Ringen um die Transformation
Chávez will den Reformprozess in Venezuela mit personellen Rochaden vertiefen. Basisbewegungen kritisieren die Ernennung der KandidatInnen für die bevorstehenden Kommunalwahlen.
Das grosse Aufräumen innerhalb der venezolanischen Regierung nach dem gewonnenen Referendum vom 15. August setzt sich fort. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez kündigte unter anderem die Gründung zweier neuer Ministerien an, eines für Ernährung und eines für Basisökonomie. Als zentral gilt das neu gegründete Ministerium für «economía popular». Dem Ministerium werden diverse Institutionen zugeordnet, die für das «soziale Wohlbefinden» der Bevölkerung zuständig sind. Darunter das Nationale Institut für Ausbildung (INCE), die Nationale Supraintendanz für Kooperativen (SUNACOP) und alle Institutionen für Mikrokredite, wie die Frauenbank, die Volksbank und andere.
Angekündigt wurde auch die Gründung eines Ernährungsministeriums, in das die «Mission Mercal» eingegliedert werden soll. Mercal ist ein Netz staatlich organisierter Läden und Supermärkte, in denen verschiedene Grundnahrungsmittel zwischen dreissig und siebzig Prozent billiger als auf dem regulären Markt verkauft werden. Das ist möglich, weil die Waren ohne Zwischenhändler in die Läden gelangen. Seit der Entstehung der Mercal vor einem Jahr wurden bereits mehrere hundert Verkaufsstellen aufgebaut, weitere sollen folgen. Bis Ende des Jahres sollen täglich 6000 Tonnen Lebensmittel verkauft werden, was Mercal die Spitzenposition auf dem Markt verleihen würde. Darüber hinaus soll das neue Ministerium unter anderem auch für die «comedores populares» zuständig sein, eine Art staatlicher Armenküchen, deren neu entstandenes Netz ebenfalls weiter ausgebaut werden soll.
Im Rückgriff auf «Les Misérables» von Victor Hugo erklärte Chávez, es sei zwar gelungen, das alte Regime in den Taten zu verdrängen, aber nicht in den Ideen. Daher müsse die revolutionäre Ideologie vertieft werden. «Es reicht nicht den Missbrauch zu beseitigen, es ist notwendig, die Verhaltensweisen zu verändern.» Geschehe dies nicht, so könnten die alten Vorstellungen jederzeit wieder installiert werden, «jene des Egoismus, Individualismus, der Ausbeutung der Einen durch die Anderen, die Degeneration des Menschen, wie Victor Hugo sagte, die Erniedrigung der Frau und die Erziehung der Kinder zur Ignoranz».
Die Veränderungen in der Regierung sind von den Basisorganisationen positiv aufgenommen worden. Viele fürchten aber eine verstärkte Orientierung der Regierung auf die Förderung von mittleren und grossen Unternehmern. In der vergangenen Woche hatte sich Hugo Chávez mit Hunderten von Unternehmern getroffen. Der oppositionelle Unternehmerverband Fedecameras nahm an dem Treffen offiziell nicht teil, doch die Anwesenden reichten weit über das Spektrum hinaus, das bisher mit der Regierung zusammenarbeitete, darunter auch einige Unternehmer, die eigentlich zu Fedecameras gehören. In Fedecameras sind vorwiegend die VertreterInnen der Import- und Exportindustrien organisiert, die an den globalen Markt angebunden und Teil transnationaler Verwertungsketten sind. Die Politik der Regierung wird hingegen von einem Unternehmerverband unterstützt, der die für den Binnenmarkt produzierenden Betriebe vertritt. Nach dem Wahlsieg suchen viele Unternehmer, die gegen Chavez gekämpft haben, nach einem Arrangement mit der Regierung. Chávez hat ihnen wiederholt eine Zusammenarbeit angeboten.
Im Zentrum der Kritik vieler Basisorganisationen, aber auch von Parteien wie etwa der KP Venezuelas oder der sozialistischen «Wahlbewegung des Volkes» MEP, steht weiterhin die Ernennung «von oben» zahlreicher KandidatInnen für die Kommunal- und Regionalwahlen vom 31. Oktober. So fand am Wochenende im symbolträchtigen und kämpferischen Stadtteil 23 de Enero in Caracas eine Versammlung aller Basisorganisationen statt, bei der unter anderem beschlossen wurde, Kanditaturen «von unten» durchzusetzen. Alfonso Tovar von der Stiftung Simon Bolivar gab sich optimistisch: «Ich denke nicht, dass sich die Parteien trauen, unserem Stadtteil einen Kandidaten aufzudrücken. Wenn wir es schaffen, in einem demokratischen Prozess einen Kandidaten von unten zu ernennen, so wäre das ein wichtiges Signal.»
Bolivarianische Integration
Delegierte der indigenen Massenorganisation CONAIE aus Ecuador kündigten am Sonntag in Venezuela die Gründung einer «Bolivarianischen Bewegung Ecuadors» an, in welcher verschiedene politische Organisationen des Landes vereint werden sollen. Chávez begrüsste den Schritt und erklärte: «Die wirkliche Integration, die bolivarianische Integration wird nicht von oben entstehen, von den Eliten oder aus den hohen Sphären der Macht, es ist die Integration von unten, von innen; jene, die dem bolivarianischen, lateinamerikanischen, karibischen Projekt Substanz verleiht.» Chávez unterstrich auch die Bedeutung der Konsolidierung der indigenen Bewegungen von Mexiko bis Argentinien. Eine vereinte indigene Bewegung würde eine enorme Kraft entfalten. «Dort befinden sich unsere Wurzeln, es ist die Rückkehr von Tacum Uman, Guaicapuro, Tupac Amaru und allen Anführern der Indigenen, die ihr Blut in Verteidigung des Landes gegen die Imperien vergossen haben.»