Mediale Gegenmacht
Der venezolanische, aber "multistaatliche" Satellitensender teleSUR, von Kritikern mit al-Dschasira verglichen, soll Lateinamerika eine eigene, kritische Stimme geben
"Unser Norden ist der Süden", so die Losung des von Venezuela lancierten Satellitensenders teleSUR, der am Sonntag, den 24. Juli, den Probebetrieb aufnimmt. "Der Norden" steht im Spanischen für "die Orientierung". So ist auch der Sendeauftakt sicher nicht ganz zufällig der 222. Geburtstag Simón Bolivars, der den Kontinent einen und von der spanischen Kolonialmacht befreien wollte. Und auch die Direktoren des Senders stammen aus verschiedenen Ländern Lateinamerikas. Generaldirektor ist der seit 1986 in Venezuela lebende Uruguayer Aram Aharonian, Präsident ist der venezolanische Kommunikationsminister Andrés Izarra. Daneben finden sich auch Ana de Skalon vom Sender Kanal 7 aus Buenos Aires, Beto Almeida von der Journalistenvereinigung Brasiliens, Ovidio Cabrera, Ex-Vizedirektor des kubanischen Radios und Fernsehens, und der kolumbianische Journalist Jorge Botero.
"teleSUR ist ein strategisches Projekt, das aus der Nowendigkeit geboren wurde, den Lateinamerikanern eine Stimme zu geben", erklärt Aram Aharonian. Die USA und die EU-Länder kontrollieren 90 Prozent der weltweit zirkulierenden Information. Von den 300 größten Medienunternehmen der Welt stammen 144 aus den USA, 80 aus der EU und 49 aus Japan.
Wenn teleSUR am Sonntag, 24. Juli die Ausstrahlung über Satellit aufnimmt, wird dies der vorläufige Höhepunkt vierjähriger Anstrengungen sein. Die Idee für den "multistaatlichen" Kanal, mit vollem Namen "Neues Fernsehen des Südens AG" (Nueva Televisión del Sur SA), entstand in Venezuela, sein Hauptsitz liegt in Caracas. Zunächst von Venezuela aufgebaut, das noch 51 Prozent Anteile hält, haben sich mittlerweile auch Argentinien mit 20 Prozent, Kuba mit 19 Prozent und Uruguay mit zehn Prozent in das Projekt "eingekauft". Brasilien hat eine Zusammenarbeit ohne einen festen Anteil vereinbart. Teilhaber sind aber nicht die Regierungen, sondern der Staat. Gemäß des Konzepts sollen auch nicht schwerpunktmäßig Programme der diversen Staatskanäle gesendet werden, sondern vorwiegend Sendungen unabhängiger Produzenten.
teleSUR wird 24 Stunden täglich senden und soll damit einen medialen Beitrag zur Integration Lateinamerikas leisten. Das Programm wird sich daher vorwiegend auf Lateinamerika und die Karibik konzentrieren. Die Sendestruktur des Informations- und Nachrichtenkanals wird ein Morgenmagazin, Nachrichten, stündliche Vorabmeldungen, Analysen, Chroniken, Reportagen, Interviews und Dokumentarfilme umfassen. Spezielle Programme beschäftigen sich gesondert mit dem urbanen Leben in Lateinamerika, Bauern und Land, traditioneller und moderner lateinamerikanischer Musik, lateinamerikanischem Kino, "Nicht-Hollywood-Kino" aus anderen Weltregionen, Persönlichkeiten und sozialen Kämpfen. So soll es nicht nur um politische Themen gehen, sondern auch um die regionale Kunst, Kultur, Geschichte, Geographie und Natur. Feste Korrespondenten berichten aus Bogota, Brasilia, Buenos Aires, Caracas, Mexico Stadt, Havanna, Montevideo, La Paz und Washington, zusätzlich existiert ein kontinentales Mitarbeiternetz. teleSUR wird auch eigene Programme produzieren, die – so die Selbstdarstellung – "auf die Verbreitung der Werte setzen, welche die Grundlage unseres Seins bilden: die Integration, die Solidarität und die historische Identität".
"CNN des Südens" wird teleSUR manchmal genannt, oder auch "Al-Bolívar" in Anlehnung an Al-Jazeera, aber die Vergleiche hinken, vor allem jener mit dem US-amerikanischen Sender. teleSUR will zwar erklärtermaßen dem Informationsgiganten CNN das Publikum streitig machen, doch mit einem gänzlich anderen Charakter. Es wird das "erste gegenhegemoniale TV-Kommunikationsprojekt in Südamerika" so Aharonian. Tatsächlich kommt dem Sender eine besondere Rolle zu. Allein die an teleSUR beteiligten Länder haben zusammen 240 Millionen Einwohner, Lateinamerika insgesamt 520 Millionen.
Als Schwerpunkte des neuen Senders wurden u.a. das gesamtamerikanische Freihandelsabkommen FTAA/ALCA und die von Venezuela vorgeschlagene "Bolivarianische Alternative für Amerika" (ALBA) sowie die US-Präsenz und zunehmende Militarisierung Lateinamerikas angekündigt. Viel Raum erhalten sollen auch Themen wie Auslandsschulden, Wahlen, Kampf um Wasser, genmanipuliertes Saatgut, Migration und Soziale Bewegungen. In Interviews sollen jene zu Wort kommen, die in kommerziellen Medien keinen Platz finden. "Pluralismus ist die oberste Leitlinie des Senders", so die Macher.
teleSUR soll sich aber auch in der Ästhetik, Kameraführung und Vermittlung der Information von kommerziellen Sendern unterscheiden. Direktoriumsmitglied Jorge Botero sieht auf dem Kontinent "tausende Produzenten von Dokumentarfilmen und Fernsehprogrammen, die sehr originelles Material herstellen und keine Chance haben, in die Massenmedien zu kommen. Wir wollen alle diese Leute". Daher wurde zeitgleich mit teleSUR auch die "Lateinamerikanische Fabrik der Inhalte" (FLACO) gegründet. Sie soll lateinamerikanische Produktionen fördern, jedoch nicht mit eigenen Beiträgen, sondern indem sie als Netzwerk der vielen unabhängigen lateinamerikanischen Filmproduktionen funktioniert.
Medienkrieg mit den USA?
Doch der neue Sender hat nicht nur Freunde. In Kolumbien sorgte ein Trailer für eine teleSUR-Dokumentarfilm-Sparte, der in den letzten Wochen via Satellit, über den Bildschirm von teleSUR flimmerte, für hysterische Reaktionen. Zu sehen sind, wie für Reportagen- oder Nachrichtenprogramme nicht unüblich, verschiedene Szenen aus Demonstrationen, Protesten, Staatsereignissen sowie einige Persönlichkeiten. Für nicht einmal zwei Sekunden im Bild ist auch eine Seitenaufnahme von "Tirofijo", dem Anführer der kolumbianischen Guerilla "Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens" (FARC) "Terrorismusapologie" nannte das die rechte kolumbianische Tageszeitung "El Tiempo". In einer kurzen Sequenz, in der eine singende Frau unter der Dusche hinter einem Vorhang zu hören ist, wollte sie sogar "ETA! ETA! ETA! " gehört haben, ein vermeintlicher Hinweis auf die terroristischen Tendenzen des Senders. Tatsächlich handelte es sich um ein Lied des Brasilianers Caetano Veloso.
Das US-Repräsentantenhaus autorisierte am Mittwoch sogar die US-Regierung, Radio- und TV-Ausstrahlungen in Richtung Venezuelas durchzuführen, um Venezuela "mit genauen, objektiven und umfassenden Nachrichten" zu versorgen. Angeschoben wurde die Initiative, die allerdings noch erst vom Senat bestätigt werden muss, um in Kraft zu treten, vom Kongressabgeordneten Connie Mack, der vom rechten Flügel der Republikaner aus Florida stammt. Er gilt als einer der wichtigsten Unterstützer des Terroristen Orlando Bosch, der an diversen Terroranschlägen gegen Kuba, darunter auch gegen ein Flugzeug der kubanischen Fluggesellschaft, beteiligt gewesen war. Bosch wurde schließlich von George Bush Senior begnadigt.
Ziel der USA sei es, gegen den "Antiamerikanismus" des zukünftigen Senders teleSUR vorzugehen. Möglich ist dabei auch der Einsatz von Störsignalen. Präsident Hugo Chávez und Kommunikationsminister Andrés Izarra, kündigten an, dass Venezuela, wenn die USA zu den angekündigten Maßnahmen greifen, darauf mit einer weiteren Vertiefung der Revolution und einer Blockade der Signale antworten würde. Anscheinend lege der Sender bereits vor der ersten Ausstrahlung schon einen Finger in offene Wunden, so Chávez, die USA würden sich um ihre Interessen sorgen. Doch die USA sollten sich bewusst machen, dass "sie auch Signale in Richtung Brasilien, Argentinien und selbst in den USA senden müssten, denn überall dort und in anderen Ländern wird das Signal des neuen Sender auch vor Ort ausgestrahlt". Zu empfangen ist teleSUR in Süd-, Mittel-, Nordamerika, der Karibik, Westeuropa und Nordafrika über den NSS-Satellit (New Skies Satellite) 806.
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