Nikaragua: Fraktionschef abgesetzt
Sandinisten stehen vor der Spaltung
Die Risse in der "Sandinistischen Front der Nationalen Befreiung" (FSLN ) vertiefen sich immer mehr. Sergio Ramirez, Ex-Vizepräsident und politischer Gegenspieler Daniel Ortegas, wurde jetzt von der Sandinistischen Versammlung, dem höchsten beschlussfähigen FSLN-Gremium zwischen den Parteitagen, als Vorsitzender der Fraktion in Nikaraguas Nationalversammlung abgesetzt.
Auch Tomás Borge, ehemaliger Innenminister Nikaraguas und einziges noch lebendes Gründungsmitglied der FSLN, hält nun eine Spaltung der Partei für möglich. Der Konflikt unter den Sandinisten war erneut ausgebrochen, nachdem Sergio Ramirez gegen die Entscheidung der 130köpfigen Sandinistischen Versammlung ein Paket von Verfassungsreformen im Parlament eingebracht hatte.
Streit um Verfassungsfragen
Über die meisten Vorschläge zur Änderung von 100 der 202 Artikel der Verfassung 1987 von der FSLN-Regierung verabschiedet herrscht zwischen dem von Ramirez angeführten reformistischen Flügel der FSLN und den radikaleren Traditionalisten um Daniel Ortega durchaus Einigkeit. So etwa über die verfassungsmäßige Verankerung der Autonomie der Gemeinden der Atlantikküste oder eines Verbots der Privatisierung des Gesundheits- und Erziehungssektors. Strittig ist lediglich das Verbot der Wiederwahl eines Präsidenten und der Kandidatur eines Verwandten desselben für das höchste Amt im Staate.
Davon betroffen sind vor allem Daniel Ortega und Antonio Lacayo von der Union der Nationalen Opposition (UNO), Schwiegersohn der gegenwärtigen Präsidentin Violeta Chamorro (ebenfalls UNO). Daher lautet ein Vorwurf an Ramirez auch, er wolle sich mit seiner Initiative der Konkurrenz Daniel Ortegas im Kampf um die Präsidentschaftskandidatur der FSLN entledigen.
Ramirez verteidigt seine Verfassungsvorschläge mit dem Argument, "die Interessen der Nation" stünden "höher als die der Partei". Nur widersprechen seine Vorstellungen nun einmal eindeutig den Beschlüssen der Partei. So wurde Ramirez am Wochenende von der Sandinistischen Versammlung nicht nur seines Postens als Fraktionsvorsitzender enthoben, sondern auch aufgefordert, seinen Parlamentssitz abzugeben, den er stellvertretend für Daniel Ortega innehat. Der Politiker selbst und weitere 20 ihm nahestehende Abgeordnete hatten an der Sitzung erst gar nicht teilgenommen.
Nächster Konflikt ist programmiert
Ramirez verkündete inzwischen, er werde den Beschlüssen Folge leisten und auch seinen Sitz abgeben, sollte Daniel Ortega ihn beanspruchen. Dagegen dementierte er Spekulationen über seinen Austritt aus der FSLN. Da sich sein Nachfolger dem Votum der Fraktion stellen muß, ist der nächste Konflikt aber bereits programmiert.
Schon im November 1993 hatten sich Sergio Ramirez und die Mehrheit der FSLN-Abgeordneten den Zorn vieler in der Partei zugezogen, als sie ein von der Mehrheit der Sandinisten abgelehntes Privatisierungsgesetz im Parlament einbrachten. In der FSLN-Fraktion der Nationalversammlung dominiert die sozialdemokratische Strömung der Partei, die nach eigenen Angaben ein "politisch realistisches Projekt für verschiedene gesellschaftliche Sektoren" vertritt. 33 der 39 Abgeordneten stehen hinter Ramirez.
Doch unter den Sandinisten insgesamt sehen die Mehrheitsverhältnisse ganz anders aus. Auf dem letzten Parteitag vor einigen Monaten wurden fünf Anhänger Ramirez' und zehn von Daniel Ortega in die erweiterte 15köpfige Nationale Direktion der FSLN gewählt. Zu einer Einigung zwischen den beiden Flügeln war es jedoch nicht gekommen, und die vielen "strömungslosen" FSLN-Mitglieder gingen in dem Machtkampf unter.
Stärkung für die extreme Rechte
Eine Spaltung der FSLN wird durch die neuen Ereignisse nun immer wahrscheinlicher. Bisher wurde sie wohl lediglich verhindert, weil beide Flügel wissen, daß sie damit der extremen Rechten um Managuas Bürgermeister Arnoldo Alemán Auftrieb geben. Dessen Partei war vor wenigen Monaten bei den Regionalwahlen an der südlichen Atlantikküste stärkste Kraft geworden.