenden parlamentarischen »Kommission für die Staatsreform« immer noch keine Vorschläge der Regierung diesbezüglich vor.
Das alte klientelistische System der ehemaligen Staatspartei PRI blieb weitgehend unangetastet. Hinter Fox stehen die gleichen Unternehmer mit transnationaler Reichweite, die auch den vorangegangenen Präsidenten Ernesto Zedillo an die Macht gebracht und gestützt hatten, doch macht sich gleichzeitig ein gefährliches Machtvakuum breit, von dem die autoritäre Rechte um das Militär profitiert. So ist der von Fox ernannte Generalstaatsanwalt Mexikos, Ex-General Rafael Macedo, der als erster Militär in der mexikanischen Geschichte den Posten besetzt, das einzige Mitglied der Führungsmannschaft des Präsidenten, dessen Amt unberührbar scheint.
Je größer die Probleme in Mexiko selbst werden, desto mehr Zeit verbringt Fox außer Landes. Fast drei seiner ersten zwölf Monate als Präsident verbrachte er im Ausland – mit eher bescheidenem Ergebnis. »Die Situation Mexikos ist, verglichen mit fast jedem anderen Land der Welt, viel besser«, erklärte Fox kürzlich gleich mehrmals. Es herrsche ein »sicheres Investitionsklima mit einer sehr stabilen und soliden Wirtschaft«. Die Analysten des Sistema de Información Regional de México (Sirem) hingegen warnten davor, dass sich die mexikanische Wirtschaft in der gleichen Situation wie Ende 1994 befände, als Investoren ihr Kapital aus Mexiko abzogen und den »Tequila-Crash« provozierten, der zu einer drastischen Entwertung des mexikanischen Peso, dem Zusammenbruch kleiner und mittlerer Unternehmen und zu einer massiven Verarmung der Bevölkerung führte.
Die wirtschaftliche Situation ist desolat. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stagniert. Finanzminister Francisco Gil Díaz musste jetzt zugeben, das seit dem Amtsantritt Fox etwa 500 000 Arbeitsplätze verloren gegangen sind – davon 150 000 in den Maquiladoras, den in Freihandelszonen angesiedelten Billiglohnfabriken, die für den Weltmarkt produzieren. Kürzungen im sozialen Sektor für das Jahr 2002 sind ohnehin vorgesehen, »die Staatseinnahmen reichen nicht aus, um alles abzudecken«, so Fox kürzlich. Sein Monatsgehalt betrifft dies aber nicht, das wurde, so erfuhr die Öffentlichkeit erst Ende November, ausgerechnet am 1. Mai auf etwa 25 400 US-Dollar erhöht, fast das Doppelte dessen, was sein Vorgänger bezog.
(ND 01.12.01)
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